Speyer. Mit einem Schweigemarsch vom St. Georgsbrunnen durch die Fußgängerzone zum Gedenkstein am Platz der von den Nazis abgefackelten Synagoge hinterm Kaufhof begann am Donnerstagabend das Gedenken an die Opfer der Pogromnacht in Speyer. Stadtspitze und Gewerkschaftsvertreter marschierten vorneweg und mehr als 250 Bürgerinnen und Bürger mit ihnen, um zu zeigen, dass hier Antisemitismus und Rassismus keinen Platz haben. Ein starkes Bekenntnis in diesen Tagen, an denen jüdische Mitbürger Angst haben, hebräisch auf der Straße zu sprechen oder eine Kippa zu tragen, darüber waren sich die Veranstalter einig.
DGB-Stadtverbandsvorsitzender Axel Elfert rückte den Gedenktag ins Weltgeschehen, in den Krieg in Nahost: „Seit am 7. Oktober Kämpfer der Hamas jüdische Menschen gefoltert, verschleppt und gefoltert haben, hat die Welt einen Brandherd mehr. Wir verurteilen den Mord an Juden auf das Schärfste. Und wir trauern auch um die vielen unschuldigen Opfer bei den Palästinensern. Seit dieser grausamen Tat der Hamas flammt weltweit Antisemitismus auf, auch in unserem Land“, sagt Elfert. Das Demonstrationsrecht dürfe nicht missbraucht werden, um Terror zu feiern.
Lange sei Rechtsradikalismus verharmlost worden, das Attentat in München 1984 als Einzeltat bezeichnet worden, die Umtriebe der Wehrsportgruppe Hoffmann belächelt worden. Elfert erinnerte auch an eine Veranstaltung von Neonazis um Michael Kühnen 1984 im Gasthaus „Stadt Nürnberg“ (heute „Philipp eins“), die von einer Gegendemo unter Mithilfe des einzigen Stadtrates Bernd Rückwardt und der von ihm mit in Gang gesetzten Polizei aufgelöst werden konnte. Antisemitismus finde sich auch heute wieder überall und werde von politischen Kräften auf angeblich sozialen Kanälen verbreitet und finde Nährboden bei Menschen mit Zukunftsängsten.
Pogromgedenken in Speyer: Zimmer der Erinnerung geplant
„Wir müssen zusammenstehen für die Demokratie. Wählt demokratische Parteien, wir sind mehr, Speyer darf keine braune Suppe werden“, sagte Elfert im Blick auf die Kommunalwahlen. Er kündigte an, dass im Januar ein Buch über den Widerstand in Speyer zur Nazizeit erscheine und dass im sogenannten „braunen Haus“ (Maximilianstraße 99) ein Zimmer der Erinnerung eingerichtet werde, dort wo einst die Nazis residierten.
Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler erinnerte an die 102-jährige Margot Friedländer, die erzählte, wie ihr Vater, ein jüdischer Deutscher, hoch ausgezeichnet aus dem Ersten Weltkrieg, immer gesagt habe. „Die meinen nicht uns, wir können sicher sein. Wie konnte er sich nur so täuschen.“ Sie habe schließlich das KZ Theresienstadt überlebt und sei seit der Rückkehr 1988 nach Deutschland unterwegs als Botschafterin gegen das Vergessen.
Der 9. November 1938 sei ein Wendepunkt gewesen für jene jüdischen Mitbürger, die sich als Deutsche fühlten und nun merkten, dass sie ausgelöscht werden sollten. In Speyer sei die Synagoge ausgebrannt, Geschäfte wurden zerstört und geplündert – ein Akt des blanken Hasses. „Es war der Beginn der Entmenschlichung Speyerer Bürger – wir bitten die Nachkommen um Verzeihung und sind aufgefordert, uns gegen jede Art des Extremismus zu stellen“, sagt die OB. Und: „Wir denken an die jüdischen Freunde in unserer israelischen Partnerstadt Yavne und stehen für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit. Antisemismus und Rassismus haben in Speyer keinen Platz. Es gibt nur menschliches Blut, das vergossen wird – kein jüdisches, kein christliches und kein muslimisches.“
Kräftig mitgesungen haben die Besucher die Lieder des Chores „Rote Raben“. Sie stimmten „Die Gedanken sind frei“, „Sag mir wo die Blumen sind“ und „Die Moorsoldaten“ an. Dr. Klaus-Jürgen Becker vom Ludwigshafener Stadtarchiv freute sich über die vielen Teilnehmer. Das kenne er so aus anderen Städten nicht. Er erinnerte an den stets vorhandenen Antisemitismus in Deutschland. Schon im Kaiserreich hätten sechs Prozent antisemitische Gruppierungen gewählt, in der Weimarer Republik sei Antisemitismus allgegenwärtig gewesen, 1933 habe man den Nazis die Macht ja geradezu übergeben. Schon bis 1938 sei jüdischer Besitz angeeignet worden. „Dann wurde die breite jüdische Kultur in der Pogromnacht und danach zerstört.“ Aber 1949 sei schon wieder die Deutsche Reichspartei gewählt worden, später die NPD, die Republikaner und heute die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte AfD. Dagegen müsse man sich stellen und mit denen diskutieren, die diese Kräfte wählen wollen.
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