Schwetzingen. Seit Monaten schwelt der Streit um die Ausrichtung des Obdachlosenhilfevereins „Die Brücke“, der in Schwetzingen eine sogenannte Wärmestube betreibt. Eine Gruppe von Mitgliedern um Dr. Jürgen Enseleit, Rosa Marie Gold und Raquel Rempp hat unserer Zeitung vorab zur am Dienstagabend stattfindenden Mitgliederversammlung des Vereins eine Stellungnahme geschickt, in der es unter anderem heißt: „Weil wir davon ausgehen, dass man uns auf der heutigen Mitgliederversammlung (die eigentlich schon im Jahr 2024 hätte stattfinden müssen und auch heute das Jahr 2024 nicht abschließen wird) nicht ausführlich genug zu Wort kommen lässt, möchten wir unsere Gedanken zu Papier bringen: Als wir die Einladung erhielten, wunderten wir uns über einige Punkte der Tagesordnung. Der Verein ,Die Brücke‘ soll aufgelöst werden. Warum? Paragraf 3 der Satzung besagt, dass nur Mitglied werden kann, wer die Satzung, den Zweck und die Ziele des Vereins anerkennt. Der Satzungszweck besteht seit der Gründung bis zum heutigen Tag in der Trägerschaft einer Wärmestube für ausschließlich Obdachlose/Wohnungslose. Wie können diese Mitglieder jetzt dieser geplanten Vereinsauflösung zustimmen?“, so die Mitteilung.
Und: „Wenn der Verein sich auf einer anderen („niedrigeren“) Ebene um Obdachlose/Wohnungslose kümmern würde, bräuchte er nicht aufgelöst werden. Jetzt werden sie sogar komplett ausgegrenzt. Jahrelang – mindestens seit Bezug der neuen Räumlichkeiten - hat dieser Verein nicht satzungskonform gehandelt. Die vielen Spendengelder sind vermutlich am allerwenigsten den Obdachlosen zugutegekommen. Kirche, Stadt, einige Gemeinderäte und auch der vorherige Vorstand wussten und wissen das. Jahrelang haben sie weggeschaut, statt zu handeln. Unangenehme Themen beim Namen nennen und aufarbeiten, kann und will eben nicht jeder.“
Vorwürfe wurden nie wirklich aufgearbeitet
Weiter heißt es: „Nun wurde Bernhard Carl vom Vorstand beauftragt, die Dinge zu regeln, zu denen sich der Vorstand selbst offensichtlich nicht in der Lage sieht. Wir sind der Auffassung, dass nicht nur wir, sondern alle Mitglieder das Recht hätten haben sollen, über dessen Einsatz und die damit verbundenen Ziele informiert oder sogar vorab nach unserem Einverständnis gefragt zu werden. Das passierte leider nicht, was uns wieder bestätigt, dass Transparenz weiterhin nicht zu den Stärken dieses Vorstands gehört.“
Kritik gibt es auch an ihm: „Herr Carl interessierte sich laut eigener Aussage nicht für die Kassenberichte und die Verwendung der finanziellen Mittel und darüber hinaus teilte er einem Mitglied mit, dass der im Verein seit Beginn des Jahres 2024 vorherrschende Umgangston durch die Vorstandschaft und deren Unterstützer und manchen Mitgliedern gegenüber den Kritikern nicht weiter von ihm aufgearbeitet werden. Auch die Ursache für den eigentlichen Disput – nämlich die AfD-Postings des Vorsitzenden – wurden ebenso unter den Tisch gekehrt wie viele unrechtmäßige Handlungen. Eine Aufarbeitung oder Selbstreflexion aller kritischen und respektlosen Vorgänge seit Beginn des Jahres 2024 fand nicht statt. Es ist sehr bedauerlich, dass es hierzu auch keinen Tagesordnungspunkt zur Aussprache gibt. Alles, was unangenehm war, soll totgeschwiegen werden“, so die Stellungnahme.
Die Aufgabe von Bernhard Carl bestehe offensichtlich darin, die Kuh vom Eis zu kriegen, damit vielleicht nicht noch weitere unschöne Dinge ans Tageslicht kommen? Für den Vorstand dieses in vielen Aspekten defizitären Vereins sei es einfacher, die kleine Gruppe als Störenfriede und Lügner vor den Gästen der Wärmestube oder vor anderen Personen hinzustellen, heißt es weiter.
Wörtlich: „Schon die schriftlich getätigte, ungeheuerliche Aussage des Vorsitzenden gegenüber dem Amtsgericht, dass wir eine Schmutzkampagne gegen den Verein führen würden, sagt alles über die Art und Weise aus. Es ist einfacher für ihn hinter dem Rücken der Betroffenen Unwahrheiten zu verbreiten, als mit ihnen das offene Gespräch zu suchen.“
„Die Vorstandschaft bemerkte schließlich, dass die kleine Gruppe der Streiter für die Obdach- und Wohnungslosen – die ‚Minderheit‘, wie es Carl in einem Mitgliederschreiben nennt - wohl hartnäckiger zu sein scheint als gewünscht. Trotz Beschimpfungen und Diskreditierungen waren wir nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Bei einer Sichtung der beim Registergericht des Amtsgerichtes Mannheim hinterlegten Dokumente erhielten wir zahlreiche interessante Informationen, so etwa Protokolle der letzten Jahre, Mailverkehr zwischen dem Amtsgericht und dem Verein sowie einen Freistellungsbescheid aus dem Jahre 2024 für die Jahre 2019 bis 2021. Dabei stellten wir fest, dass viele getätigten Aussagen des Vorsitzenden absolut nicht der Wahrheit entsprachen. Was können wir aber von einem Vorsitzenden erwarten, der selbst nicht davor Halt machte, das Protokoll der letzten Mitgliederversammlung im Oktober 2023 mit Unwahrheiten im Namen der damaligen Schriftführerin Raquel Rempp abzuändern und in ihrem Namen dem Vereinsgericht einzureichen? Lüge oder Wahrheit, Ehre, Respekt und Anstand scheinen heute nicht mal einen Teil der Schwetzinger Vertreter der Kirchen und der Politik zu interessieren. Was uns hier von einigen vorgelebt wird, lässt uns an diesen Institutionen zweifeln“, schreiben die Kritiker.
Frage nach der Moral stellt sich bei diesen Plänen
Enseleit, Gold, Rempp und ihre Mitstreiter fragen: „Der von Bernhard Carl erarbeitete Maßnahmenkatalog könnte wie so manche Steuervermeidung legitim sein. Sind diese Maßnahmen allerdings moralisch und ethisch vertretbar? Er trägt jetzt wesentlich mit dazu bei, dass den Obdach- und Wohnungslosen zum zweiten Mal das ihnen zustehende Geld vorenthalten wird. Wir finden derartige Entwicklungen sehr bedenklich. Ob das die Personen, die am Montagabend diesen ganzen Änderungsanträgen zustimmen, bedenklich finden, wissen wir nicht. Sie müssen das mit sich und ihrem Gewissen ausmachen. Es wird so getan, als gäbe es keine Obdachlosen mehr. Das Geld, das für diese Menschen gespendet wurde, soll jetzt in einen neuen Verein übertragen werden, bei dem niemand so recht weiß, welche konkreten mildtätigen Aufgaben er künftig ausführen wird.“
Die „Warme Stubb“ solle ein Ort werden, an dem sich einsame Menschen treffen, miteinander essen und sich austauschen. Die Einkommensverhältnisse seien bei der Essensausgabe in der „Brücke“ nicht nachhaltig geprüft worden. „Wird das im neuen Verein so fortgesetzt? Egal, ob Häuslebesitzer, Bürgergeldempfänger oder gute Rentenbezieher sich dort verköstigen lassen. Ob das mit dem Vereinsrecht vereinbar ist, das können Gerichte klären“, so die Stellungnahme.
Man akzeptiere aber nicht, so heißt es im Schreiben, dass für den neu gegründeten Verein das Geld, das dem Grundgedanken nach für die Obdachlosen/Wohnungslosen gedacht war, verwendet werden soll. Gemäß Satzung müsse es bei der Vereinsauflösung hälftig der Lebenshilfe und dem St.-Thomas-Heim übertragen werden. Warum brauche der neue Verein „Warme Stubb“ das für obdachlose und wohnungslose Menschen gespendete Geld? Nahrungsmittel würden in hohem Maße gespendet, oft so viel, dass es in den Müllcontainern landet. Die zweite Vorsitzende und ihre Mitköchin würden laut dem Schreiben vom Vorstand in Minijobs beschäftigt. Bestehen hier vielleicht Ängste, ohne das Vereinsvermögen nicht mehr entsprechend bezahlt werden zu können? Ist das einer der Gründe für die geplante Satzungsänderung?
Vereinsvermögen so aufteilen, wie es Satzung vorsieht
Es stelle sich die Frage: „Wäre es nicht anständiger, das Geld entweder gemäß der Satzung aufzuteilen oder einer Institution, die sich zumindest mit dem Thema Wohnungslosenhilfe beschäftigt (Caritas oder SKM Heidelberg), zu übertragen? Und wäre es nicht anständiger, dass sich die Mitglieder, die gleichzeitig dort Essensgäste sind, heute Abend für befangen erklären und nicht mit abstimmen? Auf der Mitgliederversammlung sollen laut Tagesordnung zwei Kassenprüfer gewählt werden, die dann irgendwann nach Auflösung des Vereins und nach der Vermögensübertragung die Kasse prüfen sollen. Soll es dann drei Kassenprüfer geben? Es ist uns nicht klar, warum die Kasse nicht durch die im Oktober 2023 für zwei Jahre ordentlich gewählte Kassenprüferin Rosa Marie Gold geprüft werden darf. Wir können es uns bis heute nicht erklären, warum die zweite Kassenprüferin und Schwester des Vorsitzenden auf einmal zurückgetreten ist. Bis zum September 2024 gab es dafür keine Anzeichen“, heißt es weiter.
Und: „Unser Begehren als Nochmitglieder des Vereins, die Vereinsunterlagen, Rechnungen und Kassenberichte einsehen zu dürfen, wurde vehement abgelehnt. Wenn ein Verein nichts zu verbergen hat, lässt er seine Mitglieder den gewünschten Einblick erhalten. In unseren Augen ist es sehr vielsagend und gleichwohl erschreckend, dass einige Stadträte ohne fundiertes Hintergrundwissen Dinge absegnen, die bewiesenermaßen nicht korrekt gelaufen sind. Aber gut, wie sagte Bernhard Carl in einem Telefonat zu Raquel Rempp nach deren Angaben: ,In einer Demokratie siegen die Mehrheiten.‘ Das ist wohl so. Nur schade, dass es oft unwissende und aus Eigeninteresse agierende Mehrheiten sind“, schreiben Dr. Jürgen Enseleit, Rosa Marie Gold, Raquel Rempp und weitere Mitstreiter unserer Zeitung.
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