Schwetzingen. Unscheinbar betritt er die Bühne, in weißem Shirt und schwarzer Hose. Er stimmt das Lied an, mit dem er 2016 erstmals die Charts stürmte. Es ist der Moment zu Beginn des Konzertes bei Musik im Park im Schwetzinger Schlossgarten, bei dem die vorwiegend jungen und weiblichen Fans Wincent Weiss pur erleben – ohne Instrumente, ohne Lichteffekte. Rund 6000 Menschen singen seinen Hit „Musik sein“ und er, der 29-Jährige, steht auf der Bühne, hält das Mikrofon in die Menge und lässt es geschehen: „Ey da müsste Musik sein, überall wo du bist, denn wenn es am schönsten ist, spiel es wieder und wieder.“ Weißer Konfettiregen legt sich über die Zuschauer, die Menschen tanzen, singen und genießen den Moment „in dieser unfassbar schönen Location“.
Nahbar, charismatisch, empathisch und authentisch agiert Wincent Weiss mit den Menschen vor der Bühne und steigt gleich beim zweiten Song „Hier mit dir“ hinab ins Publikum. Er scheut sich nicht, durch die Menge zu laufen, sucht die Nähe zum Publikum und sorgt damit für zahlreiche glückliche Gesichter an diesem Abend. Auch er selbst hat sichtlich Spaß, genießt es, nach zweijähriger Corona-Pause wieder auf den Bühnen Deutschlands zu stehen und das zu machen, was er liebt: Musik. Was passt da besser, als „Die guten Zeiten“ zu besingen. Er spricht darüber, dass er bald 30 wird und das nicht so witzig findet. Bei ihm in der Heimat ist es Brauch, dass Unverheiratete an diesem Tag vor dem Rathaus fegen müssen. „Meine Mutter freut sich da schon drauf“, sagt er, lacht und mit „Kaum Erwarten“ besingt er den Traum nach einer Beziehung und Familie.
Schattenseiten von Social Media
Wincent Weiss, in Bad Oldesloe geboren, ist in den vergangenen Jahren gereift. Seine Texte haben Tiefgang, sprechen aus seinem Herzen und legen Gefühle frei. Er spricht offen darüber, was ihn bewegt. Und vieles davon verarbeitet er auf seinem aktuellen und dritten Album „Vielleicht irgendwann“, das 2021 erschienen ist und Platz eins der deutschen Charts stürmte. Er spricht über die Schattenseiten von Social Media, darüber dass es „geil ist, wenn man mit anderen in Kontakt treten kann“, aber warnt gleichzeitig davor, dass sich die jungen Menschen nicht unter Druck setzen lassen sollen von dem, was sie da sehen. „Bleibt wie ihr seid und haltet das privat, was ihr privat halten wollt“, ruft er den Menschen zu, auch musikalisch: „Was die Menschen nicht wissen, können sie nicht ruinieren, was die anderen so sagen, muss dich nicht interessieren.“ Themen, die ihn lange begleitet haben, greift er in seinem Album auf – ernster, nachdrücklicher wirkt er. Spricht über seine Therapie, die in der Öffentlichkeit kein Geheimnis ist. Er habe sich zu wenig Zeit für sich selbst genommen, hatte depressive Phasen. Er macht damit auf ein wichtiges Thema aufmerksam, betont, dass man sich dafür nicht schämen muss. Geholfen hat ihm neben seiner Familie die Musik. Und so beschreibt er in „Winter“ ein Gefühl, das ihn in dieser Zeit begleitet hat („Die Sonne, sie scheint, nur nicht in mich rein, was mach’ ich nur falsch, ey?“).
Der Blick von Wincent Weiss gleitet immer wieder über das Publikum, er sucht die Interaktion, spricht die Zuhörer direkt an. Freut sich, dass von jung bis alt jeder zu seinen Konzerten kommt. Dankt auch den Menschen, die nicht freiwillig dabei sind, wie Kevin, der an diesem Abend in Schwetzingen seine Freundin begleitet: „Er verbringt Zeit mit seiner Liebsten. Das ist am Wichtigsten.“
Bei „Weck mich nicht auf“ setzt der deutsche Popsänger die Bühne quasi in Flammen. Aus Feuerkanonen schießen die Flammen im Takt zur Musik – kurz und kraftvoll. Gitarrist Benni Freibott zeigt ein starkes Gitarrenspiel. Wincent Weiss zieht sich währenddessen eine feuerfeste Jacke an, die Ärmel brennen, als er die letzten Zeilen „Bitte weck mich nicht auf“ singt.
Setliste
- Musik sein
- Hier mit dir
- Die guten Zeiten
- Kaum Erwarten
- Ein Jahr
- Was die Menschen nicht wissen
- Winter
- Wo die Liebe hinfällt
- Weck mich nicht auf
- 1993
- Nur ein Herzschlag entfernt
- Song-Medley von verschiedenen Künstlern (Traum, Lila Wolken, Ein Stern, Über den Wolken, An guten Tagen, Roller, Savage Love, Verdammt ich lieb’ dich, Wie schön du bist, Hamma, Ich würd lügen, Lieben wir, Die Nacht von Freitag auf Montag, 1000 und 1 Nacht, Drei Uhr nachts, Pocahontas, Cordula Grün)
- Was machst du nur mit mir
- Wer wenn nicht wir
- Morgen
- Frische Luft
- An Wunder
Zugaben
- Endlich leichter
- Mittendrin
- Feuerwerk
Persönliches verarbeiten
In seinen Texten verarbeitet er Persönliches. Darüber spricht er – auch an diesem Abend im Schwetzinger Schlossgarten – immer wieder. Man könne sich nicht alles im Leben aussuchen. So wuchs der 29-Jährige ohne Vater auf und davon handelt auch sein Song „1993“ – es ist sein Geburtsjahr: „Kenn’ dich nur aus Geschichten und nicht mal deinen Nam’n“. Wincent Weiss, der sich selbst eine Familie wünscht, macht in diesem Song deutlich, wie er nicht werden will. Und so schmettern ihm 6000 Menschen die letzten Zeilen dieses Liedes entgegen: „Ich hab’ eins von dir gelernt, dass geb’ ich gerne zu. Wenn ich mal Vater werde, werd’ ich nie so sein wie du.“
Der Norddeutsche hat eine enge Bindung zu seiner Familie, auch zu seiner elf Jahre jüngeren Schwester. Sie ist mittlerweile 18 Jahre alt, erzählt er den Zuschauern. Er sei immer der große anstrengende Bruder gewesen, der auf sie aufpassen wollte. Er trägt sie immer bei sich und in den Minuten von „Nur ein Herzschlag entfernt“ ist sie bei ihm („Wie viel Zeit uns auch trennt und wie schnell sie auch rennt. Es ist gar nicht so schwer. Ich bin doch nur ein’n Herzschlag entfernt“).
Wincent Weiss ist für jeden Spaß zu haben, genießt das Konzert, macht Stimmung und feiert mit den Zuschauern. Mit einer Elefantenmütze auf dem Kopf sitzt er in einer Reihe mit seinen Musikern und singt verschiedene deutsche Songs, „die alle kennen sollten“. Die Menge hüpft, grölt und singt laut mit.
© Dorothea Lenhardt
Er wollte früher immer Mitglied einer Boyband sein, verrät er. „Die Boyband ihres Vertrauens“ steht auf einem Shirt, das er sich überzieht. „Was machst du nur mit mir“, erklingt und gemeinsam mit der Band gibt es eine kleine tänzerische Einlage mit Steps nach links und rechts – und einer Drehung. Die Menge trägt den Musiker wortwörtlich beim Crowdsurfing auf den Händen, während er „Frische Luft“ performt und schließlich mit einem seiner erfolgreichsten Songs „An Wunder“ das erste Mal am Abend die Bühne verlässt.
Unter lauten Zugabe-Rufen kehrt er zurück und gibt bei seinen letzten drei Songs noch mal Vollgas – wie den ganzen Abend. Bei „Endlich leichter“ brennen Feuerschalen auf der Bühne, „Mittendrin“ passt an diesem Abend, denn das war er immer wieder. Und am Ende des Abends schießt passend zum Titel ein Feuerwerk in den Schwetzinger Nachthimmel. 6000 Menschen singen mit Wincent Weiss „Lass uns leben wie ein Feuerwerk“. Und dieser Moment setzt einen fulminanten und spektakulären Abschluss unter Musik im Park 2022, das mit einem Künstler endet, der mit Abstand die größte Menge in den Schlossgarten lockte, das Musikmachen lebt – und einfach nur nahbar und echt ist.
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