Flüchtlingskrise - Weiter Streit zwischen Eigentümer und Landratsamt um abrissreifen Racketclub / Freundeskreis plant Besichtigungen für Bevölkerung

Unterstützer fordern bürgernahe Lösung

Von 
Benjamin Jungbluth
Lesedauer: 
Schwarze Spuren und Schimmel im Boden: Matthias Vogel in der Tennis- und Badmintonhalle. © Jungbluth

Fünf Monate sind seit unserem ersten Artikel über Matthias Vogel und seinen ruinierten „Mavo Racketclub“ in der Scheffelstraße vergangen. Das Badminton- und Squashzentrum war zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 vom Rhein-Neckar-Kreis als Notunterkunft angemietet und danach an Matthias Vogel in einem nahezu abrissreifen Zustand zurückgegeben worden. Nach unserer Berichterstattung beschäftigten sich auch andere Medien mit dem Fall. Der SWR strahlte jüngst landesweit einen Fernsehbericht aus. Und zahlreiche Bürger aus der Region schlossen sich zu einem Freundeskreis zusammen, um Matthias Vogel zu unterstützen (wir berichteten).

Dessen Mitglieder rund um die ehemalige Schwetzinger Stadträtin Raquel Rempp schrieben Landes- und Bundespolitiker aller Parteien an und bekamen immer wieder grundsätzliche Unterstützung signalisiert. Zahlreiche Bürger mit Fachkenntnissen – Anwälte, Ingenieure und Unternehmer – befassten sich ungläubig mit dem Fall und bestärkten Matthias Vogel in seinem Kampf gegen die Behörden. Fünf Monate lang gab es also unter immer lauterem öffentlichen Protest die Möglichkeit für ein offenes Gespräch, einen Vermittlungsversuch oder ein gesichtswahrendes Einlenken seitens des Rhein-Neckar-Kreises. Doch wie ist der aktuelle Stand?

Knappe Reaktion vom Kreis

„Ich habe nichts vom Landratsamt gehört – außer über die Anwälte, die in den beiden immer noch laufenden Gerichtsverfahren unverändert die Position des Rhein-Neckar-Kreises vertreten“, sagt Matthias Vogel. Auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigt eine Sprecherin des Landrats diese Aussage in knappen Worten: „Es sind nach wie vor die Verfahren beim Landgericht Mannheim in dieser Angelegenheit anhängig. Inhaltlich hat sich seit Ihrer letzten Anfrage nichts geändert.“ Auf unsere Nachfrage, ob der Rhein-Neckar-Kreis „eine grundsätzliche – vielleicht auch politische und nicht juristische – Lösung für den Konflikt rund um den Mavo Racketclub“ sehe, gibt es keine Antwort.

„Ich will doch nur die Möglichkeit erhalten, wieder Badminton in Schwetzingen anbieten zu können. Der Racketclub ist mein Lebenstraum – deshalb hoffe ich weiterhin auf eine für beide Seiten vertretbare Einigung“, sagt Matthias Vogel. Er hege keinen Groll gegen das Landratsamt, sondern sei an einer für alle Beteiligten vertretbaren Lösung interessiert. „Landrat Stefan Dallinger wurde 1999 Erster Bürgermeister in Schwetzingen – genau in dem Jahr, als ich den Racketclub übernommen und mit viel Einsatz ausgebaut habe. Vielleicht kann er deshalb verstehen, was das Sportzentrum für viele Bürger bedeutet“, sagt Matthias Vogel. „Aus der ganzen Region kamen die Sportler, Schwetzingen hatte einen tollen Ruf in der Szene.“

Doch trotz dieses potenziellen Imagegewinns kommt auch vonseiten der Stadtverwaltung keine Unterstützung für den Racketclub. Wolfgang Leberecht, Amtsleiter für den Bereich Wirtschaft, erklärt auf Nachfrage unserer Zeitung: „Wir unterliegen bei einer konkreten finanziellen Unterstützung der freien Wirtschaft einem strengen Neutralitätsgebot, damit es zu keiner Wettbewerbsverzerrung kommt. Daher ist eine finanzielle oder sachliche Unterstützung rechtlich ausgeschlossen. Das würde auch von Wettbewerbern sehr kritisch gesehen.“

Stadt sieht keine Verantwortung

Auch ansonsten mag die Stadt keine Verantwortung erkennen. Auf unsere Frage, ob die Stadtverwaltung oder der Oberbürgermeister Dr. René Pöltl die Möglichkeit sehen würden, zumindest zwischen dem Besitzer des Racketclubs und dem Rhein-Neckar-Kreis zu vermitteln, heißt es: „Dies war keine Angelegenheit, in die wir in irgendeiner Weise einbezogen waren. Sie fiel und fällt auch nicht in unsere Zuständigkeit.“ Denn obgleich die Erstunterbringung der rund 250 Flüchtlinge in der Sporthalle mitten im Stadtzentrum erfolgte, sei ausschließlich der Kreis zuständig gewesen. „Es gab zu keinem Zeitpunkt eine diesbezügliche Unterstützung seitens der Stadt Schwetzingen“, stellt Amtsleiter Wolfgang Leberecht klar. Die Stadtverwaltung hätte lediglich bei der Information der Bürgerschaft geholfen, um die Akzeptanz vor Ort zu erhöhen.

Daran war lange Zeit auch Raquel Rempp beteiligt. Die ehemalige Stadträtin der Freien Wähler ist mit viel Einsatz in der Flüchtlingsbetreuung aktiv – und damit über jeden Zweifel erhaben, Stimmung gegen Migranten machen zu wollen. „Das Sportzentrum ist durch die maßlos überdimensionierte Nutzung als Wohnstätte für Flüchtlinge völlig zerstört worden, da gibt es keinen Zweifel. Man muss sich das doch mal vorstellen: 250 Menschen schlafen und essen monatelang in einer Sporthalle, die nur wenige kleine Fenster und einen weichen Textil-Sportboden hat. Die Zustände müssen verheerend gewesen sein“, sagt Raquel Rempp.

„Müssen uns massiv wehren“

Natürlich sei die Situation 2015 bundesweit dramatisch gewesen, weshalb Fehler bei der Unterbringung nicht verwunderlich seien. „Aber dass das Landratsamt bis heute darauf beharrt, dass alles korrekt gewesen sei und sie deswegen keinerlei Verantwortung übernehmen wollen, ist ungeheuerlich. Am Ende soll ein unbescholtener Bürger die ganze Last tragen, obwohl er damals bereit war, dem Staat zu helfen – was ist denn das für ein Signal der Politik? Wie soll noch jemals jemand bereit sein in einer Notlage zu helfen, wenn er damit rechnen muss, dass er dabei seine Existenz verliert?“, sagt Rempp.

Für sie und die Mitglieder des Freundeskreises ist die Sache deshalb klar: Es darf nicht um juristische Details gehen, sondern es muss eine politische Lösung geben. „Wir alle müssen uns hier massiv wehren. Corona zeigt uns doch gerade schon wieder überdeutlich, wie sehr wir in einer Notlage auf einen funktionierenden Staat und auf die Integrität und Zuverlässigkeit der Politiker und Behörden angewiesen sind“, sagt die ehemalige Stadträtin. „Das Verhalten des Landratsamtes in dieser Angelegenheit ist so unverständlich und fühlt sich so falsch an, dass ich befürchte, dass viele Menschen noch mehr Vertrauen in die Politik insgesamt verlieren und es unsagbar schwer werden könnte, dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen.“

Der Freundeskreis wolle deshalb in den kommenden Wochen noch aktiver werden – bislang hätten die Corona-Einschränkungen Demonstrationen und andere Aktionen erschwert. „Wir sind aber online sehr aktiv: Unsere Internetseite hatte alleine im Mai schon knapp 36 000 Zugriffe, auf Facebook haben wir rund 1000 Unterstützer“, freut sich Raquel Rempp.

Ziel ist Aussetzung der Verfahren

Um der Bevölkerung einen direkten Einblick in den Fall zu gewähren, plant der Freundeskreis baldmöglichst öffentliche Besichtigungen: Unter entsprechenden Corona-Vorgaben könnten sich dann die Bürger einen persönlichen Eindruck vom desaströsen Zustand des Racketclubs machen.

„Wir wollen erreichen, dass das Landratsamt einer Aussetzung der Gerichtsverfahren zustimmt und sich mit Herrn Vogel wieder an einen Tisch setzt, um eine einvernehmliche und bürgernahe Lösung zu finden, damit die Halle möglichst schnell der Schwetzinger Bevölkerung und den umliegenden Gemeinden zur Verfügung gestellt werden kann“, sagt Ex-Stadträtin Raquel Rempp.

Matthias Vogel versucht derweil, irgendwie über die Runden zu kommen. Seit 2015 kann er nur noch zwei Squash-Plätze im Racketclub betreiben, die von der Tennis- und Badmintonhalle abgetrennt sind. Doch in der Corona-Krise war selbst das monatelang nicht mehr möglich. Erst seit vergangenem Mittwoch können hier wieder Sportler ihrem Hobby nachgehen, natürlich unter strengen Hygienevorschriften.

„Der harte Kern meiner Kunden hat sich schon für die nächsten Wochen angemeldet, es geht also weiter“, freut sich Matthias Vogel. Momentan lebt er allerdings von seinen Altersrücklagen. „Ich brauche ja nicht viel“, sagt er mit einem gewissen Zweckoptimismus. „Aber ich will den Racketclub wiedereröffnen, das ist doch mein Lebenswerk. Und dafür werde ich weiter kämpfen – ich habe doch letztlich gar keine andere Wahl.“

Info: Weitere aktuelle Bilder unter www.schwetzinger-zeitung.de

Schwetzingen

Schwetzingen: Keine Bewegung beim abrissreifen Racketclub

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
21
Mehr erfahren

Der „Mavo Racketclub“ als Flüchtlingsunterkunft

Zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise Ende 2015 mietete der Rhein-Neckar-Kreis den größten Teil des Racketclubs für rund eineinhalb Jahre an.

Rund 250 alleinreisende junge Männer aus unterschiedlichen Nationen lebten in der ehemaligen Tennishalle. Ihre Etagenbetten waren nur durch Bauzäune abgetrennt, die Essensausgabe erfolgte in der Halle. Durch Kondenswasser bildete sich Schimmel im Boden und in der Decke.

Es gab viel Vandalismus durch Bewohner. Regelmäßig kam es zu Polizeieinsätzen, die Nachbarn in der Scheffelstraße litten unter der angespannten Situation. Schließlich quartierte der Kreis die Bewohner um und übergab das Sportzentrum an Matthias Vogel in einem desaströsen Zustand.

Zahlreiche Fenster, Türen, Wände und Sanitäranlagen sind zerstört. Trotz einer versprochenen Endreinigung finden sich bis heute Essensreste an Wänden und auf dem Boden. Der Renovierungsschaden wird laut Matthias Vogel auf mindestens 1,4 Millionen Euro geschätzt.

Der Kreis sieht sich jedoch nicht in der Verantwortung und spricht von normalen Abnutzungen, die „im Wesentlichen dem Nutzungszweck und damit auch den vertraglichen Regelungen“ entsprechen würden, wie ein Sprecher auf unsere Anfrage im Februar entgegnete.

Einen regulären Mietvertrag hat es jedoch nie gegeben: Es existiert lediglich ein eineinhalbseitiges Schreiben vom Ordnungsamtsleiter des Kreises, das mit „Einverständnis für die Nutzung des Racket-Center Schwetzingen zur Beseitigung eines polizeilichen Notstands“ überschrieben ist und das unserer Zeitung vorliegt.

Zwei Gerichtsverfahren beschäftigen sich mit dem Fall – eines von Matthias Vogel initiiert, das andere im Gegenzug vom Landkreis als „negatives Feststellungsverfahren“ angestrengt. Dabei geht es auch um die Frage, ob der Kreis damals tatsächlich einen polizeilichen Notstand ausgerufen hat und mit einer Beschlagnahmung drohte, was das Landratsamt bestreitet. beju

Freier Autor Freier Journalist für die Region Heidelberg, Mannheim und Rhein-Neckar. Zuvor Redakteur bei der Schwetzinger Zeitung, davor Volontariat beim Mannheimer Morgen. Neben dem Studium freie Mitarbeit und Praktika u.a. beim Mannheimer Morgen, der Süddeutschen Zeitung, dem SWR und der Heidelberger Studentenzeitung ruprecht.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung