Schwetzingen. Selbst Menschen, die sich nicht als „musikinteressiert“ bezeichnen würden, kennen die Namen Bach, Schütz und Telemann. Kein Wunder, denn diese Komponisten sind wichtige Vertreter der deutschen Barockmusik - einer kulturhistorischen Epoche, die weltweit prägend war. Erstmals wurden vage Konzepte der Formen-, Satz- und Harmonielehre weitergedacht, konkretisiert und schriftlich festgehalten. Daher kann die musikwissenschaftliche Forschung heute Werke, Komponisten und kulturpolitische Vorgänge der Barockzeit genau untersuchen. Bislang lag der Fokus hauptsächlich auf dem Schaffen westeuropäischer Komponisten - unter den Tisch fielen Künstler aus Osteuropa.
Klangvolle Begegnung von ukrainischer und deutscher Barockmusik
Das vom Theater Heidelberg und Orchester Heidelberg veranstaltete Barockfest „Winter in Schwetzingen“ warf mit einem Gastspiel des Vokalensembles „Partes“ im Rokokotheater einen Blick auf geistliche, barocke Vokalmusik aus der Ukraine und das im Spiegel deutscher Barockkomponisten. Die erste Konzerthälfte widmete sich der ukrainischen, die zweite der deutschen Sakralmusik. Im Fokus standen zunächst Werke des Komponisten und Musiktheoretikers Mykola Dyletsky. Seine Kompositionen sind die bekanntesten Beispiele für polyphone Kirchenmusik aus der Ukraine, auch Partesny-Kozerte genannt. Sie bilden eine Verschmelzung aus ukrainischer und westeuropäischer Musiktradition - und das ist hörbar.
Ensembleleiterin Nataliia Khmilevska-Danshyna dirigiert mit energetischem Puls und kann sich dabei voll und ganz auf ihre Sänger verlassen: Mit präziser Diktion fließen die polyphonen Einzelstimmen ineinander, jeder Vokal- oder Konsonantenklang ist aufeinander abgestimmt. Alle Register sind einzeln genau nachvollziehbar, trotz eines durchweg homogenen Klangkörpers.
Auch, als die Musiker im Trio oder Quartett auftreten ändert sich nichts an dieser Qualität. Als Zielpunkt steuert das Ensemble schließlich den (Oster)-Sonntagskanon Mykola Dyletskys an - eine kontrapunktische Meisterleistung, die mit Bachs Kantaten verglichen werden kann. Hier zeigt das „Partes“-Ensemble eine genaue Abstufung verschiedener Sequenz- und Imitationsmotive zwischen den Stimmgruppen. Bewegend ist auch die interpretatorische Agilität der Sänger, die sowohl klagende Chromatik, als auch freudige Oden mühelos miteinander verknüpft.
„Partes“-Ensemble ehrt deutsche Komponisten und ukrainische Tradition
Eine Herausforderung für das Gastensemble waren die Stücke deutscher Komponisten. Zwei Vertonungen von „Lobet den Herrn alle Heiden“ von Johann Vierndank und Bach erschufen eine Art inhaltliche Klammer.
Mit Werken aus Heinrich Schütz Kompositionssammlung „Kleine geistliche Koncerte II, op.9, SWV 332“, gelang der größte Hinhörer der zweiten Hälfte. Sanft artikulierte das Partes-Ensemble die sich überlagernden Motive und Vorhalte. Reibungslose Intonation ließ schließlich die Schlussakkorde strahlen. Reich an Obertönen verklangen sie erst nach wenigen Sekunden im Theater.
Den Abschluss machte die ukrainische Nationalhymne in polyphoner Bearbeitung - das Publikum erhob sich dazu sogar von den Sitzen. Im Anschluss wurde das Partes-Ensemble mit minutenlangem Applaus geehrt. Ein bemerkenswerter Konzertabend ging so zu Ende.
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Das Barockfest „Winter in Schwetzingen“ setzte mit dem Gastspiel des „Partes“-Ensembles ein wertvolles Zeichen und schaffte eine bislang ausbleibende Sichtbarkeit für die ukrainische Barocktradition, die auch die westeuropäische Musikwelt diverser und reicher macht.
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