Schwetzingen. Wunderbare Musik, herrlicher Sonnenschein und bestenfalls ein kühles Getränk bei den doch kuscheligen 29 Grad Celsius – die Kunst, das Leben zu genießen, war am Dienstag im Herzen Schwetzingens allgegenwärtig. Zum zweiten Mal initiierte die Mozartgesellschaft unter Geschäftsführerin Katharina Simmert in Kooperation mit der Interessengemeinschaft Vereine, der Musikschule und dem Stadtmarketing eine Fête de la musique nach französischem Vorbild, was prima zur Woche passt: Denn am Donnerstag startet der französische Markt auf den Kleinen Planken.
Oberbürgermeister Dr. René Pöltl (im Rock-T-Shirt unterm Sakko) eröffnete das gediegene Spektakel vor dem Palais Hirsch, bei dem etwa 250 Musikerinnen und Musiker aus Schwetzingen und der Region sämtliche Genres abdeckten, die das Musikherz begehrte. Er lud die Zuhörer ein, sich durch die Straßen treiben zu lassen und einfach das Herz mit Melodien und guter Laune zu füllen. Dem kamen vor allem in den Abendstunden immer mehr Menschen nach. Sänger, Gruppen, Chöre, Solisten, große Orchester und Kapellen traten auf, um am längsten Tag des Jahres die Stadt erklingen zu lassen – und es war zauberhaft, wie auch der Applaus sowie die Bravo-Rufe der Gäste immer wieder zeigten. Betty Gentner (Tenorsaxofon) aus Altlußheim und Carl Wüst (Kontrabass) aus dem Odenwald begleiteten die Eröffnung mit trefflichen Melodien wie „Summertime“, „Michelle“ und „Girl from Ipanema“.
Schon im Fernsehen aufgetreten
Daneben warteten auf dem Schlossplatz „Nina & Simon“ auf ihren Einsatz. Die 19-jährige Nina Wink und der 17-jährige Simon Erzinger kommen aus Walldorf beziehungsweise Wiesloch. Und den Applaus verdienten sich die beiden redlich: Sie coverten nicht nur bekannte Hits, sondern glänzten mit eigenen Titeln aus dem Bereich Deutschpop und Reggae. „Ich greife dabei auf Situationen in meinem Leben zurück“, sagte die junge Künstlerin, die vor zwei Jahren in der TV-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ auftrat. In dem Titel „Sprit leer“ zum Beispiel erzählt sie im Reggaeformat und sehr humorvoll, wie ihr das Benzin auf dem Heimweg vom Supermarkt im Auto ausging. Dass in den Song auch die teuren Spritkosten einfließen, amüsierte das Publikum und so manches Geldstück landete im Gitarrenkasten. Denn, das sei an dieser Stelle auch erwähnt, alle Teilnehmenden spielten ohne Gage.
Übrigens: Nina war auch kürzlich wieder im Fernsehen zu hören und auch zu sehen. Sie wurde vom Sender RTL ausgesucht, zur Jubiläumswoche der Vorabendserie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ den Titelsong zu spielen. Straßenmusik habe sie schön öfters gemacht, erzählte sie. Unter anderem habe sie für die Flutopfer gespielt und sich gegen den Krieg in der Ukraine musikalisch stark gemacht. In Schwetzingen war die sympathische Künstlerin mit der beeindruckenden Stimme das erste Mal zu hören – und hoffentlich nicht zum letzten Mal.
Bitte tanzen!
Das trifft auch auf die Formation „Easy Blue“ mit Daniela Kock, Heidi Scheurer, Walter Hoinka, Uli Bäuerlein, Mario Herberger und Michael Engler zu. Vor dem „Walzwerk“ animierten sie mit Rock, Blues und Soul gleich mal zum Tanzen. Zum Auftakt hatten sie sich mit Holger Schneider verstärkt und schmetterten unter dem Bandnamen „Tonikum“ unter anderem das amüsante „Lass mich dein Badewasser schlürfen“ (Comedian Harmonists).
Die „Crazy Crocodiles“ sind ebenfalls keine Unbekannten in der Region. Wolfgang Eckert, Werner Lauer, Hans Nägele, Thomas Förderer und Wolfgang Mohr kamen mit ihrem neuen Schlagzeuger Wolfgang Wüsteney und unterhielten mehrstimmig mit Songs wie „Lay down Sally“ (Eric Clapton), „Reflections of my life“ (The Marmalade) oder lässigem Rock‘n’Roll (Little Richard) – da fiel es schwer, ruhig sitzen oder stehen zu bleiben. Nicht nur beim Publikum fand der Auftritt Gefallen, auch bei den Musikern, die glatt noch eine Zugabe drauflegten und somit den pünktlichen Start von „Moitié:Moitié“ (französisch für Halb und Halb) ausbremsten. Dabei hatten die Mannen um den deutsch-französischen Sänger Christophe Loetz französische Chansons aus acht Jahrzehnten dabei, die Hans-Jürgen Ott (Akkordeon), Mario Cetto (Bassgitarre), Victor Winter (Gitarre) und Wolfram Sutter (Klarinette) wunderbar interpretierten. Richtig passend für einen Abend mit Savoir-vivre. Da war so manche Zeitverschiebung bei den Auftritten auch nicht schlimm. Im Gegenteil: Gehört das doch irgendwie auch zu diesem Straßenmusikfest dazu. Wobei hier den Organisatoren in Sachen Zeitplan und Standortwahl ein dickes Kompliment gemacht werden muss. Der Aufwand kann nur erahnt werden.
Stadtkapelle macht mit Musikschule gemeinsame Sache
Komplimente haben alle Darbietungen verdient. Der Musikverein- Stadtkapelle Schwetzingen unter dem neuen Dirigenten Pascal Morgenstern brachte den Schlossplatz in den frühen Abendstunden zum Schwingen: Das Abba-Medley mit Ohrwürmern wie „Dancing queen“ und „The winner takes it all“ summten Besucher der umliegenden Lokale an den Tischen mit, Smartphones wurden zum Filmen gezückt. Daneben hatte sich Alois Willing von der Musikschule Schwetzingen mit seiner Erwachsenen-Bläsergruppe formiert. Erste Sahne, was die Frauen und Männer etwa mit „Bohemian Rhapsody“ und „La vida es bella“ darboten! Gemeinsam mit der Stadtkapelle spielten sie noch „Warriors“ in einer Techno-Brass-House-Version. Wieder ein Beispiel, welch coole und lässige Melodien Blasinstrumenten zu entlocken sind. Sowohl Alois Willing als auch Simon Abraham freuten sich über die Möglichkeit des Auftritts. „Mit Blasinstrumenten können wir normalerweise nicht so in Städten spielen“, erklärte Willing in Bezug auf die mögliche „Lärmbelästigung“. Daher genoss er auch einen weiteren Auftritt mit seinen Youngsters von den „Wellermonkeys“ alias Annika, Max, Yohann und Henrik. Die Bläsergruppe bestach dabei nicht nur durch Interpretationen etwa des „Wellerman“-Liedes, sondern zeigte auch noch Choreographien dazu. Jeder, der weiß, wie anstrengend das Spielen eines Blasinstrumentes sein kann, zieht den Hut vor dieser Mehrfachleistung, die ordentlich Pep reinbrachte.
„Wir genießen diesen Auftritt“, machte Simon Abraham als Vorsitzender des Musikvereins deutlich. Und als Spitze der IG Vereine lobte er diese Veranstaltung, ist sie doch die beste Möglichkeit, musikalische Begegnung zu leben. Das konnten alle Teilnehmenden unterschreiben, etwa auch „Joy & Mike“, ein Duo bestehend aus der philippinischen Sängerin Joy Esquivias und Musiker Mike Baumann aus Neckarau. Joy sang ohne Mikrofon und Verstärker Songs wie „Lovely“ (Billie Eilish), „All I ask“ (Adele) und eigene Titel. Kein Wunder, dass sie in ihrer Heimatregion Bicol auf den Philippinen ein Star ist.
Hobbymusiker mischen mit
Ein echter Star am Piano ist auch Christoph Scholz aus Reilingen – obwohl er nur als Hobbymusiker unterwegs ist, wie er erzählt. In der Dreikönigstraße sorgte er für Unterhaltung und hielt hier ein breites Repertoire bereit. „Ich stelle mich dabei auf die Zuhörer ein: Wollen sie Udo Jürgens, bekommen sie Udo Jürgens“, meinte der Schlagermagier an den Tasten. Der Geist von Fête de la musique blitzte übrigens genau an dieser Stelle blitzscharf auf: Denn unangekündigt gesellte sich Gabi Scholl dazu und begleitete den Mann am Klavier mit ihrer Stimme. Auf die Frage, wie es kam, erklärte sie, sie habe einfach spontan Lust gehabt.
Lust auf Musik – die hat Charly Weibel immer. Das ist bei dem beliebten Mundartsänger aus Reilingen stets zu spüren. Von ihm gab es mit „Se länt“ eine Weltpremiere, mit der er sich mit dem neuen Slogan für Baden-Württemberg „The Länd“ auseinandersetzte. Ganz kurz: Die Entscheider kamen zur Freude der Anwesenden nicht wirklich gut weg.
Mundart ist auch bei Lothar Haarmann angesagt. Er verzückte die Gäste im Hof der Arbeiterwohlfahrt, der sich erstmals für das Straßenmusikfest öffnete. Hier erklangen auch die kräftigen Männerstimmen des Liederkranzes, die musikalisch zum Feiern einluden. Der Pop- und Klassikchor des Hebel-Gymnasiums heizte die Stimmung weiter an, gefolgt von den „Alive Vocals“ und dem Sängerbund-Ensemble „d’accord“. Sabine Rebmann, die Vorsitzende des Sängerbundes, lobte die Idee der Fête de la musique und war gerne wieder mit verschiedenen Chören des Vereins dabei. Sogar die Kleinsten, die „Chorwürmer“ klinkten sich noch ein und schmetterten unter anderem das „Vois sur ton chemin“ aus „Die Kinder des Monsieur Mathieu“.
Jugendbands locken an
Im neu gestalteten Hof des Jugendzentrums „Go in“ durften zwei junge Bands aus der Region die Aufwartung machen. Bei „Cannibal Rats“ handelt es sich sozusagen um die Hausband des Jugendzentrums, wo die Gruppe auch ihren Proberaum hat. Zwar wirkten die vier Jungen bei ihrem Auftritt gegen 17 Uhr noch etwas schüchtern, präsentierten sich musikalisch aber charmant ungestüm und überzeugten mit Songs von Bands wie „Bad Religion“ und „Kraftklub“. Vor etwas besser gefüllter Kulisse spielten später „New Project“, eine Band aus 12- bis 16-jährigen Schülern der Musikschule Hockenheim. Auch hier war die Aufregung der Musiker spürbar, aber besonders der Gesang war mehr als kompetent dargeboten. Aufgrund der etwas abgelegenen Position des „Go in“ im Vergleich zu den übrigen Spielorten bestand das Publikum primär aus Verwandten der Auftretenden, aber laut Jugendreferentin Andrea Kroll seien oben am Hoftor während beider Bands immer wieder Passanten stehengeblieben und hätten kurz zugesehen und gelauscht.
Stehenbleiben und lauschen – dazu lud auch Harald Fröhlich ein. Und der Schwetzinger war recht auffällig unterwegs. Er trug nämlich passend zu seinem Instrument – einem Dudelsack – einen klassischen Stuart-Kilt in Schwarz-Blau. Von „Amazing Grace“ bis „Mull of Kintyre“ hatte der Freizeitmusiker zauberhafte Melodien im Gepäck und lud dabei mit schönen Anekdoten zu einer Reise in die Highlands von Schottland ein – „auch wenn der Blick jetzt nur Richtung St.-Pankratius-Kirche geht“. Fast hätte ihn unsere Zeitung noch mit Ute Pahl vom Kurpfälzer Bock- und Saitenensemble verkuppelt – musikalisch wohlgemerkt. Denn die suchte noch kurz vor dem Auftritt ihren Kompganon Martin Keßler, der unter anderem einen böhmischen Dudelsack, Bock genannt, spielte. Beide fanden sich schließlich und legten im Ehrenhof los.
Musikschule stark vertreten
Vom Solokünstler zum großen Ensemble: Das boten unter anderem das Schwetzinger Kammerorchester und der evangelische Posaunenchor Oftersheim/Schwetzingen. Letzterer hatten ein breites Spektrum dabei: „Erd und Himmel sollen singen“ (Zsolt Gárdonyi) erklang genauso wie das launige „Rock it“ (Michael Schütz).
„Da kommt gleich der Pink Panther um die Ecke“, witzelte ein Zuhörer, als das Ensemble „Cellissimo“ von der Musikschule Schwetzingen selbige Melodie anstimmte. Mirjam Rox und ihre jungen Cellisten Nael, Winnie, Erika, Mia, Gregor, Liv-Awen und Ida (zwischen acht und 17 Jahre alt) waren zum ersten Mal bei dem Straßenmusikfest dabei wie einige Formationen an diesem Abend. Sie wuppten ihren Auftritt toll und so mancher fühlte sich auf dem „Weg der Hofmusik“ mit den Cellospielern in andere Zeiten versetzt – wobei die Titel allesamt hipp waren, etwa „Over the rainbow“. Überhaupt: Die Musikschule war stark vertreten und machte dabei gleich prima Werbung für das Parkfest im Schlossgarten Schwetzingen am 3. Juli. Da wird sicher auch die einmalige Elena Spitzner dabei sein, die dieses Mal am Klavier ihre Gesangsschüler in Szene setzte: Selina Yilderim, Paolo Sommar, Miriam Gugau und Eilika Händel entzündeten ein kleines Begeisterungsfeuerwerk.
"Blowing in the wind" vom Balkon
Richtig launig ging es vor dem Lutherhaus zu, wo das Hockenheimer Popduo „Used“ alias Marco und Dario Klein richtig toll Musik machte. Weiter ging es dann in die Mannheimer Straße zu Rosi Goos, die mit „Veronika der Lenz ist da“ den Ton genauso traf wie Athi Sananikone mit „Stand by me“ oder „An Tagen wie diesen“ vom Welde-Balkon. Später holte er sich noch Verstärkung dazu: Mit Marlene gab es unter anderem „Blowing in the wind“.
Ein laues Lüftchen wehte später auch durch die Straßen – was wirklich gut tat. Und einmal mehr zeigte sich, dass Musik eine Wirkung auf Menschen hat, wie der Wind auf Segelschiffe. Nur dass das Manövrieren keiner Ausbildung bedarf und man sich hier einfach treiben lassen konnte. Und wenn es angezeigt war, stellte man die Segel in den Wind und verharrte einige Zeit und genoss die Musik. Und das taten die Besucher im ganz großen Stil. Musikalisch, so Ellen und Klaus Mußler, sei das hier das Paradies: „Mehr geht kaum.“ Und auch Nathalie Masur sagte, dass Schwetzingen heute Abend eine der schönsten Städte der Welt sei. Es sei nur schade, dass solch ein musikalisches Fest in ihrer Heimat gerade unmöglich sei. Vor wenigen Wochen ist sie mit ihrer Tochter aus Kiew (Ukraine) nach Deutschland gekommen. Aber was auch immer passiere, diesen Abend in Musik gehüllt wird sie nicht vergessen.
Trommelrhythmen, die Laune machen
Dazu gehören sicher auch die acht Trommler von „Sunucraft Rhythm“. Sie versprühten passend zu den Temperaturen einen Hauch von Afrika.
Apropos Hitze: Es schien fast so, als würde das Stimmungsbarometer mit dem Sinken der Sonne steigen. Für die 15-jährige Charlene fühlte es sich jedenfalls fast wie Urlaub an. „Nur blöd, dass ich morgen in die Schule muss.“ Und auch Lucas, 16 Jahre alt, verlieh der Fête de la musique mit der Formulierung „ist schon sehr cool“ den jugendlichen Ritterschlag. Es war eine Formulierung, die auf den Auftritt der Blue Note Big Band aus Neustadt geradezu maßgeschneidert passte. Das war schon ein sehr cooler Sound zur blauen Abendstunde. Musik, das wurde hier einmal mehr dick unterstrichen, kann glücklich machen. Vor allem wenn man sie in so einem Rahmen genießt. Für Achim Hahn ist das hier richtig groß. Das Wetter, die Piazza-Atmosphäre und die Big Band seien ein Mix, der kaum zu toppen sei. „Einfach toll.“
Die Fête de la musique, das dürfte trotz des erst zweiten Geburtstages sicher sein, gehört schon jetzt zum musikalisch intensivsten Herzschlag der Stadt. Ohne geht das in Zukunft nicht mehr.
In eigener Sache: Die Berichterstattung stellt lediglich einen Auszug aus dem großartigen Angebot dieses Straßenmusikfestes dar und hegt keinen Anspruch auf Vollständigkeit beziehungsweise Nennung aller Beteiligten.
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