Speyer. Über der Musik von Clara und Robert Schumann schwebt ein Geist. Es ist der einer fiktiven Figur, die sich in E.T.A. Hoffmanns Fantasiestücken „Kreisleriana“ als Johannes Kreisler äußert. Robert Schumann hat sie in einem gleichnamigen Klavierzyklus gewürdigt. Beim Musikfest der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz wurde eine künstlerische Annäherung an jenen Kapellmeister unternommen, der auf einem dünnen Faden zwischen Genie und Wahnsinn balanciert.
Wie Wilhelm Heinrich Wackenroders und Ludwig Tiecks „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, so gilt auch Hoffmanns „Kreisleriana“ als romantisches Dokument für den herausgehobenen Rang der Musik unter den Künsten. Sie bringe das Unaussprechliche zur Sprache, hieß es gegen Ende des 18. Jahrhunderts in verklärender Diktion. Philosoph Arthur Schopenhauer mystifizierte die Musik als universalen „Willen“, bevor ein ernüchterter Musikkritiker namens Eduard Hanslick ihr Mitte des 19. Jahrhunderts spröde beschied, sie sei nichts weiter als „tönend bewegte Form“.
Musik als Weg zum Unerklärlichen
Unterdessen legt die Art und Weise, wie Pianistin Asli Kilic im Speyerer Alten Stadtsaal Schumanns „Kreisleriana“ interpretiert, doch eine Auffassung von Musik nahe, die Emotionen, Verborgenes und selbst Unerklärliches zum Ausdruck bringt – mag auch das bloß eine schöne Illusion sein. Während im Hintergrund Computergrafiken, Porträts und Ausschnitte von Gemälden (vorzugsweise von Caspar David Friedrich) zu sehen sind, die Live-Bewegtmaler Reinhard Geller auf die Leinwand projiziert, legt Asli Kilic jene Fantasiestücke zwischen lyrischer Versonnenheit und dramatischer Hingabe an. Durch die kraftvolle Betonung der Bassregister erhält die Musik ein Fundament, das romantische Sehnsüchte nach einer Flucht aus der Diesseitigkeit zu erden vermag.
Und es ist nicht leicht zu entscheiden, ob die Überführung dieser Musik in ein zeitgenössisch-experimentelles Format dazu beiträgt, sie zu begreifen – oder doch eher ihre flüchtige Materialität anzuerkennen. Jedenfalls verdeutlichen die elektronischen und jazzigen Transformationen von Schumanns Klavierzyklus durch das Ensemble Scriabin Code die Tiefendimensionen dieser Musik. Martin Albrecht (Klarinetten), Christopher Herrmann (Cello), Kristof Körner (Schlagzeug) und Daniel Prandl (Klavier) fächern Schumanns Fantasien improvisierend und kommentierend auf.
Strukturen mit Spiel freilegen
Die Übergänge zwischen der klassischen Vorlage und der modernen Adaption sind fließend; Asli Kilic und Daniel Prandl sorgen am Flügel für fliegende Wechsel. Mag man ihrem Wesen auch bis auf den Grund gefolgt sein, so scheint die Musik am Ende ihren Nimbus als ein Mysterium zu behalten, das seine tiefen Geheimnisse auch unter hartnäckigen Bemühungen nicht preisgibt.
Das Ensemble Scriabin Code versteht sich laut Klarinettist Martin Albrecht als „Brecheisen“, um Strukturen und Wesensmerkmale der Musik freizulegen. Wissend, dass sich Kunst bisher noch jedem Versuch widersetzt hat, ihr mit aufklärerischem Furor beikommen zu wollen, der bis in den genetischen Mikrokosmos vorzudringen wagt.
Clara Schumanns Klaviertrio in g-Moll hatten Felix Wulfert (Violine), Sofia von Freydorf (Cello) und Asli Kilic am Klavier zuvor als Zeugnis einer künstlerischen Emanzipation dargeboten. Das dramatisch Drängende dieses Werkes erscheint in leidenschaftlicher Gestalt, die tänzerischen Passagen erfreuen durch rhythmische Noblesse.
Die einvernehmliche Unterhaltung mit paritätischer Rollenverteilung erzeugt satten Wohlklang. Das Cello spielt nicht einfach nebenher, sondern mischt sich führend ein. So, als hätte ihm Clara Schumann die Stimme der sich ihres Rangs bewussten Künstlerin verliehen.
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