Im Interview

Schwetzinger Kammerchor übersetzt das Leid Jesu in Musik

Der Leiter des Schwetzinger Chors „Quatro Forte“, Alexander Gütinger, spricht über die kommende Aufführung von Bachs Johannespassion an diesem Sonntag, 17. März.

Von 
Jakob Roth
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Der Schwetzinger Kammerchor "Quatro Forte" wird die Johannespassion aufführen. © Annika Staudt

Schwetzingen. Das Jahr 1723: Johann Sebastian Bach ist der neue Thomaskantor in Leipzig. Seine Aufgabe ist es, Kantaten und Choräle für die Gottesdienste der Thomaskirche und für den hauseigenen Thomanerchor zu komponieren. Weil Bach ein Mann des Glaubens ist, nimmt er seine Arbeit sehr ernst. Seine Kompositionen werden schon zur damaligen Zeit hochgeschätzt – Bach ist ein Ausnahmetalent. Als Thomaskantor wird er deshalb auch oft mit Großprojekten betreut, so auch 1723: Für die Karfreitagsfeier wird eine Passionsmusik benötigt.

Das ist ein langes Chorstück, das die biblische Leidensgeschichte Jesu, von der Verhaftung über den Tod am Kreuz bis zur Grablegung, kunstvoll vertont. Vier Evangelisten erzählen diese Geschichte: Markus, Matthäus, Lukas und Johannes – jeder von ihnen auf eine eigene Art und Weise. Basierend auf dem Johannesevangelium komponiert Bach also gemäß seinem Auftrag die „Johannespassion“.

Alexander Gütinger. © Annika Staudt

Dieses Werk fordert Solisten, Chor und Orchester gleichermaßen heraus. Die Sänger nehmen, wie bei einem szenischen Singspiel, verteilte Rollen ein. So wird die biblische Handlung vom Evangelisten (Tenor) in Rezitativen erzählt. Wörtliche Rede wird von den handelnden Personen selbst gesungen. Immer wieder wird die Handlung auch von Dritten kommentiert: von der gesamten Christenheit in Chorälen und von Menschenmassen innerhalb der biblischen Geschichte in den sogenannten „Turba-Chören“. Weil die Geschichte somit nicht konzertant, sondern in verteilten Rollen gesungen wird, spricht man bei Bachs Johannespassion von einer „oratorischen Passion“. Diese will der Kammerchor „Quatro Forte“ zusammen mit dem Ensemble „Neumayer Consort“ aus Frankfurt am Sonntag, 17. März, um 17 Uhr in der Schwetzinger Kirche St. Maria aufführen.

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Im Interview spricht der Chorleiter Alexander Gütinger über die bevorstehende Aufführung dieses Meisterwerks.

Herr Gütinger, wie würden Sie die Atmosphäre der Johannespassion einordnen, auch im Vergleich zur Matthäuspassion Bachs?

Alexander Gütinger: Im Vergleich zur Matthäuspassion ist die Johannespassion zirka eine Stunde kürzer und daher in meinen Augen dynamischer. Der Chor hat kaum Pausen und ist ständig gefordert: als aufgebrachte Volksmenge in den Turba-Chören, aber auch kommentierend in den Chorälen. Dieser Wechsel von plastischer Erzählung der Leidensgeschichte und Kommentierung in den Chorälen und den Arien macht die Johannespassion für mich zu einem ganz besonderen Werk.

Die Johannespassion ist ein anspruchsvolles Werk – wie intensiv war die Probenarbeit mit „Quatro Forte“?

Alexander Gütinger: Eigentlich war die Aufführung unserer Johannespassion schon für den 29. März 2020 geplant. Entsprechend bitter war es für alle Beteiligten, dass mit dem Lockdown dieses Projekt kurz vor der Aufführung auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste. Uns war aber klar: Wir können einen neuen Termin erst ausmachen, wenn klar ist, dass die Aufführung nicht wieder wegen Corona abgesagt werden muss – daher bin ich sehr froh, dass wir nun in ein paar Tagen endlich dieses schöne Werk singen können. Im Sommer 2023 fingen wir wieder mit den Proben an, allerdings im Wechsel mit den Stücken für die Weihnachtsandacht. Im Chor hat die Coronazeit auch einen leichten Wechsel in der Besetzung ausgelöst, sodass wir eigentlich wieder von vorne mit der Probenarbeit beginnen mussten.

Karten

  • Wer sich Johann Sebastian Bachs Johannespassion anhören möchte, hat Glück, denn das Konzert ist noch nicht ausverkauft. Karten für das Konzert sind bei der Buchhandlung Kieser (Schwetzingen) oder an der Abendkasse erhältlich und kosten jeweils 20 Euro.
  • ür Schüler, Studierende und Fördermitglieder gibt es eine Ermäßigung – diese Karten kosten daher nur 15 Euro. Kinder bis einschließlich zwölf Jahre haben freien Eintritt.

Wie konnten Sie Ihre Solisten gewinnen?

Alexander Gütinger: Schon als Zwölfjähriger kam ich im Windsbacher Knabenchor in Kontakt mit Profi-Sängern, die mit uns musiziert haben. Zwei der beteiligten Solisten kenne ich aus dieser Zeit: Jörg Dürmüller, der mit uns einige Aufführungen als Solist gemacht hat, und Peter Schöne, der mit mir gemeinsam im Knabenchor gesungen hat und mittlerweile in Saarbrücken am Theater ist. Sarah Behrendt und Thomas Nauwartat-Schultze habe ich in Mannheim kennen und schätzen gelernt. Leider musste Philip Niederberger krankheitsbedingt absagen, daher freue ich mich sehr, dass Luciano Lodi ihn kurzfristig in der Rolle des Christus vertreten wird. Der Schwetzinger Kammerchor Quatro Forte macht wenige Projekte mit Solisten und Orchester, daher ist es mir sehr wichtig, dass die Zusammenarbeit mit den Sängern neben der musikalischen Dimension auch menschlich gut funktioniert. Gleiches gilt für das Ensemble für alte Musik mit dem Namen „Neumeyer Consort“, mit dem wir seit 14 Jahren gemeinsam und mit großer Freude musizieren.

Haben Sie den Eindruck, dass durch Bachs vertonten Bibeltext ein tieferes Verständnis der Leidensgeschichte Jesu gefördert wird?

Alexander Gütinger: Ja, ich bin davon überzeugt, dass Bachs Musik direkt zu den Menschen spricht und beim Zuhörer besonders intensive Emotionen auslösen kann. Musik ganz allgemein transportiert Inhalte noch einmal anders, als gesprochenes Wort das kann. Und Bachs Musik ganz besonders – allein schon durch seine Art, besondere Silben und Worte harmonisch sowie durch seine Melodieführung hervorzuheben.

Welche Arien, Turba-Chöre, Choräle oder Rezitative waren besonders schwierig zu proben?

Alexander Gütinger: Die größte Schwierigkeit für den Chor liegt meines Erachtens in dem ständigen Wechsel von dramatischen Ausrufen wie „kreuzige ihn“ und sehr innigen Passagen, in dem wir als heutige Christen zu Wort kommen, mit der Frage: „Wer hat dich so geschlagen?“

Wie groß ist die Besetzung?

Alexander Gütinger: Wir singen das Konzert mit relativ kleiner Chorbesetzung, hier müssen alle stimmlich sehr präsent und aufmerksam sein, aber auch schnell umschalten können.

Für welches Publikum ist die Johannespassion geeignet?

Alexander Gütinger: Ich glaube, dass Bachs Musik universell zugänglich ist und jeder etwas mitnehmen kann. Das Orchester spielt auf historischen Instrumenten, was dem Klang einen unmittelbaren und lebendigen Charakter verleiht.

Was nimmt der Zuhörer aus diesem Werk mit?

Alexander Gütinger: Aus den Aufführungen, die ich bisher als Sänger oder als Zuhörer miterlebt habe, kann ich sagen, dass dieses Werk sehr betroffen macht und sehr berührend ist. Der Zuhörer wird aus dem Alltag entführt und bekommt die Gelegenheit, sich auf die Leidensgeschichte Jesu zurückzubesinnen. Und so wie die Fastenzeit, in der wir uns befinden, religiösen und nichtgläubigen Menschen gleichermaßen die Gelegenheit gibt, auf Dinge zu verzichten, so ist das Nacherleben der Leiden Jesu durch Bachs Vertonung in meinen Augen auch für Nichtchristen deutlich spürbar.

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