Schwetzingen. Ein in Schwetzingen lebendes Ehepaar musste sich wegen Betrugs an der Arbeitsagentur und gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg vor dem Schöffengericht des hiesigen Amtsgerichts verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte dem 50-jährigen Libanesen und der in Mannheim geborenen 46-jährigen Spanierin vorgeworfen, dem Jobcenter Einkünfte verschwiegen und sich mit Sozialleistungen eine Einnahmequelle von erheblichem Gewicht verschafft zu haben. Im Herbst vergangenen Jahres sollen sie zudem nicht durchgeführte Corona-Schnelltests abgerechnet haben. Dabei sei ein Schaden von knapp zwei Millionen Euro entstanden.
Das Schöffengericht verhandelte an den bisher vier Prozesstagen weit über 30 Stunden. Die Eheleute, seit Januar in Haftanstalten in Mannheim und Schwäbisch Hall untergebracht, haben vier Kinder. Die jeweils zwei Mädchen und Jungen im Alter zwischen zwölf und 21 Jahren waren auch im Gerichtssaal anwesend und mussten verfolgen, wie die Eltern massiver Straftaten beschuldigt wurden, ebenso beim Prozess vor Ort sind zwei Schwestern der angeklagten Spanierin.
Diese 46-jährige gelernte Friseurin, die nach eigenen Angaben vor 23 Jahren „aus Überzeugung zum Islam übergetreten“ ist, hatte 2010 eine Initiative für Flutopfer in Pakistan gestartet. Ein Jahr später hatte sie dann über die Moscheegemeinde Hilfslieferungen nach Somalia veranlasst, anschließend über einen von ihr gegründeten Verein neue Schulen im Niger gebaut. In Mannheim hatte sie zudem ein Kaufhaus für Bedürftige sowie ein Kinderschutzprojekt betrieben. Alles wurde über Spenden finanziert. Sie habe immer nur helfen wollen, sagt sie jetzt vor Gericht: „Der islamische Glaube macht da viel aus.“
In der Untersuchungshaft habe sie mit Panikattacken zu kämpfen. Die Sehnsucht nach ihren Kindern sei unendlich groß, erzählt die 46-Jährige unter Tränen.
Ihr Ehemann kam im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie von Beirut nach Deutschland. In den letzten Jahren hatte er in der Gastronomie und für eine Spedition gearbeitet. Dazwischen war er immer wieder arbeitslos. Zuletzt war er im Sozialkaufhaus seiner Frau beschäftigt gewesen. „Das ist der Horror“, berichtete er von der Untersuchungshaft, wo er in der Schreinerei arbeitet. Er habe eine Zusage für eine neue Arbeitsstelle, falls er raus dürfe.
Paar hat sich selbst angezeigt
Das Ehepaar hatte die Ermittlungen übrigens durch eine Selbstanzeige im Dezember vergangenen Jahres in Gang gebracht. Der Sachverhalt werde im Wesentlichen so eingeräumt, erklärten die Verteidiger Sebastian Göthlich und Alexander Klein. Die Ehefrau sei die treibende Kraft gewesen. Der 50-Jährige habe immer von einem Restaurant in Ägypten geträumt. Die Corona-Teststation in Mannheim auf dem Parkplatz eines Fahrradhandels sei ursprünglich nicht auf Betrug angelegt gewesen. Irgendwann sei das Paar aber „der Versuchung erlegen, betrügerisch abzurechnen“.
Ein Neffe des Angeklagten, der selbst in der Quadratestadt ein Testcenter betrieb, hatte da „wertvolle Tipps“ gegeben. Das Paar hatte 2000 Testkits und 1800 Masken bestellt. Eine medizinische Fachangestellte und ein Pfleger sowie die gemeinsame Tochter waren als Personal eingestellt worden. Ab Juli 2021 war dann wöchentlich mit dem Gesundheitsamt abgerechnet worden. Die Beschuldigten hatten rund 340 Tests gemacht, aber sage und schreibe 68 400 verbucht. Daneben hatten sie auch noch zu Unrecht Impfpässe und Genesenen-Bescheinigungen ausgestellt.
Anmeldung Newsletter "Topthemen am Abend"
Die Kassenärztliche Vereinigung hatte innerhalb von zwei Monaten rund 1,4 Millionen Euro überwiesen. Damit war den Angeklagten klar gewesen, „dass man das Geld hinterhergeworfen bekommt“. „Es war surreal“, sagt der 50-Jährige, der seinem Neffen eine Kreditkarte zur Verfügung gestellt hatte.
Bankmitarbeiter und Kriminalbeamte sagten als Zeugen aus. Eine Schwester des Angeklagten wollte nichts zu Protokoll geben. Ein 36-jähriger Untersuchungshäftling wollte sich nicht selbst belasten. Ein Freund der Familie äußerte sich nicht zu Vermietungen und Darlehensverträgen.
Frankfurter Ermittler hatten schließlich eine Verdachtsmeldung an die Staatsanwaltschaft Mannheim übermittelt. Der Kundenberater einer Bank war bei einer beabsichtigten Barabhebung in Höhe von 500 000 Euro hellhörig geworden. Er habe lieber nochmals nachgefragt: „Bei so hohen Buchungen schauen wir schon genauer hin“, sagt er jetzt vor Gericht aus.
Die Angeklagten, beide sind nicht vorbestraft und bisher nie mit dem Staat in Konflikt gekommen, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits einen hohen Geldbetrag an die Kassenärztliche Vereinigung zurücküberwiesen. Die 46-Jährige war vor einigen Jahren mehrere Wochen in Jordanien gewesen, „damit die Kinder die dortige Kultur kennenlernen“. Die Familie hatte auch zweimal Urlaub in Ägypten gemacht. Der Tatvorwurf der Geldwäsche durch Unterlassen gegen den 50-Jährigen wurde deshalb auch eingestellt.
Erst mal kein Reuegefühl gezeigt
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, die Ankläger hatten während der Hauptverhandlung gewechselt, sah am letzten Prozesstag viele belastende Beweise durch die Durchsuchungsmaßnahme. Die Angeklagte habe auch ihr Handy vor der Polizei versteckt. Das Ehepaar sei von den hohen Überweisungen zwar überrascht, aber nie so selbstkritisch gewesen, das Verhalten zu überprüfen oder Reue zu zeigen. Die Abrechnungen an das Gesundheitsamt hätten schon zu Anfang nicht gestimmt. Das Motiv für die Wiedergutmachung sei auch nicht Reue gewesen. Die ersten Abrechnungen seien für den Schuldenabbau gewesen. Die Familie habe nämlich schon nach Immobilien im ägyptischen Hur-ghada gesucht. Durch tatbezogene Unterredungen mit dem Neffen des Angeklagten, der sich nach Dubai abgesetzt habe, könne man so von einem gewerbs- und bandenmäßigen Betrug ausgehen, so die Staatsanwältin. Das weitreichende Geständnis und die Selbstanzeige hätten zur Aufklärung beigetragen. Die fehlende Kontrolle des Gesundheitsamts müsste eigentlich strafverschärfend wirken. „Da wurde Vertrauen missbraucht und das Gesundheitswesen insgesamt bedroht“, forderte die Staatsanwältin zwei Jahre und neun Monate für die 46-Jährige und zwei Jahre und sieben Monate für den 50-Jährigen. Strafen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können.
Es gab keine Bandenabrede
Rechtsanwalt Alexander Klein echauffierte sich über die Argumente der Staatsanwaltschaft. Seine Mandantin habe nicht ins Ausland wollen und keine Fluchtabsichten gehabt. Die Selbstanzeige habe ein hohes Gewicht, eine Bandenabrede habe es nie gegeben, die Parallelität des Modus Operandi sei kein ernstzunehmendes Indiz. Die berechnete Kapazität des Testcenters zeige gerade nicht, dass man betrügerisch habe vorgehen wollen. Den beiden sei es leicht gemacht worden: „Das war ein Massengeschäft mit Verordnung – ideal für Leute, die betrügen wollen, öffnet so etwas Tür und Tor.“ Bei der Mutter von vier Kindern bestehe keine Fluchtgefahr. Die Frau habe Verantwortung übernommen, plädierte der Verteidiger auf eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.
Rechtsanwalt Sebastian Göthlich war ebenfalls zornig über die „hanebüchenen Argumente“ der Staatsanwaltschaft. Sein Mandant habe den Schaden wiedergutgemacht. Der Betrug am Jobcenter gehöre eigentlich vor einen Einzelrichter. Die Staatsanwaltschaft wolle die Selbstanzeige „nur kleinreden, damit man verurteilen kann“. Sein Mandant habe gewusst, dass er das „Nuttengeld“ nicht ehrlich verdient habe.
Das Ehepaar habe sich nie ins Ausland absetzen wollen, sondern den Behörden bei der Aufklärung noch zugearbeitet. Der Verteidiger forderte eine Bewährungsstrafe „deutlich unter zwei Jahren“. Die Angeklagten entschuldigten sich unter Tränen bei ihren Kindern. Sie bereuten die Taten von ganzem Herzen. Das Gericht schickte die 46-Jährige für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Der 50-Jährige kam mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe davon.
Die Vorsitzende Richterin Sarah Neuschl beschrieb die Logik des Betrugsfalls. Schon in der ersten Woche seien Tests falsch abgerechnet worden. Die Angeklagten hätten versucht, sich eine illegale Einnahmequelle zu verschaffen. Von einer bandenmäßigen Struktur sei das Gericht aber nicht ausgegangen, auch wenn der Neffe die 46-Jährige „mit seinen Tipps auf den Trichter gebracht hat“. Zweifellos habe es fehlende Kontrollstrukturen gegeben. Die höchste Schadenssumme sei zurückgezahlt worden.
Für den 50-Jährigen wurde der Haftbefehl aufgehoben. Er muss hundert Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Gegen seine Ehefrau wurde erneut Haftbefehl erlassen. Bei ihr bestehe Fluchtgefahr, so die Vorsitzende. Als spanische Staatsangehörige habe sie Kontakte ins Ausland. Einige Familienmitglieder hätten sich auch schon abgesetzt.
Beim Betrug mit Corona-Tests dürfte in den nächsten Monaten noch mehr ans Tageslicht kommen. Seit Ende Juli ermittelt das Landeskriminalamt Baden-Württemberg gegen mehrere Beschuldigte. Sie werden verdächtigt, mehr Corona-Schnelltests abgerechnet zu haben, als tatsächlich durchgeführt worden sind. Bereits im Februar waren bei der Staatsanwaltschaft Mannheim zwei Verfahren wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs in mehreren Fällen mit mutmaßlich nicht erbrachten Tests in Mannheim und Heidelberg anhängig gewesen. Dabei sollen rund 3,3 Millionen Euro zu Unrecht vereinnahmt worden sein. Am Landgericht Mannheim beginnt im September der Prozess gegen einen Beschuldigten, der in betrügerischer Weise Corona-Tests abgerechnet haben soll. Für die Monate August und September 2021 soll der Mann insgesamt 240 500 Euro und für den Monat Oktober 104 000 Euro geltend gemacht haben.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-prozess-am-schwetzinger-schoeffengericht-mit-tests-zwei-millionen-euro-abgezockt-_arid,1984260.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html