Speyer. Rainer Moritz ist das, was man einen Büchermenschen nennen könnte. Aus Heilbronn stammend, hat der Leiter des Hamburger Literaturhauses als Lektor, Literaturkritiker und Autor gearbeitet. In seinem aktuellen Werk „Das Buch zum Buch – Ein Blick hinter die Kulissen“ gewährt Moritz in kurzen Texten, die wie in einem Lexikon nach Stichworten geordnet sind, amüsante Einblicke in das Buch- und Verlagswesen. Der Bücher- und Literaturkenner eröffnet die Autorenreihe Speyer.Lit mit seiner Lesung am Mittwoch, 31. Januar, im Historischen Ratssaal.
Herr Moritz, wie schwer war es, einen Verlag für ein Buch zu finden, das hinter die Kulissen der Verlagsbranche schaut? Ist man Ihrem Projekt da erst einmal mit Skepsis begegnet?
Die Reihe Speyer.Lit
Die Reihe Speyer.Lit lädt zum neunten Mal dazu ein, aktuelle Bücher und deren Autoren kennenzulernen.
Nach dem Auftakt mit dem Buch- und Literaturexperten Rainer Moritz am Mittwoch, 31. Januar, lesen im Historischen Rathaus beziehungsweise im Alten Stadtsaal jeweils um 19.30 Uhr Ann-Kathrin Ast („Beat“) am Freitag, 2. Februar, Caroline Wahl („22 Bahnen“) am Freitag, 9. Februar, der Kolumnist Harald Martenstein („Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“) am Donnerstag, 15. Februar, Monika Maron („Das Haus“) am Mittwoch, 21. Februar, und Thomas Lehr („Manfred - Bekenntnisse eines Außerirdischen“) am Mittwoch, 28. Februar.
Die literarische Reihe schließt mit der Verleihung des Arno Reinfrank-Literaturpreises am Mittwoch, 6. März, und der dazugehörigen Lesung von Preisträgerin Anja Kampmann („Der Hund ist immer hungrig“) am Donnerstag, 7. März, jeweils 19.30 Uhr.
Karten für Speyer-Lit gibt es bei der Tourist-Information Speyer, an allen Reservix-Vorverkaufsstellen sowie online unter www.reservix.de rs
Rainer Moritz: Nein, mein Verleger fand die Idee gut, weil ich schon lange im Geschäft bin, sowohl als Lektor, als Autor wie als Literaturkritiker. Mein Vorhaben, ein Lexikon zu schreiben, das nach Stichworten und aus subjektiver Sicht eines Insiders durch die Buchbranche führt, hat rasch Anklang gefunden.
Sie könnten sicher ganz andere Bücher über das Verlagswesen und die Buchbranche schreiben. Entschlossen haben Sie sich aber für die anekdotische Form – lauern dahinter die eigentlichen Skandale?
Moritz: Wer weiß, ob ich im fortgeschrittenen Alter nicht auch noch einen Schlüsselroman schreibe ... Aber solche Schlüsselromane stoßen eher auf ein begrenztes Interesse. Der Reiz bei meinem Blick hinter die Kulissen bestand für mich darin, die Branche in schlaglichtartigen, durchaus auch ironisch formulierten Texten zu beleuchten.
Der Humor spielt in Ihrem Buch eine große Rolle. War es Ihr Ziel, dem allgemeinen Reden über die Krise des Buches etwas entgegenzusetzen?
Moritz: Vielleicht, aber mir kam es auf die Mischung an. In meinem Buch werden ja durchaus auch ernste Themen verhandelt, zum Beispiel die rückläufige Rolle der Literaturkritik in den Medien. Oder die Frage, warum Bücher noch immer so verhältnismäßig billig sind.
Sie fordern, Bücher müssten teurer werden, der Preis für die Speyerer Brezel sei in den letzten Jahrzehnten schließlich auch teurer geworden. Aber vergleichen Sie da nicht Äpfel mit Birnen und würden wir das Buch nicht endgültig abschaffen, wenn es noch teurer würde?
Moritz: Selbst die Euro-Umstellung hat den Buchpreis nicht wesentlich erhöht. Für ein Glas Wein oder eine Konzertkarte zahlen Sie heute dagegen deutlich mehr als noch vor einigen Jahren. Die Kostenentwicklungen haben dazu geführt, dass die Verlage eigentlich gar nicht mehr anders können, als die Bücher teurer zu machen. Die Bücher müssten allerdings schöner, wertiger gestaltet werden. Wenn der Anreiz steigt, ein Buch in die Hand zu nehmen, dann lassen sich auch höhere Preise rechtfertigen.
Wie wirkt sich das Gendern in der Buchproduktion aus? Werden wir diesbezüglich das Lesen neu lernen müssen?
Moritz: Ich halte das Gendern für einen künstlichen Eingriff in die Gegenwartssprache, mit dem man zurückhaltend umgehen sollte. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt das konsequente Gendern ohnehin ab. Und die Kulturbranche sollte sich nicht anmaßen, den Menschen etwas überzustülpen, was sie nicht wollen und was darüberhinaus kompliziert zu handhaben ist, erst recht in Romanen.
Hinzu kommt, dass Autorinnen und Autoren bereits Ängste artikulieren, sie würden nicht politisch oder moralisch korrekt formulieren. Zuweilen sorgt das für Schreibblockaden. Läuft da nicht etwas falsch?
Moritz: Schlimm finde ich es vor allem, wenn die Forderung erhoben wird, bereits geschriebene Texte, auch Klassiker, nach heutigen politischen oder moralischen Standards zu korrigieren oder gar umzuschreiben. Wir sollten uns als Gesellschaft nicht auf den Standpunkt begeben, dass wir heute etwas besser wüssten als die Menschen früher. Ich kenne durchaus Autorinnen und Autoren, die sich inzwischen scheuen, bestimmte Themen anzusprechen, weil sie Angst haben, in einen Shitstorm zu geraten.
Sie schreiben, dass moralische oder politische Korrektheit zum „Tod der Literatur“ führen kann. Wie krank ist der Patient diesbezüglich schon?
Moritz: Der Patient würde sterben, wenn sich dieser Trend so fortsetzen würde. Wenn die Figuren in Romanen nicht mehr so reden oder so sein dürfen, wie sie aus Sicht ihres Erfinders reden oder sein sollen, dann wäre das wirklich der Tod der Literatur. Dann dürfte es keine Menschen in Mülltonnen wie bei Samuel Beckett geben, oder man müsste das Werk von Thomas Bernhard umschreiben. Aber keine Sorge, es wird inzwischen erheblich Widerstand gegen solche Einflussnahmen geleistet.
Sie schildern auf sehr lustige Weise katastrophale Abläufe von Autorenlesungen. Wie sieht für Sie die ideale Lesung aus?
Moritz: Es gibt Abende, bei denen man aus einer Lesung beglückt herausgeht und das Gefühl hat, in einem guten und intensiven Kontakt mit dem Publikum gewesen zu sein. Ich glaube, den Besuchern einer Lesung ist es wichtig, nicht nur etwas über das jeweilige Buch zu erfahren, sondern auch über den Menschen, der dieses Buch geschrieben hat. Die Form der klassischen Lesung ist übrigens eine deutsche Tradition, es gibt sie außerhalb des deutschsprachigen Raums nicht.
Wie werden einzelne Bücher eigentlich zu Bestsellern, während andere als Stapelware vergammeln?
Moritz: Wenn man das wüsste … Sicherlich spielen das Glück oder die jeweiligen Umstände eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Im Dumont-Verlag ist mit „22 Bahnen“ der Debütroman einer jungen Autorin, Caroline Wahl (sie liest am 9. Februar ebenfalls in Speyer), erschienen, der den Nerv der Buchhändlerinnen und Buchhändler trifft. Aber niemand kann wirklich hundertprozentig erklären, warum ein Buch wie dieses einen solchen Ausnahmeerfolg erzielt.
Das heißt doch aber auch, dass es selbst literarisch wertvolle Bücher nicht unbedingt schaffen, die öffentliche Beachtung zu bekommen, die sie verdienen?
Moritz: Ja. Deshalb muss man auch mit Sorge die Ausdünnung von Literaturformaten in den Kultursendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrachten. Dort regiert immer mehr die Quote. Wenn aber nur noch die Bücher von Juli Zeh oder von Daniel Kehlmann vorgestellt werden, dann verkümmert die Literaturbranche zwangsläufig.
Wie objektiv ist die Literaturkritik überhaupt noch? Ist sie nicht stark von gesellschaftlichen Trends oder medialen Gesetzmäßigkeiten bestimmt?
Moritz: Objektiv war die Literaturkritik zu keiner Zeit. Aber es gibt heute eine Tendenz, Neuerscheinungen zu preisen und Autoren zu empfehlen mit Rücksicht darauf, dass entsprechende Namen in der Öffentlichkeit für mehr Aufmerksamkeit sorgen als andere. Aber Literaturkritik muss den Mut haben, die Spreu vom Weizen zu trennen, anstatt danach zu schielen, welche Namen am besten in der Leser- oder Hörerschaft ankommen.
Wird das gedruckte Buch vom E-Book verdrängt werden?
Moritz: Ich bin da eher optimistisch. Natürlich hat das E-Book durchaus auch Vorteile gegenüber dem gedruckten Buch. Ältere Menschen können beispielsweise die Schrift größer stellen. Aber der Marktanteil der elektronischen Reader ist in den vergangenen Jahren nicht übermäßig stark gestiegen; es wird auch künftig das gedruckte Buch geben.
Können Bücher Leben retten?
Moritz: Das ist sehr hoch gegriffen. Ich habe allerdings vor Jahren ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Die Überlebensbibliothek“, in der ich „Bücher für alle Lebenslagen“ empfehle. Der eigentliche Reiz von Literatur ist, dass sie uns etwas zeigt, was wir noch nicht kennen. Dass sie uns die Augen öffnet und dass wir durch die Lektüre eines Buches unsere Umgebung anders sehen und verstehen können. Das kann sich dann durchaus lebensrettend auswirken in dem Sinn, dass man mit bestimmten Problemen oder Entwicklungen im Leben besser umzugehen lernt.
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