Sexuelle Belästigung

Fünf Jahre #MeToo: Wo steht Deutschland?

Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman fordert schärfere Gesetze

Von 
Diana Zinkler
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Was viele Betroffene von sexueller Diskriminierung vor #MeToo noch hingenommen haben, wird heute nicht mehr toleriert. © Annette Riedl/dpa

Berlin. Es ist ein schlichtes „Me too“, auf Deutsch „Ich auch“, das jedes Mal wieder einen Abgrund beschreibt. Seit am 15. Oktober 2017 die Schauspielerin Alyssa Milano Frauen weltweit im sozialen Netzwerk Twitter aufforderte: „Wenn Sie sexuell belästigt oder angegriffen wurden, schreiben Sie ,Ich auch‘ als Antwort auf diesen Tweet“, reagierten Millionen Frauen darauf. 200 000 am ersten Tag, eine halbe Million bereits am zweiten Tag. Weltweit lösten die Bekenntnisse Bestürzung aus. Aber sie klagten auch diejenigen an, die ihre Macht missbraucht hatten, um sich Frauen – und seltener auch Männern – sexuell zu nähern, sie zu beleidigen, zu bedrängen, die Frauen diskriminierten und kleinhalten wollten: Männer mit Macht.

Bereits zehn Tage vor dem ersten #MeToo-Post erschien am 5. Oktober 2017 ein Artikel in der „New York Times“, der den sexuellen Missbrauch in der Glamourzentrale der USA offenlegte. Vor allem ein Mann stand im Zentrum zahlreicher Vorwürfe: der Hollywoodproduzent Harvey Weinstein. Die weltweite Bewegung erreichte 2017 auch Deutschland. Was ist passiert seitdem? Und: Ist genug getan worden, um Frauen zu helfen, die von ihrem Chef oder Kollegen sexuell bedrängt oder belästigt werden?

Es ist erst ein paar Tage her, da hat die frühere FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin in einem Buch öffentlich gemacht, wie sie es jahrelang stillschweigend ertrug, angemacht, begrapscht und diskriminiert zu werden. Ähnlich soll es jahrelang einigen Mitarbeiterinnen bei der „Bild“-Zeitung ergangen sein. Eine Untersuchung durch die Anwaltskanzlei Freshfields im Auftrag des Axel-Springer-Verlags ergab im März 2021, dass der damalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt seine Macht missbraucht hatte, indem er junge Frauen, mit denen er eine sexuelle Beziehung hatte, beförderte oder degradierte.

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Dem Compliance-Verfahren folgte erst eine zeitweise Freistellung Reichelts. Als er beteuerte, Fehler gemacht zu haben, durfte er zurückkehren, doch weitere Enthüllungen katapultierten ihn letztlich im Herbst hinaus. Jetzt hat eine ehemalige Angestellte der „Bild“ an einem Gericht in Los Angeles eine Zivilklage gegen das Medium sowie gegen eine Tochterfirma des Axel-Springer-Verlags eingereicht. Unter anderem geht es um den Vorwurf der sexuellen Belästigung.

Seit 2017, seit Beginn der #MeToo-Bewegung, werden Verhältnisse zwischen Angestellter und Vorgesetztem zumindest gesellschaftlich neu bewertet. Wie freiwillig ist ein Verhältnis mit einer Praktikantin – auch wenn sie volljährig ist? Wann gewinnt die Macht überhand, sollten Beziehungen in einem Hierarchiegefälle überhaupt toleriert werden? Was ist Liebe, Erotik und was Macht? Was viele vor #MeToo noch hingenommen haben – den Klaps, das Bedrängtwerden durch den Chef, die anzüglichen Bemerkungen –, wird heute nicht mehr toleriert.

Seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Jahr 2006 ist in Deutschland der Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz geregelt. Daraus ergeben sich Rechte für Betroffene, aber auch Schutz- und Interventionspflichten für Arbeitgeber. Doch wie groß ist das Problem? In einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015 gab die Hälfte der befragten Männer und Frauen an, einmal bei der Arbeit sexuell belästigt worden zu sein. 2019 ermittelte eine ähnliche Studie, dass 13 Prozent der Frauen und fünf Prozent der Männer von 2016 bis 2019 am Arbeitsplatz belästigt wurden. Das heißt: Sexuelle Belästigung gehört immer noch zum Alltag in Deutschland.

Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung sieht auch fünf Jahre nach Beginn der #MeToo-Bewegung Handlungsbedarf. „Frauen haben sich ermutigt gefühlt, über ihre Erfahrungen zu berichten. #MeToo war 2017 ein Befreiungsschlag für Frauen, die bis dahin verstummt waren. Dabei ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz real – unabhängig davon, ob es sich um einen Großkonzern oder um eine kleine Firma handelt“, sagt Ferda Ataman dieser Redaktion.

Ataman fordert nun eine Reform des Antidiskriminierungsgesetzes. Die derzeit angewendete Regelung sehe vor, dass Personen, die von sexueller Belästigung betroffen sind, acht Wochen Zeit haben, um Ansprüche geltend machen zu können. „#MeToo hat aber gezeigt, dass viele Frauen erst Jahre später darüber sprechen können oder sich nicht trauen, gegen ihren Arbeitgeber vorzugehen. Deshalb muss die Frist auf zwölf Monate verlängert werden“, fordert Ataman.

Auch sollten Betroffene künftig gemeinsam klagen können, bisher können sie das nur allein. Verbände oder Antidiskriminierungsstellen haben kein unterstützendes Klagerecht. Und drittens benötige man mehr Anlaufstellen, die Opfer beraten, ihnen helfen und sie über die Rechtslage aufklären, wenn es zu einem Übergriff gekommen ist.

In Deutschland, so Ataman, werde dem Thema traditionell weniger Beachtung geschenkt als etwa in den USA. Von daher war die #MeToo-Bewegung für Deutschland „extrem wichtig“, weil sie Frauen Mut gemacht habe, sich zu wehren, aber auch Arbeitgeber sensibilisiert habe. Mittlerweile gebe es gute Beispiele in den Unternehmen, etwa Betriebsvereinbarungen zu sexueller Belästigung, regelmäßige Betriebsversammlungen und sichtbare Beratungsangebote.

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