Speyer. Von den Buschtrommeln, die im Eingangsbereich der Gedächtniskirche dröhnen, bis zum andächtigen gregorianischen Gesang im Dom ist es nicht nur zeitlich und geografisch ein weiter Weg. Es sind auch akustische und musikalische Ereignisse, die ein breites stilistisches Spektrum beschreiben, für das die Kult(o)urnacht in Speyer bekannt und beliebt ist.
Das „o“ in Kultur ist entscheidend; denn die zahlreichen Angebote in Kirchen, Museen und anderen Veranstaltungsstätten wollen erlaufen oder mit dem Rad und dem Bus angepeilt sein. Konzerte wechseln im Halbstundentakt, und es ist ratsam, seine persönliche Kult(o)ur vorher ein wenig vorauszuplanen. Wer nur flanieren will, kommt in den reich bevölkerten Straßen und Gassen der Domstadt gleichwohl auf seine Kosten.
Er stößt dort beispielsweise auf die Speyerer Gruppe Afabato, die die Kult(o)urnacht unter der Leitung von Rainer Körber in der Gedächtniskirche angetrommelt hat und mit ihren wilden Rhythmen nun in der Fußgängerzone anzutreffen ist. Oder auf das vierköpfige Karlsruher Ensemble Salon du Jazz, das mit luftig-akustischem, tänzerisch angehauchtem Kammerjazz das urbane Sommerleben versüßt.
Chor "DreiCant" in Speyerer Dreifaltigkeitskirche
Vor allem die Kirchen werden an diesem Abend und in der Nacht aufgesucht, um dem musikalischen Genuss zu frönen. So präsentieren die 30 Sängerinnen des Chores „DreiCant“ der Dreifaltigkeitskirche unter der Leitung von Susanne May-Rohde entspannte Vokalarrangements von John Dowland bis zu den Beatles. Begleitet von einer kleinen Band darf zum Beatles-Klassiker „All you need is Love“ gerne auch mitgesungen werden.
Am selben Ort ist später der Evangelische Posaunenchor Speyer unter Leitung von Philipp Neidig mit „Blasmusik für den lieben Gott“ - wie der Chor seine Tätigkeit selbst charakterisiert - zu hören. Die Palette reicht vom frühbarocken Johann Hermann Schein bis zum zeitgenössischen Komponisten Johann Matthias Michel, der die Kirchenmusik mit Jazzrhythmen bereichert. In den Lutherchoral „Ein feste Burg“ stimmen die Besucherinnen und Besucher der Dreifaltigkeitskirche gerne ein. Etwas später sind hier Bora Krymbi und Walter Ast mit lateinamerikanischen Tänzen zu hören, die sie auf zwei E-Pianos präsentieren.
Dazwischen kann man einen Sprung in den benachbarten Kaiserdom wagen, wo den Abend über Menschenschlangen anstehen, um die 303 Stufen hinauf zur Turmspitze zu erklimmen und den prachtvollen Kaisersaal zu besichtigen. Auch die Reihen im Gotteshaus sind vollbesetzt, als Domorganist Markus Eichenlaub sein „Best of“ der Toccaten-Literatur präsentiert. Vertreten sind Bach, Boëllmann, Widor und Andreas Willscher – doch gleich aus welcher Epoche eine Toccata stammt, so ist ihr doch stets ein Ungezügeltes, Ekstatisches eigen, das der Organist den machtvoll brausenden Klängen der beiden Domorgeln überantwortet.
Klemzer Quartett Heidelberg tritt auf
Der Judenhof ist derweil perfekte Kulisse für das auf fünf Köpfe angewachsene Klezmer Quartett Heidelberg, das dem Genre mit Geige und Gesang sowie mit Klarinette, Trompete, Bass und Gitarre alle Ehre macht. Es sind tänzerische und temperamentvolle Weisen, mit denen das Ensemble die traditionelle Spielweise der osteuropäischen Klezmorim mit viel Gefühl für die Seele und das volkstümliche Idiom dieser Musik adaptiert.
Wer nach diesen ausgelassenen Darbietungen und vor dem Heimweg noch etwas Beruhigung nötig hat, kann ein letztes Mal in dieser Nacht zum Dom pilgern. Dort setzt die Schola Cantorum Saliensis unter der Leitung von Christoph Keggenhoff mit gregorianischem Gesang einen behutsamen Schlusspunkt unter einen Abend, der seinen Charme aus der Tatsache bezieht, dass sich in Speyer die Kultur mit „o“ schreibt, ohne in eine Tortur auszuarten.
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