Stuttgart. Die maroden Hochschulgebäude gefährden die Attraktivität des Forschungsstandorts Baden-Württemberg, sagt Petra Olschowski. Die neue baden-württembergische Wissenschaftsministerin will mehr Dynamik ins Bauen bringen. Sorgen macht der Grünen-Politikerin aber auch der Studentenrückgang.
Frau Olschowski, Sie sind seit gut drei Wochen Ministerin. Wie groß ist der Unterschied zum Amt der Staatssekretärin?
Petra Olschowski: Das ist natürlich ein Unterschied. Es hilft sehr, dass ich sechs Jahre lang Staatssekretärin gewesen bin. Ich kenne die Kolleginnen und Kollegen im Haus und die Abläufe. Aber die Themenvielfalt ist als Ministerin viel größer, verbunden mit einer höheren Verantwortung. Das merkt man im täglichen Handeln.
Sie haben mit Herzblut die Kunst betreut. Bedauern Sie, dass die jetzt zurückstehen muss?
Olschowski: Es war mein Wunsch, dass Wissenschaft und Forschung – wie bisher – bei der Ministerin verortet sind. Es ist eine gute Tradition, dass die Kunst schwerpunktmäßig dem Staatssekretär zugeordnet ist und eine besondere Aufmerksamkeit bekommt. Gleichzeitig habe ich die Gesamtverantwortung und werde weiterhin auch Kulturtermine wahrnehmen, unter anderem bin ich im Verwaltungsrat der Staatstheater und werde das Restitutionsthema weiter vorantreiben. Darüber hinaus glaube ich, dass es gut ist, wenn auch mal andere Augen auf ein Thema blicken.
Sehen Sie konkrete Punkte, bei denen sich ein anderer Blick winkel lohnt?
Olschowski: Ich habe im Kulturbereich gute Erfahrungen mit unserem zweijährigen Dialogprozess gemacht. In der Wissenschaft und der Forschung kommt aus meiner Sicht allerdings die Verbindung zur Gesellschaft ein bisschen zu kurz. Ohne Wissenschaft und Forschung werden wir die großen Zukunftsthemen nicht angehen können. Wir brauchen als Partner zur Umsetzung die Wirtschaft, aber auch die Gesellschaft. Die Gesellschaft ist vielfach bereit zur Transformation, aber es muss Vertrauen gestärkt werden. Dazu gehört, dass Prozesse klarer vermittelt werden. Kommunikation ist mir immer wichtig gewesen. Das ist auch eine Aufgabe für die Wissenschaft.
Ihre Vorgängerin wurde vier Mal Wissenschaftsministerin des Jahres. Ist das Abschreckung oder Ansporn?
Olschowski: Ich habe großen Respekt vor dem Erfolg und der strategischen Weitsicht von Theresia Bauer. Ich komme jedoch in eine vollkommen andere Situation. Die letzten elf Jahre waren finanziell gute Jahre. Im Moment müssen wir davon ausgehen, dass die nächsten dreieinhalb Jahre bis zur Landtagswahl schwieriger werden. Ich bin aber natürlich ehrgeizig und will trotzdem viel erreichen für den Standort.
Die Energiepreise explodieren, viele Hochschulgebäude sind marode, die Pandemie ist noch nicht ausgestanden. Was ist die größte Herausforderung?
Olschowski: Die Energiepreise werden die große Herausforderung für diesen Winter und vielleicht für das nächste Jahr. Da brauchen vor allem die Universitäten Hilfe, die anders als andere Hochschulen ihre Energiekosten selbst bezahlen. Aber auch die Studierendenwerke. Diese Hilfe wollen wir leisten. Ein zentraler Komplex für die nächsten Jahre ist das Thema Bauen. Die Hochschulbauten aus den 70er und 80er Jahren sind jetzt alle gleichzeitig sanierungsbedürftig. Wir haben einen enormen Sanierungsstau. Das Thema drückt die Hochschulen am meisten. Wir müssen mehr Dynamik in das Thema bekommen. Wir brauchen dafür einen strategischen Austausch. Mit einer maroden Bausubstanz sind wir kein attraktiver Forschungs- und Hochschulstandort.
Die Studierendenzahlen sinken. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Olschowski: Das sehe ich mit Sorge. Wir müssen uns über die Hintergründe Klarheit verschaffen. Corona und geburtenschwächere Jahrgänge werden eine Rolle spielen, aber nicht die einzigen Faktoren sein. Wir werden uns etwa gemeinsam mit den Hochschulen, teilweise auch mit der Wirtschaft, anschauen, ob die Studiengangportfolios noch stimmen. Vielleicht brauchen wir zudem ein gemeinschaftliches bundesweites Marketing. Wir müssen gegensteuern, damit dieser enorm starke Forschungs- und Wissenschaftsstandort den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Fachkräfte bekommt, die er braucht.
Not herrscht beim Ingenieurnachwuchs. Was kann die Politik da tun? Es gilt ja die Autonomie der Hochschulen.
Olschowski: Die Hochschulen wissen besser, wie Studiengänge attraktiv auszugestalten sind. Aber es hat sich bewährt, zu bestimmten Themen in den Austausch zu treten. Wir sollten auch den bundesweiten Vergleich anstellen und die Rahmenbedingungen überprüfen. Wenn am Ende des Prozesses steht, dass Profilierungen stärker werden müssen, kann man überlegen, wie das Land die Änderungen beschleunigen kann. Aber zunächst müssen wir wissen, woran es liegt. Wir haben schon mit der Analyse angefangen.
Stellen Sie die Gebühren für die ausländischen Studierenden infrage?
Olschowski: Wir schauen sie uns auf jeden Fall an, diskutieren nicht mit Scheuklappen. Ich will – auch im Ländervergleich – wissen, ob die Verwaltungsgebühren an den Hochschulen etwas mit den Rückgängen zu tun haben oder die Beiträge für die Studierendenwerke. Dann können wir sehen, ob Handlungsbedarf besteht.
Werden Hochschulstandorte überflüssig, wenn die Zahlen weiter sinken?
Olschowski: Im Moment sehe ich das nicht. Man muss sich die längerfristige Entwicklung anschauen. Das Ziel ist, möglichst viele gute Studierende an möglichst vielen guten Hochschulen zu haben. Und wir müssen auch an den Fachkräftebedarf in der Region denken. Klar ist: Wenn die Studierendenzahlen dauerhaft sinken, werden weniger attraktive Standorte unter Druck geraten.
Der Lehrermangel im Land ist groß. Richten Sie mehr Studienplätze ein?
Olschowski: Die Studienplätze allein sind nur der eine Teil. Wir haben sie bei den Grundschulen und Sonderpädagogen bereits erhöht. Aber auch diese Situation möchte ich möglichst bald mit der Kultusministerin zusammen analysieren. Wir haben ja auch Probleme in den Mint-Fächern an den Gymnasien oder bei den Kunstpädagogen sowie mit spezifischen Fächerkombinationen. Darüber sollten wir auch im Länderverbund sprechen. Auch das Thema Weiterbildung und Quereinsteiger wollen wir stärker angehen. Entscheidend ist, die gesellschaftliche Akzeptanz dieses fantastischen Berufs zu erhöhen und das Berufsbild attraktiver zu machen.
Wird das Wintersemester ein Präsenzsemester, wenn die Pandemie anhält?
Olschowski: Wir tun alles dafür, dass es ein Präsenzsemester wird. Und bei allem, was ich im Moment sehe, gehe ich davon aus, dass es ein Präsenzsemester wird.
Wenn Sie dieses Jahr Abitur machen würden, was würden Sie studieren?
Olschowski: Sozialwissenschaften – um das zu tun, was ich jetzt tue, mit mehr Verständnis für gesellschaftliche Prozesse.
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