Schwetzingen. Lea ist die erste, die an diesem Nachmittag nach Hause kommt. Endlich Feierabend von der Arbeit. Die 24-Jährige hat einen Job in der Werkstatt im Gewerbepark Hardtwald in Oftersheim. Sie gehört zum Wohnprojekt in der Schützenstraße 6 in Schwetzingen, in dem die gemeinnützigen Vereine „Habito“ und „Pro Down“ acht jungen Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen. Rund 520 Quadratmeter Fläche stehen ihnen in dem barrierefreien Neubau zur Verfügung. Alle Stockwerke sind über einen Fahrstuhl verbunden. Neben den vier Zwei-Zimmer-Appartements, einem gemeinsamen Wohnzimmer und einer Gemeinschaftsküche gibt es im Keller noch weitere Räume.
Hier ist die Vision vom gemeinschaftlichen Zusammenleben der zwei Frauen und sechs Männer endlich wahr geworden. Mitte Oktober ist mit dem Einzug ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Das sei gar nicht so einfach gewesen, erinnert sich Gisela Wrensch, die Vorsitzende des Vereins „Pro Down“ Heidelberg, an die ersten Ideen und Vorschläge im Jahr 2015, als man mit Oberbürgermeister Dr. René Pöltl einen steten Befürworter und begeisterten Unterstützer gefunden habe. Die Stimmen im Verein nach einem geeigneten Haus seien immer lauter geworden, überall habe man nach Wohnungen oder Häusern für diesen Zweck gefragt, erzählt die Vorsitzende.
Die Kosten für den modernen Neubau betragen insgesamt 2,7 Millionen Euro. Die Stadt hat das Grundstück für einen symbolischen Erbpachtzins zur Verfügung gestellt und sich an den Abrisskosten des alten Hauses beteiligt. Ohne viele Spenden und die finanzielle Förderung durch die Aktion Mensch, die Stiftung Wohnhilfe, das Unternehmen ABB und die 500 000 Euro der Dietmar-Hopp-Stiftung wäre das Vorhaben nicht realisierbar gewesen.
Wohnprojekt in Schwetzingen: Es wird zusammen gekocht
Marc (27) trudelt ein und schaut sich in der Küche um. Aber erstmal auspacken, die Arbeitsklamotten und die Vesperdose raus aus der Tasche. Marc wird vom Fahrdienst gebracht. Jetzt ist chillen auf der Couch im Wohnzimmer angesagt. Ein leuchtender Weihnachtsbaum schmückt beim Besuch unserer Zeitung, die die in dem Wohnprojekt lebenden jungen Menschen vorstellen und zeigen möchte, wie deren Alltag funktioniert, vor den Feiertagen den Raum. Ausruhen und Musik hören, Hip-Hop, Rock oder Schlager. An diesem Montagabend hat Marc Zeit, sonst ist er eigentlich immer unterwegs, entweder bei der Tanzschule Kiefer, beim Schwimmen bei Poseidon Eppelheim oder im Bellamar in Schwetzingen.
In die modern ausgestattete Küche, gespendet von „Pro Down“, kommt Leben. Mehrmals in der Woche wird abends gemeinsam gekocht. Zuletzt freuten sich die Bewohner über eine nagelneue Rührmaschine, die der Leo-Club Heidelberg für die Weihnachtsbäckerei vorbeibrachte. Am Kühlschrank hängt ein Plan mit den Essensvorschlägen für diese Woche.
Franziska (26) und Julius (29) schnippeln Gemüse. Dennis (31), der in Hockenheim als Gärtnergehilfe arbeitet, höhlt fachmännisch einen Kürbis aus. Kerzen stehen auf dem Tisch. Im Essbereich fehlt es zwar noch an Möbeln, da soll noch mehr Wohnlichkeit rein, aber sonst ist es rundum gemütlich.
Wohnprojekt in der Schwetzinger Schützenstraße: Mehr als nur gemeinsam Wohnen
„Habito“ bietet im Rhein-Neckar-Kreis individuelle Begleitung von Menschen mit Behinderungen an. In Heidelberg-Rohrbach betreibt der Verein das inklusiv ausgerichtete Mehrgenerationenhaus „Schweizer Hof“. Der Verein „Pro Down“ wurde 2000 gegründet und fördert Projekte für die Integration von behinderten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aller Behinderungsarten in Freizeit und Familie.
„Die Esskastanien sind schon fertig“, ruft Anita Wroz und holt das Blech aus dem Backofen. Es duftet köstlich. „Die jungen Leute sind alle Gemüseliebhaber und mögen jeden Abend Salat“, verrät die Sozialpädagogin. Die wollten sich eben gesund ernähren. Bei vielen Dingen würden sich die Bewohner gegenseitig helfen, das freue sie besonders: „Ich lerne jeden Tag von ihnen.“
Kontakt
- „Pro Down“ Heidelberg, Kurfürstenstraße 14, 68723 Schwetzingen, Telefon 06202/97 05 90, info@pro-down.de
- „Habito“, Heinrich-Fuchs-Straße 83, 69126 Heidelberg, Telefon 06221/4 29 90 20, info@habito-heidelberg.de
Gabor (28) ist ein bisschen müde. Er arbeitet wie Julius bei „Habito“ in Heidelberg. Er zeigt dem Besuch von der Zeitung den Fahrradunterstand im Garten. Er selbst hat ein Spezialrad, mit dem er auch manchmal zur Arbeit fährt. – „Bei dir alles okay?“ Die Frage ist an diesem Abend öfters zu hören. „So wie immer“, heißt die Antwort. „Also gut“, kommt dann noch hinterher.
Pünktlich vor dem ersten Advent veranstaltete „Pro Down“ wieder seinen Weihnachtsverkauf für den guten Zweck. Es wurde gebastelt, genäht und gestrickt. Plätzchen wurden gebacken und Marmeladen eingekocht. Der Erlös der Stände in Schwetzingen und in Plankstadt dient dazu, den Gemeinschaftsraum noch gemütlicher zu gestalten. Bei dem Projekt von Menschen mit Handicap in der Schützenstraße geht es um mehr als das gemeinschaftliche Wohnen. Der Fokus soll auf dem generationenübergreifenden Austausch in der gemeinsamen Nutzung der Räume liegen, hieß es in den Planungen der Verantwortlichen. Initiativen und Vereine seien eingeladen, die Räumlichkeiten zu nutzen. Erst dann werde auch ein echtes Miteinander ermöglicht.
Zwischen den Jahren blieb das Haus geschlossen. Die jungen Leute sind über den Jahreswechsel bei ihren Familien. Am 8. Januar kamen alles wieder in der Schützenstraße 6 zusammen.
Lea ist ein großer Adler-Fan
Elora Pllana sitzt gerade am Computer. Die 20-Jährige studiert Soziale Arbeit in Mannheim an der Hochschule. Montags bis mittwochs ist sie immer in der Wohngemeinschaft. „Das ist wirklich super hier. Die Menschen sind mir richtig ans Herz gewachsen. Wir sind wie eine Familie“, ist die junge Frau begeistert.
Die einzelnen Zimmer haben die Bewohner für sich selbst eingerichtet. Bei Lea dominieren die Farben Blau, Weiß und Rot. Die 24-Jährige hat als Eishockeyfan der Mannheimer Adler natürlich eine Dauerkarte. An der Wand hängen Fahnen und Bilder mit den Unterschriften der Cracks. Der Mannheimer Wasserturm und die Bettwäsche in den Adler-Farben fallen ins Auge. Eishockeyschläger und Pucks fehlen auch nicht in der Sammlung. Ihre Eltern fahren sie oft zur SAP-Arena, erzählt Lea. „Die Stimmung, der Jubel“ gefielen ihr besonders. Selbst Schlittschuhlaufen könne sie nicht – leider. Aber sportlich sind sie alle in der Wohngemeinschaft, die an diesem Abend auf die Mitbewohner Pascal (28) und Till (27) verzichten muss. Eine Grippewelle geht um. Till arbeitet in der Geschäftsstelle des Turnvereins 1864 in der Lore-Eichhorn-Sporthalle. Julius macht als Coach mit beim „Open Sporty Sunday“, dem inklusiven Sportangebot des Turnvereins und der HG Oftersheim/Schwetzingen einmal im Monat sonntags in der Sporthalle des Hebel-Gymnasiums. Und der 29-Jährige klettert auch gerne. Beim Eishockey fiebert er mit der DEG, sein Vater kommt schließlich aus Düsseldorf.
Gabor ist ein begeisterter Schwimmer. Aber es gibt noch mehr: Er reitet gerne bei der Reitschule „Hü & Hott“ in Friedrichsfeld, frönt dem Bogenschießen in Eppelheim und geht gerne Skifahren. Von den sportlichen Aktivitäten der jungen Bewohner kann sich so mancher eine Scheibe abschneiden. Julius und Gabor beispielsweise waren bei den Special Olympics in Mannheim dabei. Und natürlich auch in Berlin, ein unvergessliches Erlebnis für die beiden Sportler, die bei der Schwimmgemeinschaft Poseidon in Eppelheim trainieren und dort im Verein voll integriert sind.
Wohnprojekt in der Schwetzinger Schützenstraße: Zimmer penibel aufgeräumt
Julius und Dennis zeigen noch stolz ihre Wohnbereiche. Ihre Freundinnen Katrin und Lena sind heute nicht da. Also darf die Zeitung einen Blick in ihre Zimmer werfen. Alles ist penibel aufgeräumt und blitzsauber. Julius wünscht sich noch ein Regal, um mehr verstauen zu können. Auch ein Teppich fehlt ihm noch.
In der Küche riecht es inzwischen köstlich nach dem mit Käse überbackenen Gemüse. Das muntere Sextett setzt sich an den aus drei Teilen zusammengestückelten Tisch und haut ordentlich rein. Dabei gibt es noch viel zu erzählen. Der Tag könnte für die lustige Wohngemeinschaft nicht besser zu Ende gehen.
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