Mitgliederversammlung

Obdachlosenhilfe „die Brücke“ in Schwetzingen aufgelöst

Die Mitgliederversammlung von „Die Brücke“ in Schwetzingen entscheidet einstimmig die Auflösung des Obdachlosenvereins. Der Betrieb soll aber mit einem neuen Verein weitergehen.

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Volker Widdrat
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Das ist das neue Domizil der „Brücke“ in der Friedrich-Ebert-Straße. © Andreas Lin

Schwetzingen. Die Mitgliederversammlung des Vereins „Die Brücke“ am Dienstagabend im Josefshaus mündete nach einer dreistündigen Tagesordnung am Ende in den Beschluss zur Auflösung des Vereins und zur Wahl von zwei Liquidatoren. Eine Gruppe von Kritikern, vertreten durch Raquel Rempp, Rosa Marie Gold, Heidemarie Große und Novica Gluhovic, wandte sich wie schon im Vorfeld gegen die Vorgehensweise bei der Sitzung. Dr. Jürgen Enseleit war aus persönlichen Gründen nicht anwesend. Andreas Oswald vom Sachgebiet Ortspolizeibehörde vertrat die Stadt.

Die Mitgliederversammlung sei „der Abschluss eines Sondierungsprozesses“, erklärte Bernhard Carl, der vom Vorstand zum Versammlungsleiter bestimmt worden war. Die Vorsitzenden Achim Schmitt und Margrit Jäger hatten diese Aufgabe aus gesundheitlichen Gründen nicht übernehmen können. Carl wurde von 41 der 45 stimmberechtigten Mitgliedern bestätigt.

Der Moment im Josefshaus, als die Versammlung einstimmig die Auflösung des Vereins „Die Brücke“ beschlossen hat. Das Vermögen fällt damit an den neuen Verein „Warme Stubb“ Schwetzingen. © Widdrat

Es gehe nicht um Sieg oder Niederlage, sondern darum, dass die Mehrheit eine Entscheidung trifft und diese dann auch verantwortet, führte er aus: „Abstimmungen sind kein Krieg.“ Es sei „nicht vertretbar, dass im Voraus einer Mitgliederversammlung die potenzielle Minderheit die anderen Vereinsmitglieder als unwissend bezeichnet“, wie in einem Artikel in der Schwetzinger Zeitung an diesem Tag geschehen. Die Kritiker hätten darin das Ziel ihres Handelns klar definiert. Seine Lösungsvorschläge orientierten sich dagegen an „den demokratischen Grundgedanken im Vereinsrecht“. Auch die politische Sicht eines Einzelnen gehe ihn nichts an, spielte Carl auf die AfD-Likes des Vorsitzenden an.

Fundament der Obdachlosenhilfe Brücke ist gebröckelt

Die Einrichtung in der Friedrich-Ebert-Straße sollte so weiterlaufen, die Rahmenbedingungen hätten sich seit der Gründung des Vereins stark verändert. „Das Fundament ist gebröckelt, aber sie funktioniert noch, es gibt ein formelles Problem“, zeigte Carl das Bild einer Brücke. Der Verein leiste sehr wohl gemeinnützige Arbeit, es komme auf die tatsächliche Tätigkeit an, nicht nur auf den Satzungstext, stellte er drei „Angebote“ vor: Die „Warme Stubb“ könne ein neuer Betreiberverein sein.

Die Gründungsversammlung sei erfolgt, die Anmeldung beim Registergericht laufe gerade. Zur ordentlichen Abwicklung gehöre die Satzungsänderung zur Mittelverwendung. Diese und weitere Entscheidungen seien „ausschließlich eine hoheitliche Aufgabe der Mitglieder“. Personen, die sich eine Vereinsarbeit im Rahmen der Formulierungen der Satzung der „Brücke“ wünschten, müssten sich der Neugründung eines Vereinsmit dem gleichen Ziel widmen sowie auf die Suche nach Fachpersonal und geeigneten Räumlichkeiten machen.

Carl sei kein Mitglied, lautete ein erster Kritikpunkt. Der Verein habe eine unvollständige Tagesordnung verschickt. Eine Ergänzung dazu sei zu spät eingetroffen. Zur Erklärung: Auf Antrag von Dr. Jürgen Enseleit hatte das Amtsgericht Schwetzingen den Verein am 28. Februar verpflichtet, die Tagesordnung um zwölf Punkte zu erweitern. So sollten unter anderem Protokolle der Versammlungen, Rechenschafts- und Kassenberichte, betriebswirtschaftliche Unterlagen, Verträge, Bilanzen sowie Spenden von 2017 bis heute offengelegt werden.

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Das wurde später in der Sitzung abgelehnt. Werner Zieger wurde zum Protokollführer gewählt. Raquel Rempp, die das Amt aufgegeben hatte, machte ihre eigenen Aufzeichnungen. Ihre Forderung, Gemeinderäte, die in der Wärmestube essen, sollten sich für befangen erklären und nicht abstimmen dürfen, lehnte die Versammlung mehrheitlich ab. Über ihr Ansinnen, eine Jacke mit „Brücke“-Logo in der Obdachlosenunterkunft in der Dortmunder Straße an einen bedürftigen Bewohner zu übergeben, musste nicht abgestimmt werden. Das könne sie so handhaben.

Vorstand Achim Schmitt berichtete kurz über das Jahr 2023. Damals gab der Verein mit seinen 107 Mitgliedern knapp 900 Essen aus. Das Vermögen lag bei 111.000 Euro. Für 2024 lägen die Zahlen noch nicht vor, so Schmitt. In diesem Jahr seien es bisher schon 382 Essen gewesen.

„Es gibt noch genug Obdachlose“ in Schwetzingen

Der Bericht werde „nachgearbeitet“, so Carl. Deshalb gebe es keine Beschlussfassung mit Entlastung des Vorstandes darüber. Der Verein wolle das Kassenprüferamt in „fachliche Hände“ geben, erläuterte er. Die bisherige Kassenprüferin Roas Marie Gold sei „nicht unvoreingenommen“. Gewählt wurden der 45-jährige Revisor und Bankkaufmann Lars Krause und der 40-jährige Diplom-Mathematiker Michael Schnorbach. Die nächste Prüfung werde hart, prognostizierte Carl, zumal ja der Vorwurf der Selbstbedienung im Raum stünde. Die im Oktober 2023 für zwei Jahre gewählte Kassenprüferin Gold wollte als „Beobachterin“ mitwirken. Die Versammlung war dagegen. Sie gab ihr Amt auf.

Die Stimmung wurde im kalten Saal des Josefshauses noch frostiger, als es an die Satzungsänderung ging. Dafür war eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Gold plädierte noch einmal, das Vereinsvermögen an die Caritas oder die SKM-Wohnungslosenhilfe in Heidelberg zu übertragen. Bisher war gemäß Satzung die hälftige

Aufteilung des Geldes an St. Thomas und die Lebenshilfe vorgesehen gewesen. Es könne aber auch der Nachfolgeverein „Warme Stubb“ sein, meinte Carl. Dieser habe es „ausschließlich und unmittelbar für gemeinnützige beziehungsweise mildtätige Wohlfahrtszwecke zu verwenden“. Rempp pochte auf eine andere Entscheidung: „Es gibt noch genug Obdachlose.“

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St. Thomas habe den Sitz nicht in Schwetzingen, die Lebenshilfe habe man auch nicht erreichen können, so Carl. Beide Vereine seien auch nicht in der Obdachlosenbetreuung tätig. Von Rempp kam scharfe Kritik. Man hätte beide Vereine problemlos finden können. Die Versammlung genehmigte die Satzungsänderung mit 41 Ja-Stimmen bei viermal Nein. Das Vermögen geht nun an den Verein in Gründung „Warme Stubb“. Sollte dieser einmal aufgelöst werden, bekommt das Geld der Verein Pro Down Heidelberg.

Für die Auflösung des Vereins „Die Brücke“ war eine Dreiviertelmehrheit erforderlich. Der Beschluss erfolgte einstimmig. Bei der Wahl der Liquidatoren entschied sich die Versammlung für Kandidaten aus dem Verein. Gewählt wurden bei vier Nein-Stimmen des Kritiker-Quartetts Vorstand Achim Schmitt und Kassenwartin Fabienne Steinbach. Die 28-jährige Steuerfachangestellte möchte ihr Fachwissen einbringen.

Carl verlas den Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen, mit dem der Antragsteller Dr. Jürgen Enseleit eine Ergänzung der Tagesordnung erreicht hatte. Diese sollte „sämtlichen Mitgliedern form- und fristgerecht mit Einladungsschreiben umgehend mitgeteilt werden“. Es sei jedoch Sache der Mitglieder, über die zur Abstimmung gestellten Punkte zu entscheiden. Enseleit habe „alles selbst prüfen wollen“, so Carl weiter. Gold warf ihm daraufhin „unsachliches Verhalten“ und „respektloses Reden“ vor „über eine Person, die nicht vor Ort ist“. Die Mitteilung, Carl habe früh morgens eine 16-seitige E-Mail von Enseleit erhalten, sei dazu eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten und „populistisch“. Dann gab es doch noch Zwischenrufe. „Böse Weiber“ war zu hören. Das Kritiker-Quartett verließ den Saal. Der Tagesordnungspunkt wurde endgültig abgelehnt. Die Versammlung verweigerte dem Antragsteller Enseleit, Auskunft erlangen zu können. Möglicherweise muss nun ein Gericht entscheiden.

Diakonin Margit Rothe dankte den Vereinsmitgliedern für ihren Einsatz und den „eigentlich ganz guten Ton“, auch von Seiten der Kritiker. Ihm sei es wichtig gewesen, „dass ehrenamtliches

Engagement in Vereinen durch Mitglieder und Außenstehende so angenommen wird, wie es von den Engagierten geleistet wird“, sagte Carl unserer Zeitung anschließend. Ehrenamtliche Vorstände „durch die Manege zu treiben“ und sie „in ihrer Tätigkeit mit sachlichen Themen und Auflagen einzuengen“, sei nicht angemessen. „Jeder darf alles kritisieren, aber dann muss er es besser zu machen“, hatte er dazu in der Sitzung gesagt. Die Aussagen im Zeitungsartikel und im Mail-Verkehr vom gleichen Tage hätten ihn „durchaus betroffen gemacht“. Es sei sein persönlicher Wunsch, „dass alle Beteiligten ohne persönlichen Groll gegenüber den anderen auf der Basis der getroffenen Entscheidungen die Zukunft akzeptieren“. Eine „Konfliktsituation“ sei an dem Abend nicht gelöst worden. Die Minderheit habe die Mehrheit der Mitglieder als unwissend bezeichnet. Es sei nun offensichtlich, dass der Verein „Die Brücke“ nicht mehr die Heimat der Kritikergruppe sei.

Raquel Rempp sah im Nachgang die Veranstaltung „geplant und abgekartet“. Die Abstimmungsergebnisse hätten sie nicht überrascht. „Verwundert war ich persönlich über die recht arrogante, respektlose, ja sogar in meinen Augen unverschämte Art des Seelsorgers und Diakons in Gestalt des Herrn Carl“, schimpfte Rempp gegenüber unserer Zeitung. „Mit extrem aufgesetztem Humor und gekonnter Raffinesse“ sei seine Taktik der Versammlungsleitung aufgegangen. Die Hälfte der anwesenden Mitglieder seien Essensgäste, „die sich meiner Meinung nach für befangen hätten erklären sollen“. Mit der Auslegung, dass es in Schwetzingen keine Lebenshilfe gebe, habe Carl „den Vogel abgeschossen“. Ein Blick ins Vereinsregister hätte genügt. Er habe sich „alles andere als ein neutraler und objektiver Versammlungsleiter dargestellt“. Der Beschluss zur Vermögensübertragung werde deshalb wohl nicht rechtmäßig sein. „Es ist wirklich schlimm, aber man wollte partout nicht, dass das Geld den Obdachlosen zugutekommt, weil es ja für sie gespendet wurde“, zieht Rempp ein bitteres Fazit

Freier Autor Volker Widdrat ist freier Mitarbeiter.

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