Selten hat unsere Redaktion so viele Reaktionen auf einen Beitrag bekommen, wie auf die Betrachtung unseres freien Mitarbeiters Stefan Kern zum Thema Nachhaltigkeit. Er hatte unter dem Titel „Grüne Wirtschaft – ist sie überhaupt zu schaffen“ die Chancen und Risiken gegeneinander abgewogen. Klar, dass auch der hiesige Grünen-Landtagsabgeordnete Dr. Andre Baumann sich bei seiner Heimatzeitung gemeldet hat. Wir haben ihm dann einige Fragen zu dem Themenbereich gestellt, schließlich ist er ja als Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft genau an der Schnittstelle der Entscheidungen auf Landesebene.
Was verstehen Sie unter dem Begriff „Grüne Wirtschaft“?
Andre Baumann: „Grüne Wirtschaft“ bedeutet für uns in erster Linie nachhaltiges Wirtschaften. Also, dass wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausgespielt, sondern bei unternehmerischen Entscheidungen miteinander in Einklang gebracht werden, damit Menschen auch künftig ein gutes Leben führen können und einen lebensfähigen Planeten mit einer intakten Natur vorfinden. Grüne Wirtschaft ist auch die Wirtschaft der Zukunft. Darum ist diese auch ökonomisch sinnvoll.
Warum hat Baden-Württemberg Ihrer Ansicht nach das Zeug dazu, hier zum Vorreiter zu werden?
Baumann: Bei uns gibt es viele nachhaltig wirtschaftende Unternehmen. Zahlreiche von Familien geführte Betriebe, die über Quartalsberichte hinausdenken und mit knappen Ressourcen klimaschonend und effizient wirtschaften. Nachhaltigkeit ist Teil unserer DNA. Innerhalb unserer Nachhaltigkeitsstrategie haben sich in der Wirtschaftsinitiative Nachhaltigkeit (WIN) zahlreiche engagierte Unternehmerinnen und Unternehmer aus allen Branchen vernetzt. Sie treiben den „grünen Umbau“ der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität gemeinsam mit uns erfolgreich voran. Rund 230 Unternehmen sind der sogenannten WIN-Charta beigetreten. Das ist ein schlankes Nachhaltigkeitsmanagementsystem, das gerne von kleineren Unternehmen aus dem Mittelstand genutzt wird. Diese Unternehmen zeigen ganz konkret: Nachhaltiges Wirtschaften rechnet sich und ist praktisch umsetzbar.
Können Sie uns ein beispielhaftes Unternehmen aus der klassischen Industrie nennen, das Sie in einem guten Umbauprozess zu mehr Nachhaltigkeit sehen?
Baumann: Ein einzelnes Unternehmen möchte ich als Staatssekretär nicht hervorheben, weil wir viele positive Beispiele im Land haben. Seit Oktober 2020 haben sich bereits 22 Unternehmen dem Klimabündnis Baden-Württemberg freiwillig angeschlossen, die unter anderem in der Automobilindustrie, in der Lebensmittelproduktion und im Dienstleistungssektor tätig sind. Mit der Unterzeichnung der Klimaschutzvereinbarung mit dem Land bekennen sich diese Vorreiter zum gemeinsamen Ziel der mittel- bis langfristigen Klimaneutralität und setzen unternehmerischen Klimaschutz in den kommenden Jahren systematisch und transparent mit passgenauen eigenen Maßnahmen um. Weitere hervorragende nachhaltige Unternehmen zeichnet das Land seit Langem regelmäßig bei Wettbewerben, etwa mit dem Umweltpreis und dem Umwelttechnikpreis, aus.
Was kann der Häuslebesitzer tun, um grüner zu wirtschaften?
Baumann: Häuser können energetisch saniert, auf dem Dach Sonnenstrom geerntet und für den Reststrom ein Ökostromanbieter gewählt werden. Ein eigenes kleines Kraftwerk auf dem Dach nützt mittelfristig dem Geldbeutel und dem Klima. Denn die Sonne schickt uns keine Rechnung. Wir wollen darum die bestehende Photovoltaikpflicht auf neue Wohngebäude und grundlegende Dachsanierungen bei Bestandsgebäuden erweitern. Wichtig ist, dass wir Häuslebesitzer weiter intensiv und umfassend informieren und beraten. Das Land fördert auch Energieberatungen, die Errichtung von Ladestationen und nachhaltige Sanierungsmaßnahmen mit erheblichen Mitteln.
Ein anderes Thema: Werden wir künftig noch ruhigen Gewissens reisen können – wenn ja wie?
Baumann: Nach den Monaten der Zurückhaltung sehnen wir uns nach dem einen oder anderen schönen Urlaubsort. Und ja, man kann ruhigen Gewissens reisen. Viele europäische Urlaubsregionen können mit der Bahn oder mit dem Auto erreicht werden. Auf den Flieger sollten wir – wenn möglich – verzichten. Und wenn doch geflogen wird, kann der CO2-Ausstoß kompensiert werden. Wenn wir Urlaub im Land machen, kurbeln wir unsere Wirtschaft an. Die Corona-Pandemie hatte durchaus auch ihre positiven Seiten: Wir alle mussten auf Dienstreisen verzichten. Und wirklich schlimm war das meist nicht. Innerhalb weniger Wochen haben wir in Deutschland eine steile Lernkurve bei der Digitalisierung unserer beruflichen Besprechungen hingelegt. Ich gehe davon aus, dass auch in Zukunft viele Konferenzen digital stattfinden werden. Das ist gut für die Umwelt und gut für uns selbst, weil wir weniger Zeit mit Reisen verbringen.
Warum ist „Grüne Wirtschaft“ für den Einzelnen zu anstrengend und warum ist sie so teuer?
Baumann: Ist es gar nicht. Tatsächlich decken doch die aktuellen Preise oft die höheren ökologischen und sozialen Kosten der Herstellung vieler Produkte gar nicht angemessen ab. Mit Maßnahmen wie dem Lieferkettengesetz und der einheitlichen Kennzeichnung grüner Produkte soll der Einzelne künftig durch die allgemeine Verankerung entsprechender Mindeststandards entlastet werden und als mündiger Verbraucher leichter Orientierung bezüglich der Nachhaltigkeitsbilanz gewinnen. Und mittelfristig spart eine eigene klimafreundliche Energieversorgung auf dem Dach ordentlich Geld ein.
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