Geschichte

Jakob Venedey: Der Vater der Grundrechte

Sein Name ist weitgehend vergessen. Doch der Begriff, den er geprägt hat, ist es nicht: Das Wort „Grundrechte“ als Bezeichnung für die elementaren Freiheitsrechte. Wer war Jakob Venedey

Von 
Peter W. Ragge
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In der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche wird 1848 erstmals der Begriff „Grundrechte“ verwendet – und per Gesetz garantiert. © DPA

Mannheim. Sein Name ist weitgehend vergessen. Doch der Begriff, den er geprägt hat, ist es nicht: Das Wort „Grundrechte“ als Bezeichnung für die elementaren Freiheitsrechte, wie sie jetzt seit 75 Jahren im Grundgesetz niedergeschrieben sind, geht auf Jakob Venedey zurück, ein zeitweise in Heidelberg lebender Jurist und wichtiger Kopf der 1848er-Revolution. Die Bundesstiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ hat ihn für ihr Projekt „100 Köpfe der Demokratie“ nominiert, und auch eine Konstanzer Ausstellung zur Revolution in Baden würdigte ihn im vergangenen Jahr.

Schon als Schüler soll der 1817 geborene Venedey auffällig gewesen sein. Er erhält einen Schulverweis wegen seiner Sympathien für die verbotene Turnerbewegung. Aber das bestärkt ihn in seinen, der Obrigkeit kritisch gegenüberstehenden Ansichten. Als Jurastudent 1824 bis 1827 an den Universitäten Heidelberg und Bonn wird er Mitglied der Burschenschaft. Er publiziert, stößt zum pfälzischen „Press- und Vaterlandsverein“ Wirths und Siebenpfeiffers und nimmt am Hambacher Fest 1832 teil. Damit gerät er ins Visier der Staatsmacht.

Im Gegensatz zu manchem Revolutionär verurteilt er Gewalt

Daher wird er im September 1832 in Mannheim verhaftet, muss zur Untersuchungshaft ins Gefängnis Frankenthal. Dank einem Helfer gelingt ihm die Flucht, und der Dürkheimer Stadtrat Johannes Fitz, einer der Organisatoren des Hambacher Fests, fädelt für ihn die weitere Flucht nach Straßburg ein, von wo aus er wiederum nach Paris fährt. Dort arbeitet er als Korrespondent, gründet den „Bund der Geächteten“ mit.

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Aber es zieht ihn wieder zurück in die Heimat, als sich im Zuge der 1848-er Revolution die Chance ergibt, hier etwas zu gestalten. Er wird Mitglied des sogenannten Vorparlaments, dann Abgeordneter der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, die eine Verfassung ausarbeiten soll.

Dort gilt Venedey als Verfechter einer großdeutschen Lösung, also eines Deutschen Reichs einschließlich Österreichs – aber ohne das davon unabhängige Polen. Und er tritt für ein starkes Parlament ein, sieht gleichzeitig das Volk als Souverän der künftigen Gesellschaftsordnung. Und im Gegensatz zu manchem Revolutionär verurteilt er jeden gewalttätigen Aufruhr im Innern. Er sieht allein in Wahlen (freilich nur für Männer, wie damals üblich) und im Parlament den legitimen Weg, etwas zu verändern.

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In diesen Beratungen soll er, schließlich ist er Jurist, den Begriff „Grundrechte“ für die elementaren bürgerlichen Rechte, auf die sie sich gegenüber dem Staat berufen können und die dessen Eingriffsraum begrenzen, eingeführt und geprägt haben. Bewusst beginnen die Beratungen in der Paulskirche nämlich nicht mit Fragen der Staatsorganisation, sondern mit dem Grundrechtsteil der künftigen Verfassung – auch mit dem Ziel, die revolutionären Unruhen zu dämpfen, indem schnell eine Abgrenzung zum Obrigkeitsstaat deutlich wird. Man wolle „jetzt aus dem heraus(zu)kommen, was uns der Polizeistaat der letzten Jahrhunderte gebracht hat. Wir wollen den Rechtsstaat auch für Deutschland begründen“, sagt dazu damals Georg Beselers, Sprecher des 30-köpfigen Verfassungsausschusses.

„Meilenstein in der deutschen Demokratiegeschichte“

Der Grundrechtekatalog, der dann Teil der Reichsverfassung vom 28. März 1849 wird – umfasst die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungs- und Konfessionsfreiheit, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre, Briefgeheimnis sowie die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person und der Wohnung. Festgeschrieben wird zugleich die Gleichheit vor dem Gesetz, die Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren, das Ende der alten Privilegien des Adels sowie das kommunale Selbstverwaltungsrecht. So steht es in 50 Paragrafen, angeordnet in neun Artikeln, in dem im Dezember 1848 bereits im Vorgriff auf die im März 1849 verabschiedete Paulskirchenverfassung beschlossenen „Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volks“, das sogar von Reichsverweser Erzherzog Johann ausgefertigt und verkündet wird.

Das sei „ein Meilenstein in der deutschen Demokratiegeschichte“, so Historiker Klaus Seidl von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages, Kurator einer Ausstellung zur Paulskirchenverfassung des Bundestages. Obwohl die Grundrechte nach dem Scheitern der Revolution 1851 förmlich aufgehoben worden seien, „erwies sich das Konzept über die Weimarer Reichsverfassung hinaus bis in das Grundgesetz als wegweisend“, hebt er hervor. Insbesondere die Freiheits- und Grundrechte, welche die Nationalversammlung in der Paulskirche den Deutschen gewährt, „nahmen vorweg, was uns heute selbstverständlich scheint“, so Seidl – was aber nicht selbstverständlich ist: Die Verfassung des Deutschen Reichs 1871 nennt keinerlei Grundrechte, und die Weimarer Verfassung von 1919 führt sie zwar auf. Der Reichspräsident darf sie aber am Parlament vorbei außer Kraft setzen, was die Nationalsozialisten 1933 auch gleich ausnutzen.

Venedeys Verdienste sind indes weitgehend vergessen. Er lebt zeitweise im Schweizer Exil, dann Heidelberg und im Schwarzwald. Verheiratet ist er mit der Revolutionärin Henriette Obermüller, die vorübergehend eine Pension führt.

Redaktion Chefreporter

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