Speyer. Die Geistlichen Abendmusiken in den Speyerer Kirchen bieten Konzertprogramme in einem liturgischen Rahmen. Musikalische Inspiration und geistliche Impulse sind dabei sinnhaft aufeinander bezogen. In der Christuskirche wurde hierfür das jüngste Beispiel geboten. Kirchenmusikdirektor Robert Sattelberger ließ an der Ohlert-Orgel Werke des französischen Barockkomponisten François Couperin und des beinahe zeitgenössischen Organisten und Komponisten Jehan Alain erklingen.
Das Œuvre des mit gerade einmal 29 Jahren gestorbenen Musikers Alain ist opulent. Es weist unter anderem Bezüge zu Couperin auf, wie Robert Sattelberger eindrucksvoll verdeutlichte. Seine drei Tänze hat Alain als Soldat auf dem Feld notiert, bevor ihn 1940 der Tod ereilte. Dem durch Kriege verursachten Leid verlieh auch Pfarrerin Heike Kronenberg mit Worten aus dem 34. Psalm Resonanz. Aktuelle Bezüge zum „Krieg vor unserer Haustür“ stellte sie dabei ebenso her.
Seine Interpretation der Werke Jehan Alains fasste Robert Sattelberger durch ein Offertorium und eine Chaconne von François Couperin ein. Die Rundorgel in der Christuskirche – ihre Pfeifen winden sich in einer Spirale nach oben – erwiderte das engagierte Spiel des Organisten mit hellen und präsent ansprechenden Zungenpfeifen, die freudvolle und am Ende auch versöhnlich wirkende Klangeindrücke hinterließen.
Garten zum Schweben gebracht
Wie zerklüftet und zerrissen, in existenzielle Abgründe führend hingegen das Orgelwerk Jehan Alains, das mit den Variationen über ein Thema Clément Janequins noch „mit Frische und Zärtlichkeit“ zuwege ging, wie Pfarrerin Kronenberg in der Einführung ankündigte. Die schon für Couperin typische dialogische Struktur und die reizvolle Verknüpfung unterschiedlich gefärbter Stimmen, wie sie die Ohlert-Orgel über zwei Hauptwerke mitsamt einem Positiv ermöglicht, kam hierbei klangschön zum Tragen.
Der mystische Kathedralklang lässt sich auf dem Instrument freilich nicht reproduzieren; hierfür ermangelt es eines Schwellwerks ebenso wie des offenen Raums einer Kathedrale, wie er für französische Orgelmusik charakteristisch ist. Doch selbst in der trockenen Akustik der Christuskirche ließ Robert Sattelberger den „Jardin suspendu“ (den „Hängenden Garten“) in irisierenden Schwebeklängen mit suggestiven Lichtwirkungen wie unter einem astralen Schimmern erblühen.
In den „Litanies“ hat Alain die Trauer über seine tödlich verunglückte Schwester verarbeitet. Wenn Sattelberger das Werk auch in kammermusikalischem Format darbot, so beeindruckte doch das beträchtliche Klangvolumen, in dem die herzzerreißende Klage zu einem erschütternden Ausdruck fand. Davon profitierten auch die drei Tänze mit ihren Brüchen, Eruptionen und mit Verläufen, die ebenso bizarres Aufbegehren wie sinistre Abstürze evozieren.
Abermals zeigte sich die Ohlert-Orgel keineswegs als Spielverderberin und spielte ihre vergleichsweise bescheidenen Registereigenschaften selbstbewusst aus. Das impulsiv ansprechende Zungenregister verriet gar kathedralhafte Ambitionen, die diesen Zyklus dank der zupackenden Spielweise des Organisten zu einem überwältigenden Hörerlebnis werden ließen.
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