Amokfahrt

Nach Amokfahrt in Mannheim: Der lange Weg zurück zur Normalität

Die Trauer und der Schreck sind nach der Amokfahrt noch überall zu spüren. In der Stadt sind am Donnerstag viele Augenzeugen unterwegs, die versuchen, das Geschehene zu verarbeiten. Ein Rundgang über die Planken.

Von 
Kai Plösser
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Die Planken in Mannheim am Donnerstagmittag, drei Tage nach der Amokfahrt: Viele kommen und legen an einem Baum am Paradeplatz Blumen nieder. © Kai Plösser

Mannheim. Der Schock sitzt noch immer tief. Nur langsam scheint in Mannheim nach der Amokfahrt auf den Planken wieder Normalität einzukehren. Davon zeugen schon die vielen Polizeifahrzeuge, die am Donnerstagmittag gefühlt im Fünf-Minuten-Takt die Planken in Richtung Wasserturm befahren. Bei vorfrühlingshaftem Wetter in den Fasnachtsferien wirkt die Stadt nicht sonderlich gut besucht. Die Stimmung bei vielen ist noch gedämpft.

„Ich bin immer noch ganz leer“, sagt Nexhat Kamberaj. Er steht gerade am Paradeplatz vor dem Baum, an dem nach Informationen dieser Redaktion eine 83-jährige Frau verstarb. Immer wieder kommen Menschen hierher, um Blumen niederzulegen, eine Kerze zu entzünden oder einfach nur innezuhalten. Auch die Notfallseelsorger sind gefragt. Viele suchen das Gespräch mit ihnen.

Am Paradeplatz werden nicht nur Blumen niedergelegt. Viele kommen auch mit den Notfallseelsorgern ins Gespräch. © Kai Plösser
Ich bin hierhergekommen, um das Ganze zu verarbeiten
Annonym Eine 31-Jährige, die am Paradeplatz Blumen niedergelegt hat

Kamberaj hat den Ort bewusst aufgesucht, um zu trauern und mit den Notfallseelsorgern zu sprechen. „Ich war hier am Montag, nur wenige Meter entfernt“, erzählt er und zeigt auf die Haltestelle Paradeplatz in Richtung Wasserturm. „Ich bin immer noch geschockt“, sagt Kamberaj. Er habe gesehen, wie die 83-Jährige auf dem Boden lag. Das sei nur schwer zu verkraften. „Einigermaßen“ gehe es ihm. Er habe viel über das, was passiert ist und was er gesehen hat, geredet, vor allem mit seiner Familie. Das sei wichtig gewesen und habe ihm viel geholfen.

Seit der Amokfahrt nicht mehr auf die Planken getraut

Auch eine 31 Jahre alte Frau ist zum Paradeplatz gekommen, um Blumen niederzulegen. Kurz darauf unterhält sie sich mit einer Notfallseelsorgerin. Danach entfernt sie sich ein bisschen von dem Baum und gedenkt noch längere Zeit der Verstorbenen und Verletzten. „Ich bin hierhergekommen, um das Ganze zu verarbeiten“, sagt die Frau.

Zum Tatzeitpunkt hatte sie sich gerade am Stadthaus aufgehalten, erzählt sie. Gesehen habe sie die Tat aber nicht unmittelbar. „Ich hab‘ das erst nicht geglaubt, dass das eine Amokfahrt war.“ Man höre immer nur von solchen Taten. „Aber es ist einfach erschreckend, dass es wieder passiert ist und dass es ganz nah an einem dran ist.“

Seit der Amokfahrt habe sich die 31-Jährige nicht mehr auf die Planken getraut. Damit wolle sie sich jetzt erst mal Zeit lassen. „Diese Woche muss es jetzt nicht mehr sein“, sagt sie. Dennoch glaubt sie daran, dass bei ihr und auch in Mannheim wieder Normalität einkehren wird. Nach dem Messerattentat auf dem Marktplatz im Mai des vergangenen Jahres sei das auch irgendwie gelungen. „Ich denke, das ist schon möglich. Das werden die Menschen auch tun. Ich meine, was sollen wir denn tun?“, sagt sie und schiebt hinterher: „Man möchte ja weiterleben als Mensch. Und vor allem soll man das ja auch.“

Brezelverkäuferin: Keine Angst – aber ein komisches Gefühl

Auch an dem Brezelstand an der Haltestelle Paradeplatz in Richtung Wasserturm ist die Amokfahrt noch Thema. „Es wird viel drüber gesprochen“, sagt Verkäuferin Nicole, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Sie merke aber, dass die Menschen noch verhalten sind. „Die Leute machen einen vorsichtigeren Eindruck, die Tat hat noch Auswirkungen“, sagt sie.

Auch Nicole war am Montag vor Ort in ihrer Brezelbude, die nur wenige Meter entfernt von dem Baum steht, an dem die Menschen Blumen niederlegen. Sie habe alles hautnah mitbekommen. „Angst habe ich nicht“, sagt sie. Ein komisches Gefühl beschleiche sie aber schon, hier zu stehen. „Man weiß ja nicht, ob es Nachahmer gibt.“ Nicole plädiert für mehr Sicherheit: „Vielleicht müsste die Polizei mehr Präsenz zeigen.“ Im selben Atemzug sagt sie jedoch auch: „Aber ob das geholfen hätte? Es könnte ja genau so gut ein Lieferant oder Taxifahrer austicken.“

Auch bei uns sitzen draußen weniger Leute. Die Leute haben Angst, das spürt man
Kristina Shahaj Mitarbeiterin im Eiscafé Del Sole auf den Planken

Ein Stück weiter die Planken entlang sitzen im Eiscafé Del Sole in O4 nur wenige Gäste. Von dem Laden stammt das Überwachungsvideo, das nur kurze Zeit nach der Amokfahrt im Internet kursierte. „Die Lage ist ruhig. Es ist viel, viel weniger los“, sagt Mitarbeiterin Kristina Shahaj und vermutet, dass die Menschen noch Angst haben oder unter Schock stehen und deswegen die Innenstadt meiden. „Allgemein habe ich das Gefühl, auf den Planken weniger Leute zu sehen.“

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Auch am Dienstag sei trotz des guten Wetters und der Ferien nur wenig los gewesen, erst gegen 16 Uhr habe der Andrang ein wenig zugenommen. „Auch bei uns sitzen draußen weniger Leute. Die Leute haben Angst, das spürt man, wenn man draußen zum Beispiel eine Zigarette raucht“, unterstreicht die 30-Jährige. Auch am Montag rauchte Shahaj zum Tatzeitpunkt eine Zigarette und hat somit miterlebt, wie der Amokfahrer durch die Planken gerast ist. „Leider habe ich alles gesehen.“

Auch am Strohmarkt halten die Menschen inne

Nur wenige Meter entfernt war an der Haltestelle Strohmarkt ein 54-Jähriger verstorben. Auch hier werden wie am Paradeplatz Blumen niedergelegt und Kerzen entzündet, mitunter mit Tränen in den Augen. Auf dem Boden an der Haltestelle sind noch grüne Markierungen zu sehen, vielleicht von den Ermittlern. Gerade angekommen ist ein junges Paar mit einem Hund, sichtlich ergriffen. Es sind wohl Bekannte des 54-Jährigen.

An der Haltestelle Strohmarkt gedenken die Menschen der Opfer. © Kai Plösser

Sie holen zwei Zettel heraus und hängen sie an den Pfahl, um den die Blumen liegen und die Kerzen stehen. „In Gedenken an Albert“, steht auf einem, oben drüber ein Bild von ihm, auf dem er mit einem Pferd posiert. Auf dem zweiten Zettel hinterlassen die beiden einen Abschiedsbrief. „Unser Freund und Reitkamerad. Immer gut gelaunt, lustig, hilfsbereit, liebenswert. Du warst all das und noch so viel mehr“, heißt es. Von gemeinsamen Ausritten ist die Rede und von lebendigen Erzählungen von seinen Wanderreittouren. „Albert, du fehlst uns!“, schließt der Brief ab.

Auffällig an diesem Mittag ist, dass viele, mit denen wir sprechen, die Amokfahrt selbst miterlebt haben und die Stadt bewusst aufgesucht haben. Das bestätigt Ulrich Nellen von der Notfallseelsorge, die am Plankenkopf mit einem Container der Feuerwehr ihren Dienst leistet und dies nach Angaben der Stadt auf Instagram noch bis Freitag tun wird.

Immer noch nehmen viele die Hilfe der Notfallseelsorge an. © Kai Plösser

„Die Gesprächsinhalte haben sich etwas verändert. Am ersten Tag kamen viele, die davon gehört hatten“, sagt der ehemalige Pfarrer. Bei vielen der nicht unmittelbar von der Amokfahrt Betroffenen gehe es in den Gesprächen vor allem um Traumabewältigung. „Bei denen ist jetzt etwas aufgeploppt, weil sie vielleicht etwas Ähnliches vielleicht erlebt haben oder irgendetwas nicht verarbeitet haben, was jetzt dadurch getriggert wurde“, erklärt Nellen.

Stadt Mannheim denkt über Trauerfeier nach

Mittlerweile aber würden sich auch Augenzeugen der Tat wieder in die Stadt trauen und die Notfallseelsorge aufsuchen. „Am Mittwoch waren es ganz viele, die betroffen waren, die einfach gemerkt haben: ,Ich schaffe es nicht alleine, ich brauche jemanden zum Reden.‘ Und heute ist es genauso.“ Allgemein vernimmt Nellen, der seit Dienstag mit seinem Team am Plankenkopf die Menschen betreut, wieder mehr Zustrom in die Stadt und hat das Gefühl, dass die Normalität langsam Stück für Stück zurückkehrt. „Das muss sie auch und das ist auch gut so.“

Derweil ist noch nicht spruchreif, ob es eine offizielle Trauerfeier der Stadt geben wird. „Es gibt bereits Überlegungen in diese Richtung“, teilt die Stadt auf Anfrage mit. Vielleicht könnte auch das helfen, um als Stadtgesellschaft mit den Geschehnissen abzuschließen – und um zur Normalität in Mannheim zurückzukehren.

Redaktion

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