Schwetzingen. Bürgermeister, Pfarrer, Arzt, Richter, Brauereibesitzer und Verleger – das waren zu seiner Geburt 1953 die wichtigsten Personen in einer Stadt wie Schwetzingen. Jetzt feiert Welde-Chef Dr. Hans Spielmann seinen 70. Geburtstag, blickt auf seine Zeit an der Spitze der Braumanufaktur zurück und gibt Einblicke in sein Denken und Handeln. Dass er heute für Gratulanten nicht vor Ort ist, liegt an einem Geschenk, einer Bergtour in Südtirol, zu der er eingeladen wurde. Wir haben ihn kurz vor der Abreise gesprochen.
Wie war eigentlich die Kindheit als Sohn eines Brauereichefs?
Hans Spielmann: Ich bin ja quasi in der Brauerei aufgewachsen, wir haben dort gewohnt. Ich habe noch Pferdefuhrwerke gesehen, die bei uns den Treber abgeholt haben. Wenn ich Taschengelderhöhung wollte, musste ich die Bügelverschlüsse öffnen oder Flaschen sortieren. Zu tun war immer was. Meine erste Seifenkiste habe ich in der Werkstatt der Brauerei zusammengeschraubt. An den Wochenenden sind wir zu einem der Wirte gefahren, die wir beliefert haben und aßen dort zu Mittag, haben sozusagen eine „gute Rechnung gemacht“, um die Kundenbeziehung zu pflegen. Am sogenannten Montagsstammtisch im Stammhaus saß mein Vater mit den wichtigen Handwerksmeistern und Geschäftsleuten zusammen – da wurden dann Aufträge vergeben und Geschäfte gemacht. Als ich zur Welt kam, wurde vor Freude die Fahne gehisst, denn die Eltern waren glücklich darüber, dass „ein männlicher Erbe“ geboren war. Das hatte es lange nicht gegeben, vorher haben die Frauen die Brauerei über die Kriegszeiten gebracht, das war keine einfache Zeit.
Wann stand denn für Sie fest, dass Sie die Brauerei übernehmen?
Spielmann: Darüber gab’s in der Familie gar keine Diskussionen. Das stand fest, weil ich neben meinen beiden Schwestern der einzige Junge war. Ich wurde nie gefragt, ob ich das will, es war selbstverständlich. Aber als 14-Jähriger habe ich doch gezweifelt, ob das was für mich ist. Denn irgendwie mochte ich Bier gar nicht so, der Schaum, den ich abtrinken durfte, war mir zu bitter. Für mich war klar, dass ich beruflich nur etwas machen kann, was ich auch mag. Brauereichef zu sein, ist ja kein Job wie jeder andere, das muss man schon mit Herzblut wollen. Zum Glück hat sich mein Geschmack geändert und ich habe gern das Brauen gelernt. Das war ja die Zeit, als die großen Konzerne entstanden sind. Dr. Oetker und Binding kauften eine Brauerei nach der anderen auf, hier bei uns die Habereckl in Mannheim oder die Schwanen in Schwetzingen. Da wurden dann die Grundstücke verwertet, die Leute entlassen und das Bier in Frankfurt hergestellt. Es schien vorbei zu sein mit der handwerklichen Braukunst. Neue Methoden erlaubten die industrielle Bierherstellung binnen einer Woche – das sorgte natürlich für enorme Kosteneinsparungen bei den Großen. Die Qualität blieb auf der Strecke.
Auch Welde hat sich ja damals durch den Umzug nach Plankstadt neu aufgestellt?
Spielmann: In der Herzogstraße hat es einfach nicht mehr funktioniert. Der Lastwagenverkehr nervte die Anwohner und die Logistik war ständig zu klein. Einige Nachbarhäuser konnten wir kaufen, andere weigerten sich strikt. Wir mussten an einen anderen Platz. Mein Vater hat Gespräche mit der Stadtverwaltung geführt, aber dort hat man ihm nur ein Grundstück hinterm Friedhof angeboten. Er brauchte ja einen Trinkwasserbrunnen und fand, dass der auf keinen Fall neben dem Friedhof gebohrt werden kann. Er hat dann den Vorschlag gemacht, auf der anderen Seite der Stadt, wo heute das Bellamar steht, neu zu bauen. Das lehnte man strikt ab, dort werde niemals gebaut, hieß es da noch. Er hat die Nachbarbürgermeister informiert, von denen sofort mehrere gute Grundstücke angeboten wurden. Unter anderem in Plankstadt. Als wir dort dann bei einer Probebohrung in 172 Metern Tiefe auf Mineralwasser gestoßen sind, war die Entscheidung klar. Die Brauerei gehörte dann zum Modernsten, was es damals auf der Welt gab. Alles war auf einer Ebene, das erleichterte die Arbeit immens.
Und doch ist Welde irgendwie ein Schwetzinger Betrieb geblieben?
Spielmann: Wir wollten die lange Tradition nicht aufgeben. Der Sitz der Verwaltungsgesellschaft ist weiterhin Schwetzingen und auch unsere Brauereigaststätte blieb ja immer mittendrin. Wir sehen uns da schon weiterhin als identitätsstiftend. Und das sehen unsere Kunden auch so.
Bekommen Sie eigentlich noch immer Fotos geschickt von Menschen, die irgendwo in der Welt eine Welde-Flasche öffnen?
Spielmann: Ja, das ist doch total schön. Welde ist ein Stück Heimat zum Mitnehmen. Durch unsere Flaschenform sind wir ja superschnell zu erkennen. Ich habe vor einigen Jahren Bilder bekommen von einem Schwetzinger, der im Kaufhaus GUM am Roten Platz in Moskau ein Welde gekauft hat, andere nehmen es mit auf ihre Reise und fotografieren sich im Toten Meer mit Welde No. 1. Kurpfälzer, die lange nicht mehr hier wohnen, freuen sich beim Verwandtenbesuch zu Weihnachten schon auf ein Weldebier oder auf ein Kurpfalz Bräu.
Ihr Vater hat die Brauerei noch sehr traditionell geführt, Sie haben dann die Flaschen tanzen lassen. War es schwierig, ihn vom neuen Weg zu überzeugen?
Spielmann: Eindeutig ja. Ich glaube, dass jeder Welde-Chef der jeweils genau Richtige zu seiner Zeit war. Mein Vater hat eine tolle Aufbauarbeit geleistet, er hat die Tradition gepflegt und mit dem Neubau den Weg in die neue Zeit geebnet. Er hat aber auch zu mir gesagt: „Wenn Du es so weitermachst, wie ich es jetzt mache, dann ist es richtig.“ Das stimmte schon nicht mehr. Darüber haben wir auch Auseinandersetzungen gehabt. Er war komplett gegen die „zu teueren neuen gedrehten Flaschen“. Mir war aber klar, dass wir gegen die Großen am Markt nur bestehen können, wenn wir kreativ anders und einfach kultig und schick werden. Das ging bis dahin, dass uns das Magazin Penthouse zum „erotischsten Bier Deutschlands“ kürte. Als mein Vater immer wieder Entscheidungen von mir infrage stellte, habe ich ihn gefragt, ob er sich nicht lieber einen anderen Geschäftsführer suchen will. Da hat er umgeschwenkt und mir freie Hand gelassen.
Wie viel freie Hand lassen Sie heute Ihrem Sohn Max, der ja jetzt in der Geschäftsführung ist?
Spielmann: Ich bin fest davon überzeugt, dass er genau der Richtige für die jetzige Zeit ist. Max verkörpert das, was unsere Braumanufaktur in der Zukunft sein will – handwerklich, nachhaltig und regional. Bei unseren Rohstoffen und bei unseren Produkten. Ich bin für ihn immer erreichbar, wenn er was fragen will und ansonsten bin ich noch einen Tag in der Woche in der Brauerei. Für mich ist es wichtig, dass Max alles weiß und alle Arbeiten erledigen kann. Ich habe mich wirklich sehr gefreut, dass er eingestiegen ist, und meine Frau und ich waren sehr stolz darauf, als er im Augustiner in München als Jahrgangsbester den Braumeisterbrief bekommen hat. Es ist toll, wie er sich in die Craft-Beer-Szene einbringt und als Biersommelier sogar Teil der Nationalmannschaft war. Er bringt hier einen neuen Stil und frischen Wind rein – da wundere ich mich über manche Sachen und freue mich, wenn es funktioniert.
Welde ist ja nie das billigste Bier im Getränkemarkt, was macht es dennoch so beliebt in der Region?
Spielmann: Rhein und Neckar waren schon früh die Autobahnen Deutschlands. Sie brachten Menschen von überall her zu uns, die Kurpfälzer wurden dadurch weltoffen und tolerant. Ich glaube, dass unser Welde-Bier auch so ist. Es passt in die Kurpfalz mit ihren vielen Einflüssen und mit ihren Menschen, die gerne genießen und sich der Kultur öffnen. Wäre die Welde-Brauerei in Norddeutschland, dann würden wir ein herbes Pils brauen, in Süddeutschland mag man ein leichteres Helles. So hat jede Region ihre regionalen Vorlieben, die sich gerade in den Bieren der dort ansässigen Familienbrauereien spiegeln. Das Wasser und die Sommergerste aus der Region spielen dabei eine wichtige Rolle. Schade, dass es nur noch in Sandhausen ein wenig Hopfen gibt, den wir gerne verwenden. Früher hat es auf dem Schlossplatz einen Hopfenmarkt gegeben, auf den die Bauern ihren Hopfen gebracht haben und der dann das eigene Schwetzinger Qualitätssiegel bekommen hat.
Warum setzen Sie heute neben der Marke Welde zusätzlich auf die Marke Kurpfalz Bräu?
Spielmann: Ich vergleiche das gerne mit dem Radio. Der SWR hat auch verschiedene Programme für unterschiedliche Geschmäcker. Wir haben uns in den 1950er Jahren den Namen Kurpfalz Bräu schützen lassen und jetzt alte Rezepte wieder aufgelegt. Die Aufmachung und die traditionelle Flasche passen prima dazu. Und wir bedienen damit einen anderen Geschmack. Wichtig ist uns, dass alles, was die Brauerei verlässt, eine hohe Qualität aufweist.
Wo liegt der Unterschied zwischen Welde und den Bieren, die Sie gerne Fernsehbiere nennen?
Spielmann: In der Art, sie herzustellen. Ein industriell gefertigtes Bier ist binnen einer Woche fertig, aber ihm fehlt der Charakter, alle schmecken in etwa gleich. Ich kann Ihnen das bei einer Blindverkostung sofort sagen und wir haben mal bei einem Kurs von Weinsommeliers eine Verkostung gemacht. Fast alle haben geschmeckt, welches Bier das Regionale von hier ist. Unser Bier kann in sechs bis acht Wochen seinen Charakter und Geschmack entwickeln.
Steht deshalb Slow Beer drauf?
Spielmann: Ich war ja zu meinem 60. Geburtstag auf einer Weltreise, habe 23 Familienbrauereien in 17 Ländern besucht und mit den Eigentümern Interviews geführt. In Südafrika habe ich bei einer sehr erfolgreichen Brauerei etwas gelernt. Der dortige Chef erzählte mir, dass er seinen Kunden sage, welche Unterschiede zwischen der großen Bierraffinerie im Land und ihm besteht. Das Bier wird handwerklich gebraut, darf reifen und hat Geschmack. Da habe ich gemerkt, dass es keinen Sinn macht, wie alle anderen das Wort Premium-Pils draufzuschreiben. Wir unterziehen uns heute einer strengen unangemeldeten jährlichen Kontrolle unserer Brauvorgänge, um das Slow-Beer-Siegel führen zu dürfen, monatlich müssen wir Proben ins Prüflabor schicken. Damit wollen wir unseren Kunden sagen, dass sie bei uns etwas Besonderes bekommen. Wir sparen nicht bei den Rohstoffen, auch wenn eine schwierige Ernte wie 2022 die Sommergerste und den Aromahopfen mal teuerer macht. Das zahlt sich über Jahrzehnte aus und wenn Kunden von unserer Qualität überzeugt sind und wissen, dass das Bier ohne lange Transportwege zu ihnen kommt, dann sind sie bereit, mit uns eine Preisanpassung zu gehen.
Haben Sie nicht manchmal darüber nachgedacht, den ganzen Laden zu verkaufen, wie andere aus der Region es getan haben?
Spielmann: Welde hat eine so lange Tradition. Ich habe die Brauerei nur für eine Generation geliehen bekommen. Deshalb war es mir auch immer wichtig, Gewinne wieder zu investieren, auch in nicht einfachen Zeiten. Ich bin so froh darüber, dass meine Frau Brigitte so zu mir gestanden hat und von einem wirklich guten Job bei der BASF zu mir in die Brauerei gekommen ist. Ohne ihren Rückhalt hätte Welde sicherlich manches juristische Scharmützel nicht überstanden und sie war mir immer eine gute Ratgeberin. Ein Verkauf kam nie in Frage.
Welches sind Ihre Lieblingsbiere?
Spielmann: Bei uns das Welde No. 1 als feines, hochwertiges Pils. Ich mag aber auch das Citra Helles, das eigens hopfengestopft wird. In Deutschland probiere ich überall, wo ich bin, die regionalen Sorten. Im Ausland habe ich früher gern mal auf ein Becks zurückgegriffen, aber das wird inzwischen in so vielen Fabriken produziert, dass ich es nicht mehr mag. Da greife ich dann zum Guinness, das ja den Namen seines Erfinders Arthur Guinness trägt, seinen besonderen Charakter hat und weltweit immer die gleiche hohe Qualität aufweist.
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