Schwetzingen. Ist die aktuelle Pflegesituation in Deutschland noch tragbar? Oder verschließt der deutsche Staat die Augen bei der Ausbeutung von osteuropäischen Kräften? Diese kontroversen Fragen brachte das Chawwerusch-Theater für einen Sonntagnachmittag nach Schwetzingen in den Franz-Danzi-Saal mit dem Theaterstück „Maria hilf“. Mitorganisiert wurde es von der Volkshochschule und dem Forum Älterwerden.
Das Theaterkollektiv der Südpfalz erzählt eindrucksvoll die Geschichte der Mutter Magdalena, die nach einem Treppensturz und einem darauffolgenden Schlaganfall umfassende Pflege benötigt. Die berufstätige Tochter Michaela ist jedoch nicht in der Lage, rund um die Uhr ihre Mutter zu pflegen und stellt die polnische Pflegekraft Maria an. Die Thematik ist brandaktuell, denn zurzeit arbeiten hunderttausende polnische Pflegekräfte in deutschen Privathaushalten und werden schlechter bezahlt als deutsche. Sie müssen 24 Stunden die Woche für den bedürftigen Menschen da sein, ein Knochenjob, der Ausdauer, einen starken Geist und viel Kraft benötigt. Nach deutschen Arbeitsrechtsbestimmungen ist diese 24-Stunden-Tätigkeit eigentlich illegal.
Theateraufführung „Maria Hilf“ in Schwetzingen: Wichtig, drei Perspektiven darzustellen
„Für uns war es besonders wichtig, die drei Perspektiven der einzelnen Frauen eindrücklich darzustellen“, erzählte Miriam Grimm, die die Rolle der Tochter Michaela verkörpert. „Jede der drei Frauen steckt in einem Dilemma, aus dem die Befreiung fast unmöglich erscheint.“ Die Tochter muss irgendwie Beruf, Familie und zusätzlich die Pflege der Mutter stemmen. Die pflegebedürftige Mutter Magdalena will nicht mit dem Gedanken zurechtkommen, dass sie nun fortan tagtäglich von einer „Fremden“ umsorgt werden wird, und droht in einem Sumpf von Ressentiment und Depressionen zu versinken. Und die „Polin“, die eigentlich Maria heißt, kämpft mit Heimweh und einer kulturellen Identitätskrise, da sie mit den Jahren, in denen sie in Deutschland Geld verdient, auch ihrer eigenen Kultur in der Heimat in Polen fremd wird.
Das Stück, dessen Premiere schon im Jahre 2017 hatte, wurde mit Sorgfalt und viel Recherchearbeit entwickelt. Für die Vorbereitung wurden Interviews mit betroffenen Frauen geführt, die die aktuelle Pflegesituation hautnah miterleben mussten. Zum anderen lieferte die Dissertation „Migration und irreguläre Pflegearbeit in Deutschland“ von Dr. Agnieszka Satola zentrale Erkenntnisse. Neben den gesammelten Informationen wurden dann zusätzlich vor dem eigentlichen Proben Improvisationen durchgeführt. „Wir hatten verschiedene Spielaufgaben, die uns der Regisseur gegeben hat“, erklärte Miriam Grimm. „Zum Beispiel hatten wir eine Szene, wo Maria das erste Mal durch die Tür tritt und auf Mutter Magdalena trifft. Da haben wir dann improvisiert, was möglicherweise passieren könnte. Und mit diesem Stoff haben wir dann das Skript entworfen.“
Theateraufführung „Maria Hilf“ in Schwetzingen: Problematik dargestellt
Neben der Kritik an diesem regelrechten „Tabuthema“ in der Gesellschaft, in dem wenig Perspektive auf eine Veränderung scheint, wurden eindrucksvoll weitere problematische Thematiken in dem Stück eingewoben. Beispielsweise die Geschlechterverhältnisse, bei denen automatisch erwartet wird, dass die Tochter sich um die Eltern beziehungsweise die Mutter kümmert.
Michaelas Bruder „Christian“, das klare Lieblingskind der Mutter und des verstorbenen Vaters Albrecht, ist da fein raus, ruft nur gelegentlich an und steuert wenig zu der Pflege der gemeinsamen Mutter bei. „Erschreckenderweise haben uns das viele Frauen genauso geschildert“, führt Miriam Grimm weiter aus. „Von den Töchtern wird erwartet, dass sie sich um die Eltern kümmern; die Söhne werden außer Acht gelassen. Viele Frauen kamen nach dem Stück zu uns und trafen die Aussage, dass deren Christian zum Beispiel Frederik oder Achim oder Lauren hießen.“ Das Stück regt zum Nachdenken an – und gibt tiefe Einblicke in diese Grauzone, was an der aktuellen Pflegesituation falsch läuft.
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