Schwetzingen. Sorgerechtsentscheidungen durch Familiengerichte gehen häufig massive Auseinandersetzungen der Eltern voraus. Dem Kind wird deshalb vor einer gerichtlichen Entscheidung ein Verfahrensbeistand zugeteilt. Dieser soll im Verfahren ausschließlich zum Wohle des Kindes tätig werden. Gleichzeitig sind seine Empfehlungen an das Gericht eine wesentliche Entscheidungshilfe.
Dabei wird das Verhalten der Verfahrensbeistände nicht selten kritisch gesehen, ebenso wie das gerichtliche Verfahren selbst. Entsprechende Anmerkungen enthielten Schreiben, die wir von Lesern erhielten, die selbst betroffen waren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Gerichtsbeschlüsse unmittelbar und schmerzhaft in persönlich-emotionale Lebensbereiche eingreifen. Gerade betroffene Kinder werden vor zum Teil unlösbare Situationen und Entscheidungen gestellt. Zurück bleibt auch ein Elternteil, der erheblichen Schaden genommen hat.
Man stelle sich Folgendes vor: Ein Paar hat sich getrennt und ist geschieden. Beide Eltern haben sich über das gemeinsame Sorgerecht geeinigt und den Umgang geregelt. Dies funktioniert lange Zeit gut, bis das Kind nach einem Urlaub nicht mehr zurückgebracht wird. Der Vorwurf der Kindswohlgefährdung wird erhoben. Psychische und physische Erkrankungen und Beeinträchtigungen werden vorgebracht. Beweise fehlen allerdings.
Beiderseitiges Leid
Ähnlich erging es einer Leserin dieser Zeitung, die uns ihr Leid und damit auch das Leid ihrer Kinder geschildert hat. Die beiden Kinder lebten seit der Scheidung bei ihr und hatten über die Umgangsvereinbarung regelmäßig Kontakt zum Vater. Dies verlief soweit problemlos, bis zu den Sommerferien. Die Kinder wurden durch den Vater nicht mehr zur Mutter zurückgebracht, weil sie dort, so seine Argumentation, in ihrem Kindswohl gefährdet seien.
Was folgte, erfüllt die Mutter nicht nur mit völligem Unverständnis, sondern auch mit Entsetzen. Gerade der Umgang und die Art der Entscheidungsfindung des Familiengerichts in Schwetzingen und des vom Gericht beauftragten weiblichen Verfahrensbeistandes seien oberflächlich sowie parteiisch und damit nicht am Wohl der Kinder orientiert. Hier führte die Mutter an, dass es für den Verfahrensbeistand zur Prüfung offensichtlich ausreichend war, für eine Stunde zu ihr nach Hause zu kommen. Beinhaltet waren dabei nicht nur ein Gespräch mit ihr, sondern auch mit den Kindern. Danach folgten nach Angaben der Mutter lediglich noch zwei Kurztelefonate von ein bis zwei Minuten.
Ähnlich kritisch schilderte sie auch den Verlauf des Gerichtstermins. Hier hatte sie insbesondere den Eindruck, dass die Entscheidung des Gerichts bereits vor der Verhandlung feststand. Unterlagen und Belege, die sie in der Vorbereitung auf diesen Termin beschafft hatte, waren ohne Belang. „Ich hatte keine Möglichkeiten, etwas zu beweisen“, so die verzweifelte Mutter.
Nicht viel anders erging es einer weiteren Leserin. Die Frau berichtet vom liebevollen Verhältnis zum Sohn, aber auch von der Manipulation des Vaters und dem daraus resultierenden Verlust des Kindes, bis hin zur kompletten Unterbindung des Kontakts. Sie spricht die einhergehende Entfremdung an und macht deutlich, dass ein Elternteil dadurch massiv abgewertet wird, Kinder aber Vater und Mutter gleichermaßen benötigten.
Gerade aber das psychische Leiden und die Folgen für die Kinder sind für den Lüneburger Juristen und Psychologen Dr. Jorge Guerra-Gonzalez ein wesentlicher Punkt in der Betrachtung der Problematik. Einer Schätzung zufolge seien landesweit 20 000 bis 30 000 Kinder betroffen und damit großem Leid und posttraumatischen Belastungen ausgesetzt. Durch praktizierte Wechselmodelle, die Mütter und Väter berücksichtigen, könne hier vieles möglicherweise vermieden werden. Von Entfremdung seien häufiger Väter als Mütter betroffen, in einem Verhältnis von etwa 4:1.
Entfremdung kaum erforscht
Nachholbedarf sieht Guerra-Gonzalez auch in der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens. Es gibt in Deutschland kaum Untersuchungen zur „Entfremdung beziehungsweise zum Entfremder“, so der Psychologe. Zeit sei es daneben auch, sich mit den gängigen Stereotypen wie „Väter haben keine Zeit“ und „berufstätige Mütter vernachlässigen ihr Kind“ auseinanderzusetzen. Sie sollten nach seiner Meinung der Vergangenheit angehören.
Die Funktion des Verfahrensbeistands sieht er grundsätzlich positiv und durch fachkundiges Personal besetzt. Wichtig sei, dass die Kinder sich in guten Händen befinden. Schließlich haben die Empfehlungen des Verfahrensbeistands hohes Gewicht bei den Gerichtsentscheidungen.
Das Familiengericht Schwetzingen hat zur rechtlichen Situation Fragen beantwortet und Verfahrensgänge erläutert. Ergänzend hierzu stellt der Direktor des Schwetzinger Amtsgerichts, Kai Günther, fest, dass „in Umgangsrechtsverfahren sehr häufig eine Einigung unter Eltern erzielt werden kann, sodass es regelmäßig dieser zeitaufwendigen und nicht selten auch belastenden Beweiserhebung nicht bedarf. Eine einvernehmliche Regelung der Eltern dient in aller Regel dem Kindeswohl am meisten. Deshalb erscheint es mir wichtig, dass unsere Familienrichter zunächst immer die Eltern in die Pflicht nehmen. Es liegt zuvorderst in deren Verantwortung, eine im wahrsten Sinne des Wortes kindgerechte Lösung zu finden. Das Familiengericht soll nur dann einschreiten, wenn ein Elternteil oder beide dieser Verantwortung nicht gerecht werden“.
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