Gesundheit

Wut über Schließung der Notfallpraxis in Schwetzingen

Der „Umzug“ der Notfallpraxis in Schwetzingen sorgt weiter für Empörung. Bürger müssen bald nach Mannheim oder Heidelberg fahren. Auf einer Informationsveranstaltung geht es hoch her.

Von 
Marco Montalbano
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KVBW-Vorstand Dr. Doris Rheinhardt (v.l.) und Pressesprecher Kai Sonntag geben Erläuterungen zur Schließung der Notfallpraxis in Schwetzingen und müssen einen Sturm der Entrüstung aushalten - auch den Unmut von Rentnerin Hella Müller (r.) © Marco Montalbano

Schwetzingen. Voll besetzte Reihen im Lutherhaus. Viele waren zur Infoveranstaltung gekommen, zu der die Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) geladen hatte, und es sollte hoch hergehen. Denn gesprochen wurde ein absolutes Reizthema – der „Umzug“ der ärztlichen Bereitschaftspraxis in Schwetzingen zum ersten August. So zumindest die Wortwahl der Vereinigung, denn de facto handelt es sich um eine Schließung (wir berichteten mehrfach). Patienten müssen für den Besuch einer Notfallpraxis (NP) künftig nach Mannheim, Heidelberg, Weinheim, Sinsheim oder Bruchsal fahren. Betroffen sind davon Bürgerinnen und Bürger im unteren sechsstelligen Bereich.

Zu Beginn war noch alles friedlich im Saal, in dem neben zahlreichen Stadtratsvertretern vieler betroffener Gemeinden auch Kreisräte wie Adolf Härdle, der CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Sturm und Oberbürgermeister Matthias Steffan saßen, sowie GRN-Klinikleiter Tobias Schneider. KVBW-Vorstand Dr. Doris Reinhardt war gemeinsam mit Pressesprecher Kai Sonntag gekommen, im Gepäck Schaubilder und vermutlich ein etwas mulmiges Gefühl, sich in die „Höhle der Löwen“ zu wagen. Der Zeitpunkt war mutig gewählt, knapp zwei Wochen, bevor die NP ihre Pforten endgültig schließt – eine Entscheidung, an der, trotz massiver Proteste, Brandbrief an Landesgesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) von 18 Gemeinden, darunter auch Schwetzingen, und gerichtlicher Klage nichts geändert werden konnte.

Reinhardt: Ärztemangel zwingt zu Änderungen

Letztendlich entschied die KVBW eigenmächtig, was rein rechtlich zulässig ist. „Immer mehr unserer Mitglieder sind angestellt und es gibt immer weniger Hausärzte. Ein Fünftel ist inzwischen älter als 65 Jahre“, erläuterte Reinhardt. Das zwinge zu Änderungen, da es in absehbarer Zeit viel weniger geben werde, mit denen man auskommen müsse. Außerdem sei das alles kein Problem, da man den Vorgaben gemäß ja andere NP in 95 Prozent der Fälle in 30 Minuten erreichen könne, die restlichen fünf in 45 Minuten. Zudem gebe es den rund um die Uhr erreichbaren telefonischen Patientenservice 116 117, für Notfälle die 112 und vor Ort die Notaufnahme. Zusätzlich die Telemedizin und die Fahrbereitschaft.

Der KVBW-Vorstand muss sich vielen Fragen stellen lassen, auch von Kreisrat und GRN-Aufsichtsratmitglied Adolf Härdle aus Hockenheim. Die Vereinigung will in Zukunft, laut eigener Aussage, Notfallpraxen direkt bei oder in Krankenhäusern. Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich, warum gerade die in Schwetzingen geschlossen werden soll. © Marco Montalbano

Im Übrigen habe man die Kommunen über die Schließung informiert, betonte Reinhardt. Dem widersprachen Oberbürgermeister Steffan und MdL Sturm. Sie hätten davon erst aus der Zeitung erfahren. „Sie sehen hier vor sich einen zutiefst enttäuschten OB“, sagte Matthias Steffan. „Die GRN-Klinik ist ein Exzellenzstandort. Hier wird eine gut funktionierende Notfallpraxis geschlossen. Ich hätte mir gewünscht, dass man früh genug gemeinsam nach anderen Lösungen gesucht hätte“. Er ergänzte: „Die Metropolregion Rhein-Neckar ist der größte Ballungsraum in Baden. Die meisten Menschen leben hier. Wir brauchen solche Strukturen wie die NP in der Nähe. Die Schließung hätten wir gern zusammen mit der GRN-Klinik verhindert.“

Auch Andreas Sturm zeigte sich tief enttäuscht: „2022 haben wir das 50-jährige Jubiläum der Notfallpraxis gefeiert. Nun wird es längere Wege geben. Ich wünsche mir, dass wir die Situation in einem halben Jahr nochmals betrachten.“ „Wir haben robust kalkuliert“, meinte Reinhardt überzeugt. Sieben Arztstunden mehr in Heidelberg und acht mehr in Mannheim, das würde reichen.

Empörte Reaktionen von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern

Was danach folgte, war ein Sturm der Entrüstung, der dem Vorstand entgegenschlug. „Das ist feige, unehrlich und unverantwortlich“, empörte sich Bürgeraktivist Volker Engelfried: „Never change a winning team“. Dass nach „Gutsherrenart“ die Schließung entschieden worden sei, sei eine Unverschämtheit. „Ich hoffe, dass Sie die Größe haben, zu sagen, dass Sie einen Fehler gemacht haben.“ Ein Zuschauer betonte: „Meine Frau ist chronisch krank. Wir haben schon mal bis zu zwei Stunden gebraucht, um die 116 117 zu erreichen. Dann hieß es, wir benötigen den Notarzt. Als der dann nicht kam, rief ich wieder an. Mir wurde mitgeteilt, dass vergessen worden sei, ihn zu kontaktieren.“

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Zuvor hatte Reinhardt noch betont: „Wir verzahnen die Dienste immer mehr wie Patiententelefon und die 112“. Andere Anwesenden berichteten von weiteren horrenden Erfahrungen, trotz Bereitschaft nicht erreichbaren Ärzten, worauf von der Sprecherin immer wieder wiederholt wurde: „Nein, das kann nicht sein, es sind im Schnitt nur sechs Minuten Wartezeit“, worauf ihr mehrmals höhnisches Gelächter entgegenschlug. Klaus Dorke aus Schwetzingen meinte: „Ich finde es gut, dass Sie sich her getraut haben. Aber zu Ihren Statistiken sage ich: wenn man mit dem Hintern auf einer heißen Herdplatte sitzt und die Füße im Eiswasser hat, hat man im Durchschnitt auch eine gute Körpertemperatur. Und Sie reden immer von Umzug. Es ist aber eine Schließung. Ich habe ein richtig ungutes Gefühl dabei, wenn ich für dumm verkauft werde.“

Suche nach alternativen Lösungen

Es sei ein Umzug, hieß es darauf lapidar, ein Umzug von Arztzeiten. Reinhardt räumte ein, dass die 116 117 vor kurzem aus technischen Gründen ausgefallen sei. Außerdem gebe es die Fahrbereitschaft der Ärzte. Auf die Frage, wie viele es denn aktuell für Schwetzingen und Umgebung gebe, antwortete sie lediglich, dass das manche Ärzte nicht wollten, man arbeite daran - eine Antwort, die an dem Abend immer wieder zu hören war. Auch der Bereich Telemedizin wurde angesprochen. Doch aus dem Publikum hieß es: „Wie viele Ärzte sind da dann zu erreichen? Nur einer für ganz Baden-Württemberg?“. „Wäre die Nachfrage größer, würden da mehrere sitzen“, erwiderte Reinhardt.

Die Stimmung im Lutherhaus ist nur zu Beginn der Infoveranstaltung friedlich, danach kochen die Emotionen hoch. © Marco Montalbano

Direkt in der ersten Reihe saß Hella Müller aus Reilingen. „Ich bin wahnsinnig enttäuscht und zornig“, machte sie ihrem Unmut Luft. „Hier kommt man nach höchstens zwei bis drei Stunden dran, in Heidelberg erst nach vier bis fünf. Wir finanzieren Sie über unsere Beiträge. Und Sie sagen, es gibt kaum Ärzte, die sich niederlassen wollen. Bauen Sie hier doch ein Ärztehaus oder unterstützen Sie die Jungmediziner bei den Ablösesummen der Praxen. Die sind meist hoch. Es muss andere Lösungen geben.“ Bemängelt wurden auch die schlechte Erreichbarkeit der Notfallpraxen in Mannheim und Heidelberg. Lange Wege und 30 (Auto-)Fahrminuten seien unrealistisch bei Stau und gelten nicht für öffentliche Verkehrsmittel. Was passieren werde, so die Meinung im Saal, sei zudem, dass die Menschen einfach in die Notaufnahme gingen, ohne echte Notfälle zu sein und sie so „verstopften“. Reinhardt bat daraufhin dringlich, dies nicht zu tun. Die Diskussion wurde nach zweieinhalb Stunden von Kai Sonntag abgebrochen.

Freier Autor Freier Journalist. Davor Pressereferent. Studium der Politikwissenschaft.

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