Fluthilfe

Schwetzingens Oberbürgermeister Dr. René Pöltl in Sinzig

Schwetzingens Oberbürgermeister macht sich selbst ein Bild von den Schäden in Sinzig. Der dortige Bürgermeister Andreas Geron, selbst von der Flut Betroffener, zeigt die Schäden sowie Bilder und Videos aus der Flutnacht.

Von 
Jürgen Gruler
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Sinzig am Morgen des 15. Juli 2021. Die Flut schwillt hier schon wieder ab. Die Ahr sucht sich den Weg durch Straßen und Gärten. © Geron

Schwetzingen. Zehn Monate ist es jetzt her, seit sich für die Menschen im Ahrtal die Welt verändert hat. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 haben sie oft alles verloren – 42 000 Betroffene zählen die Behörden. Mindestens 17 000 stehen bis heute vor erheblichen Schäden. Die Flut reißt 467 Gebäude mit sich, darunter 192 Wohnhäuser. Von den 4200 Gebäuden entlang der Ahr sind geschätzt mehr als 3000, also gut 70 Prozent, beschädigt worden. Und noch immer ist das zu sehen, sind die Menschen traumatisiert und die Reparaturarbeiten und der Wiederaufbau noch lange nicht abgeschlossen.

Zwei Spezialisten für die Polizeigesetze ihrer Länder begegnen sich in Sinzig erstmals persönlich. OB René Pöltl und Bürgermeister Andreas Geron hatten bisher nur tele-foniert. Rechts ist Susanne Nagel von der Stadtkämmerei zu sehen. © Gruler

Das führte mir jetzt eine Fahrt nach Sinzig mit dem Schwetzinger Oberbürgermeister Dr. René Pöltl und der Leiterin der Stadtkämmerei, Susanne Nagel, vor Augen. Der dortige Bürgermeister Andreas Geron, selbst von der Flut Betroffener, zeigt uns die Schäden sowie Bilder und Videos aus der schrecklichen Flutnacht, die er vor Ort aufgenommen hat. Und er schlüsselte lückenlos auf, für was die bislang 334 000 Euro verwendet wurden, die die Kurpfälzer für die gemeinsame Aktion Schwetzinger Zeitung/Hockenheimer Tageszeitung unter Schirmherrschaft der hiesigen Gemeindeoberhäupter gespendet haben. „Schön, dass Sie persönlich zu uns kommen, wir sind so unendlich dankbar für Ihre Hilfe“, begrüßt uns Bürgermeister Geron im Sinziger Rathaus, das etwas erhöht steht und keinen Schaden genommen hat.

Spendenkonten der Schwetzinger Zeitung



Die Zerstörungen in den Flutgebieten in Deutschland sind schrecklich: In einer Initiative der Schwetzinger Zeitung sicherten alle Oberbürgermeister und Bürgermeister aus unserem Verbreitungsgebiet ihre Unterstützung zu. Auch wir möchten den Menschen in den betroffenen Gebieten helfen. Die Stadt Schwetzingen hat Spendenkonten eingerichtet und übernimmt die Abwicklung. Spendenbescheinigungen sind möglich. Spenden Sie mit dem Stichwort: Fluthilfe 2021

Jeder Euro wird bei den Menschen in Sinzig ankommen. Bürgermeister Andreas Geron hat zugesagt, dass seine Mitarbeiter bei der Auswahl der Hilfsbedürftigen helfen.

Schnell haben sich die Stadtoberhäupter verstanden, immerhin haben beide in ihrem Bundesland eine Kommentierung des Polizeigesetzes geschrieben – die sie nun austauschten, und Bildbände zu den Städten gab es zusätzlich als Gastgeschenk. Aber dann ging es zum Wesentlichen. Geron lud zum Stadtspaziergang ein, schildert die skurrile Situation am 15. Juli, dem Tag nach der Flut, als in der Kernstadt, die höher liegt, die Menschen in den Straßenlokalen sitzen und es sich gut gehen lassen, und 800 Meter weiter die Bürger vor dem Scherbenhaufen ihrer Existenz stehen und doch froh sind, überhaupt noch am Leben zu sein.

Szenen, die man nicht vergisst

Keine 300 Meter sind es, bis die ersten Spuren der Katastrophe auftauchen. In der Friedrich-Spee-Straße steht beinahe in jeder Hauseinfahrt ein Handwerkerfahrzeug. Immer wieder Haufen mit abgeschlagenem Putz, mit Bauschutt und aufgequollenen Möbelstücken. Rechts wird gerade der Garten eines Hauses neu angelegt, links die Einfahrt neu gepflastert. Das alles war weggespült. An den Hauswänden kann man ablesen, wie hoch das Wasser stand. Je weiter es Richtung Ahr geht, desto mehr Häuser haben das gesamte Erdgeschoss eingebüßt, die Keller ja sowieso. In den meisten Fällen machte der Pegelstand exakt am ersten Obergeschoss halt, der eine oder andere Bungalow stand bis zum Dachstuhl im Wasser.

Bürgermeister Andreas Geron zeigt OB Pöltl einen Abstellplatz mit in Sinzig bei der Flut angeschwemmten und zerstörten Autos. © Jürgen Gruler

Andreas Geron, der selbst hier in einer Seitenstraße zu Hause ist, beschreibt es so: „Ich habe noch versucht, was aus dem Keller zu holen, ich sammle Gesellschaftsspiele, die alle davon geschwommen sind oder zerstört wurden, aber das Wasser kam so schnell, dass ich nach oben bin, dort beobachtete ich aus dem Badfenster, wie alles ringsum unterging und ich wusste nicht, ob das Wasser überhaupt Halt macht. Da schwammen Autos, Bäume, Zäune, ein mit Sand gefüllter Container vorbei. Es war furchtbar. Ich habe die Bilder immer wieder vor Augen“, erzählt er. Und zeigt uns an den jeweiligen Stellen, die wir besuchen, Bilder und Videos aus der Flutnacht und vom Tag danach, die er teils selbst aufgenommen hat oder die ihm Mitbürger geschickt haben.

Unfassbare Gewalt des Wassers

Von der Friedrich-Spee-Straße aus ist die Ahr jetzt noch gar nicht zu sehen. Allenfalls die Straßenbrücke der B 9, die inzwischen endlich wieder befahrbar ist, deutet auf einen Fluss hin. Über einen Schotterweg geht es in die Ahrwiesen, wo sich inzwischen wieder das Grün den Weg durch den Schlamm sucht, dann sehen wir sie, die Ahr – zahm und eher wie ein breiter Bach plätschert sie dahin. Das Ufer links und rechts ist abgebrochen. Geron sagt: „Die Ahr liegt hier bei uns jetzt fast einen halben Meter tiefer als bisher. Die Wassermassen und das Geröll sowie der mitgeschleppte Schutt haben quasi das Flussbett ausgebaggert.“ Wir stehen mit offenen Mündern da: „Mein Gott, was das Wasser für eine Gewalt hat“, sagt OB René Pöltl. Geron erzählt von der Kläranlage, die auch völlig zerstört wurde, der Zweckverband muss alles neu bauen – an einer Stelle, die sicherer ist.

Diese Straßenbrücke hat das Hochwasser überstanden, das Ufer ist inzwischen neu angelegt, die Ahr lief über die Brücke hinweg. © Jürgen Gruler

Aber sicher fühlten sich in Sinzig eigentlich alle, denn die Bebauung, die wir sehen, ist 200 oder 300 Meter weg von der Ahr, nicht mal im Bereich von hundertjährigen Hochwassern. „Der Fluss war 600 Meter breit, suchte sich ganz neue Wege über Straßen und Wiesen. Bei der Sinziger Mineralbrunnen GmbH wurden viele Tausend Kästen mit leeren Pfandflaschen weggeschwemmt – ein Millionenschaden entstand. Inzwischen produziert sie wenigstens wieder. Tagelang waren Unglücksgewinnler unterwegs, um die Kästen zu klauen und anderswo das Pfand zu kassieren. Was die Sinziger erlebt haben, kann man kaum beschreiben. Ordnungsamt, Feuerwehr, das Technische Hilfswerk, das hier zu Hilfe kam, und die Polizei hatten alle Hände voll zu tun.

200 Menschen sind gegangen

Gerade werden Leitungen neu verlegt, Gas, Wasser, Abwasser, auch das ist alles zerstört worden. Erst nach und nach können die betroffenen Häuser wieder versorgt werden. Es stehen quasi sämtliche Erdgeschosse leer, Fertighäuser müssen komplett abgerissen werden, weil die Holzständerwände aufgequollen sind und keine Standsicherheit mehr bieten. Wer nicht im Obergeschoss wohnen kann, ist noch immer bei Verwandten untergebracht oder in einer der beiden Tiny-Haus-Siedlungen, die aus Fernsehspendengeldern finanziert wurden.

Im Vordergrund das zerstörte Ufer mit allerlei herausgerissenen Leitungen. Oben das Clubheim stand komplett unter Wasser. Links der neue Radweg wirkt fast fremdartig. © Jürgen Gruler

Ein Zeichen ist, dass der Christinensteg jetzt wieder da ist, der weggeschwemmt war und das Stadtgebiet mit dem Ahr-Stadion verbunden hat, das es allerdings auch nicht mehr gibt. Wir gehen Richtung Barbarossa-Schule. Es stehen Container im Hof, denn das gesamte Erdgeschoss der zweistöckigen modernen Schule kann nicht genutzt werden. Die Mensa, die wenige Wochen vor der Flut eingeweiht worden war, ist komplett zerstört. Der Schulbetrieb läuft trotzdem weiter.

Ein Stück weiter wurde bis jetzt noch immer täglich eine warme Mahlzeit ausgegeben, weil Anwohner nicht selbst kochen konnten. Das hat die Stadt viel Geld gekostet. Am Brückenkopf steht das historische Gebäude der Stadtwerke – ein Totalschaden. In der Nähe wurde auch der Infopoint eingerichtet, in dem mehrere Ehrenamtliche den Bürgern bei ihren Hilfsanträgen ans Land (sehr kompliziert) und an die Versicherungen unterstützen. Wir gehen auf die einzige komplett stehengebliebene Sinziger Brücke und schauen auf vier Wohnblocks. Nur noch drei oder vier Familien wohnen in den oberen Stockwerken, in den unteren lässt sich noch die Schlammlawine erahnen, die quer durchging. Ein Wunder, dass hier niemand umgekommen ist. An der Straße steht eine der Tiny-Haus-Siedlungen, eine ältere Dame, die alles verloren hat, hat zwei Blumenkübel an die Holzbrüstung gehängt, sagte „tausendmal Danke an die Schwetzinger“ von deren Hilfe sie gelesen hat und fragt den Bürgermeister, wie lange sie hier wohnen darf. „Bis nächstes Jahr ist alles gesichert“, sagt der. Es ist schwer, Wohnraum zu finden, der Markt ist leer gefegt, obgleich auch hier 200 Menschen die Stadt verlassen haben und nicht mehr hier wohnen wollen.

Ein städtisches Wohnhaus mit günstigen Wohnungen für Bürger, die Hilfsleistungen beziehen. Man sieht gut, bis wo das Wasser stand, es muss abgerissen werden. © Jürgen Gruler

Jetzt gehen wir noch ein Stück den früheren Ahrtal-Radweg entlang. Teile sind einfach weggeschwemmt worden, andere sind unterhöhlt, die Benutzung ist eher mit Mountainbikes und auf eigene Gefahr angeraten. Geron zeigt noch in Richtung Hang. Dort verlief die einzige noch intakte Verbindungsstraße, die Räumpanzer der Bundeswehr kamen dort entlang, die Straße ist jetzt kaputt, muss auch neu gemacht werden. Da es aber kein Flutschaden ist, ist die Finanzierung völlig unklar. So gilt es noch viele bürokratische Hürden zu überwinden. Auch die Frage der künftigen Bebauung und die Frage, ob da Bebauungsplanverfahren nicht vereinfacht werden müssten, um Tempo in den Wiederaufbau zu bekommen, liegt bei Bund und Land. „Es müsste jetzt einfach Befreiungen geben, um schnell handeln zu können“, sagt Geron. Pöltl versteht das gut.

Jeder Cent geht an die Bürger

Stadtkämmererin Antje Thürmer stößt zu uns, erklärt, wie die Verteilung der Spenden funktionierte. Drei Wochen nach der Flut hatten alle Betroffenen eine Soforthilfe bekommen. Aus den Spendengeldern aus Schwetzingen und den eigenen beiden Spendenkonten, die eingerichtet wurden, haben dann 460 besonders stark betroffene Haushalte nochmals einen Zuschuss für die Sanierung ausbezahlt bekommen. Sie versichert: „Kein Euro ist für Verwaltungsarbeit verwendet worden, alles ging an die Menschen. Eine Kommission aus allen fünf Gemeinderatsfraktionen und Experten haben sich alle Anträge angeschaut und vor Ort geprüft. Es ist alles an Privatpersonen ausbezahlt worden. Für Straßen, Wege und Firmenschäden wird nichts verwendet, dafür gibt es die Zuschüsse vom Land und Bund. Dafür stehe ich.“ Susanne Nagel fragt nach, wie lange sie glaubt, dass die Beseitigung der Schäden noch dauern wird: „Fünf Jahre mindestens“, meint Antje Thürmer und der Bürgermeister nickt. Auch beim ihm zu Hause ist noch lange nicht wieder alles in Ordnung.

Dann erzählt er noch folgende Geschichte: „Ich war mit meiner Familie zu Halloween im Holiday-Park Haßloch. Die hatten dort Schrottautos als Dekoration. Als wir das gesehen haben, sind uns allen vier die Tränen runtergelaufen.“

Chefredaktion Jürgen Gruler ist Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung.

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