Flüchtlingskrise - Eigentümer des Racketclubs und Landratsamt streiten vor Gericht um Schäden in Asylunterkunft / Halle droht Abriss / Kreis spricht von normaler Abnutzung

Racketclub Schwetzingen: „Polizeilicher Notstand“ mit Folgen

Von 
Benjamin Jungbluth
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Ein stechender Geruch nimmt einem schlagartig die Luft, das Atmen fällt im gesamten Gebäudekomplex schwer. Schimmel und Wasserflecken haben bizarre Muster in den weichen Spezialboden der Halle gezeichnet, ergänzt um Reste von ausgeschüttetem Essen und Brandflecken. Matthias Vogel schaut bedrückt auf seine 2500 Quadratmeter große Anlage, den Racket Club in der Scheffelstraße. „Innerhalb weniger Tage begann das Kondenswasser von der Hallendecke zu regnen – tropfen wäre schon nicht mehr der richtige Begriff“, schildert Vogel die Zustände, nachdem der Rhein-Neckar-Kreis weite Teile des Sportzentrums zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise Ende 2015 als Notunterkunft nutzte. Nach eineinhalb Jahren löste der Kreis die Unterkunft wieder auf, seitdem gibt es Streit zwischen beiden Parteien, der inzwischen auch die Gerichte beschäftigt.

„Der Schimmel hat die Decke völlig durchdrungen. Ich hatte zunächst gehofft, dass man das irgendwie sanieren kann, aber die Bauexperten haben nur entsetzt abgewunken. Vielleicht kann man wirklich nur noch alles abreißen.“ Vogel fällt es schwer, den ganzen Umfang seiner Situation zu begreifen. Zu sehr fühlt er sich von den Entwicklungen überrumpelt. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas bei uns passieren kann. Ich hatte immer Vertrauen in unsere Ämter und unsere Politik“, sagt der 47-Jährige.

Mit viel Eigeninitiative gestartet

1999 hatte Vogel die ehemalige Tennishalle übernommen und mit viel Eigeninitiative ein Squash- und Badminton-Center daraus gemacht, mit Saunen und kleinem Bistro. Ein Liebhaberprojekt, denn seit seiner Kindheit in Speyer ist Matthias Vogel von diesen Sportarten begeistert. Bis in die 2. Bundesliga schaffte er es, sein Hobby machte er zum Beruf.

Reich wurde er damit nie, aber für seine Ansprüche sollte es genügen. „Der Betrieb lief gut und ich hatte viele Stammgäste, die aus der ganzen Region nach Schwetzingen kamen. Es gibt ja bei uns nicht viele Anlagen, die sich auf Squash und Badminton spezialisiert haben“, erzählt er. Stolz zeigt er Bilder vom Kinderferienprogramm der Stadt, an dem der Racket Club im Sommer 2015 zum zehnten Mal teilnahm, sowie Fotos, auf denen er regelmäßige Turniere in der nicht mehr ganz frischen, aber intakten Halle festhielt.

Dann kam der Höhepunkt der Flüchtlingskrise – und der Kreis meldete sich bei ihm. Dieses Detail ist ihm wichtig: Nicht er nahm den Kontakt auf, um ein Geschäft zu machen, sondern die Behörden wollten etwas von ihm. Dieser Behauptung widerspricht allerdings das Landratsamt auf Nachfrage unserer Zeitung. Demnach habe Vogel von sich aus Kontakt aufgenommen. Unstrittig ist: Der Kreis suchte damals im Auftrag des Landes verzweifelt Notunterkünfte, tausende Menschen mussten binnen weniger Wochen versorgt werden. Der Racket Club sei dafür ideal, hieß es von der Behörde.

Den Menschen helfen

Matthias Vogel hatte selbstverständlich die Medienberichte über die dramatische Situation in Syrien und Europa mitbekommen. „Grundsätzlich war mir klar, dass diesen Menschen geholfen werden musste, das sehe ich auch heute noch so. Ob besser in ihren Heimatländern oder hier bei uns, das muss die große Politik entscheiden“, sagt Vogel. Aber seine Halle zur Verfügung zu stellen, konnte er sich erst nicht vorstellen.

Dann habe ein Mitarbeiter des Kreisordnungsamtes Druck gemacht, berichtet Vogel. „Er sagte mir, dass sie im Notfall, wenn ich nicht mitmache, die Halle beschlagnahmen müssten. Weil es einen polizeilichen Notstand gebe“, beteuert er. Er fühlte sich bedrängt, hatte aber Vertrauen in die Behörden, „dass die das schon ordentlich machen werden“. Das Landratsamt erklärt auf Nachfrage, dass 2015 tatsächlich ein „polizeilicher Notstand zur Vermeidung von Obdachlosigkeit“ vorgelegen habe. „Der Betrieb der Notunterkünfte war alternativlos“, schreibt die Pressestelle, schränkt aber ein: „Für eine ,Beschlagnahmung’ wäre der Kreis nicht zuständig gewesen.“ Die Frage, ob ein Mitarbeiter dies dennoch mündlich angedroht habe, wird nicht beantwortet.

Matthias Vogel bekam schließlich keinen klassischen Mietvertrag, sondern ein eineinhalbseitiges Schreiben vom Ordnungsamtsleiter des Kreises, das mit „Einverständnis für die Nutzung des Racket-Center Schwetzingen zur Beseitigung eines polizeilichen Notstands“ überschrieben war und das unserer Zeitung vorliegt.

Darin sind einzelne Rahmenbedingungen festgehalten, unter anderem die monatliche Nutzungsentschädigung, die Nebenkosten und dass „im Rahmen der Unterbringung entstandene Schäden, die über das normale Maß der Abnutzung hinausgehen“ vom Kreis übernommen würden. Als Nutzungszeitraum wurde bis „mindestens 31. Mai 2017“ angegeben, mit der Option auf Verlängerung.

Dann musste alles schnell gehen. Innerhalb weniger Tage ließ der Rhein-Neckar-Kreis die Sportanlage notdürftig umbauen. Am 30. Oktober wurde die Öffentlichkeit informiert, am 12. November war der Racket Club mit 250 alleinreisenden Männern voll belegt. Sie mussten in der Halle schlafen und leben, die Betten durch Bauzäune abgetrennt. Die Sanitäranlagen wurden um mobile Toiletten im Hof ergänzt, der Alltag inklusive Essensausgabe spielte sich in der Tennishalle ab. Nur die vier Squash-Plätze, die unter dem benachbarten, separaten Wohnhaus liegen, blieben mit provisorischem Eingang als Racket Club erhalten. „Aber seitdem mache ich nur noch nach Absprache auf, an einen regelmäßigen Betrieb ist seit 2015 nicht mehr zu denken“, sagt Vogel.

Desaströser Zustand

Die massenhafte Belegung der Halle führte zu massiven Feuchtigkeitsschäden und Schimmel, weil es nur vier kleine Fenster zum Lüften gab – bei 250 Menschen viel zu wenig. Die Sanitäranlagen sind in einem desaströsen Zustand. Laut Gutachten, die Vogel in Auftrag gab, verursachte ein Wasserschaden in einem der Duschbereiche Schäden bis zum angrenzenden Squash- und Wohnhausbereich. Zahlreiche Vandalismusschäden sind sichtbar über die Anlage verteilt: Nahezu sämtliche Türen sind eingetreten, viele Waschbecken abgeschlagen, Installationen und Deckenverkleidungen herausgerissen. Defekte Fenster in den Nassbereichen wurden durch einfache Bretter ersetzt, die in die Fensterrahmen gebohrt wurden und innerhalb kürzester Zeit aufquollen. Schmutz, Dreck, Schmierereien und offizielle Aushänge der Verwaltung sind bis heute nicht entfernt worden.

Diese Schäden – Kostenvoranschlägen diverser Handwerker zufolge in Höhe von bis zu 1,4 Millionen Euro – will Vogel vom Kreis beheben lassen, vorher kann er aus seiner Sicht seinen Betrieb nicht wieder nutzen. „Natürlich habe ich damit gerechnet, dass so eine Nutzung Schäden verursacht, aber doch nicht in so einem Ausmaß“, sagt er. Der Rhein-Neckar-Kreis teilt auf unsere Anfrage mit, dass sich der Gebäudekomplex „zum Zeitpunkt der Anmietung als Notunterkunft in einem gebrauchten und überwiegend renovierungswürdigen Zustand“ befunden habe. Und weiter: „Die durch die Nutzung als Notunterkunft verursachten Abnutzungen entsprechen im Wesentlichen dem Nutzungszweck und damit auch den vertraglichen Regelungen.“

Die Probleme mit Schimmel und einem daraus resultierenden möglichen Totalschaden kommentiert der Kreis wörtlich so: „Zum Zeitpunkt der Rückgabe an den Eigentümer befand sich das Objekt nicht in einem abrisswürdigen Zustand. Inwieweit sich der bauliche Zustand seither verändert hat, kann diesseits nicht beurteilt werden.“ Auch einen Rückbau der baulichen Veränderungen lehnt der Kreis ab. An verschiedenen Stellen wurden vor dem Bezug durch die Flüchtlinge Trennwände errichtet, Duschen wichen Anschlüssen von Waschmaschinen und Trocknern und die Elektrik wurde teilweise verändert, damit das Licht zentral vom Sicherheitsdienst bedient werden konnte. „Die für die Nutzung erforderlichen baulichen Veränderungen entsprechen den vertraglichen Regelungen“, schreibt die Pressestelle des Landratsamtes.

Kurzum: Der Kreis sieht den Zustand, den die Anlage zum Ende der Nutzung als Flüchtlingsunterkunft hatte, als den Vereinbarungen entsprechend an. In der eineinhalbseitigen Vereinbarung zwischen Landratsamt und Matthias Vogel werden jedoch explizit kaputte Türen und Fenster als beispielhafte Schäden genannt, die der Kreis ersetzen werde. Doch für Matthias Vogel gibt es ein weiteres Problem: Weder er noch das Landratsamt erstellten ein Übergabeprotokoll bestehender Schäden oder vereinbarten eine Kaution, bevor die Sportanlage zur Notunterkunft umfunktioniert wurde.

Inzwischen liegt der Fall vor Gericht. Zunächst hatte es Matthias Vogel mit Beschwerden beim Landratsamt und beim Regierungspräsidium versucht. Daraufhin bekam er ein Schreiben eines Anwaltsbüros, in dem seine Vorwürfe im Namen der Behörden bestritten wurden. Mit einer negativen Feststellungsklage versucht das Land seitdem, den Charakter der damaligen Nutzung als reguläres Mietverhältnis feststellen zu lassen. Gleichzeitig ist Matthias Vogel bemüht, seine Forderungen einzuklagen. Zunächst ging das Verfahren an ein Verwaltungsgericht, von dort wurde er schließlich ans Landgericht Mannheim verwiesen.

Inzwischen laufen zwei parallele Prozesse zu dem Fall, es geht auch um Zahlungen zu den Nebenkosten und die Mietdauer – und Matthias Vogel hat sich erstmals einen Rechtsbeistand geholt. Der Schwetzinger Anwalt Manfred Zipper vertritt ihn. „Der Fall ist hochkomplex – aber es ist absurd, meinem Mandanten Geldmacherei vorzuwerfen. Wenn es ihm um ein großes Geschäft gehen würde, würde er einfach sein Grundstück in bester Schwetzinger Lage verkaufen, damit ein Investor dort teuere Eigentumswohnungen errichten kann. Aber er ist Idealist und will seinen Traum einer Squash- und Badminton-Halle nicht aufgeben“, so Rechtsanwalt Zipper.

Juristische Feinheiten

Auf der Gegenseite sieht man das anders. Am Mittwoch trafen die Konfliktparteien aufeinander. Im schmucklosen Saal 4 des Landgerichts ging es um juristische Feinheiten, die Einschätzung der schriftlichen Vereinbarung, die der Vorsitzende Richter vielsagend mit den Worten kommentierte: „Es ist misslich, dass kein Vertrag aufgesetzt wurde.“ Plötzlich, mitten in der öffentlichen Verhandlung, ließ sich ein ranghoher Mitarbeiter des Rhein-Neckar-Kreises zu dem direkten Vorwurf an Matthias Vogel hinreißen: „Ihre Miete war ja auch nicht normal: Wenn acht Leute bei Ihnen Badminton spielen, verdienen Sie das nicht mal, wenn die 24 Stunden am Tag bei Ihnen spielen.“

Die Fronten sind verhärtet, eine gerichtliche Entscheidung ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Matthias Vogel will weiterhin mit seinen verbliebenen Squash-Plätzen den Racket Club am Laufen halten – auch wenn seine Besucher auf Umkleiden und Duschen verzichten müssen, von der Badminton-Halle ganz zu schweigen. „Ich würde das Sportzentrum gerne für die Schwetzinger erhalten. Vielleicht kann ich irgendwann zumindest einen Teil wieder in Betrieb nehmen und nach und nach alles renovieren“, sagt Vogel.

Info: Mehr Bilder vom Zustand unter www.schwetzinger-zeitung.de

Schwetzingen

Schwetzingen: Sportzentrum Racket Club nach Nutzung als Flüchtlingsunterkunft in miserablem Zustand

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Das war nie ideal





In der heißen Flüchtlingszeit der Jahre 2015/16 war der Racket Club eine echte Notunterkunft. Zwischen 170 und 250 junge Männer aus Ghana, Syrien, Afghanistan und Tunesien drängten sich hier. Doppelstockbetten in 16er-Gruppen waren nur durch Bauzäune und Sichtschutz aufgereiht, die Sportduschen dienten der spärlichen Hygiene, die Security zeigte sich stringent und menschlich oft überfordert.

Alle waren froh darüber, als das Landratsamt Mitte Mai 2016 verkündete, dass die Notunterkunft geräumt wird. Anwohner waren mürbe geworden von Müll und pinkelnden jungen Männern in ihren Vorgärten. Ein 30-jähriger Iraker hatte im Zug zwei Frauen belästigt, begrapscht und getreten. Andere Flüchtlinge demonstrierten gegen den Täter, weil sie nicht mit ihm in einen Topf geworfen werden wollten. jüg

Freier Autor Freier Journalist für die Region Heidelberg, Mannheim und Rhein-Neckar. Zuvor Redakteur bei der Schwetzinger Zeitung, davor Volontariat beim Mannheimer Morgen. Neben dem Studium freie Mitarbeit und Praktika u.a. beim Mannheimer Morgen, der Süddeutschen Zeitung, dem SWR und der Heidelberger Studentenzeitung ruprecht.

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