Mannheim. Herr Babbel, Sie haben kürzlich ihre Autobiographie „It’s not only football“ veröffentlicht (Edel-Verlag, 19,95 Euro). Wie war es denn, ein Buch mit 283 Seiten zu schreiben?
Markus Babbel: Es war hochspannend, in die eigene Vergangenheit einzutauchen, es hatte etwas Reinigendes. Man steigert sich in jedes Kapitel, ich war wie in einem Film. Das war geil. Es war aber auch eine Art Zäsur. Ich bin ja jetzt 51. Und wenn man mal tiefer reingeht, kommen etliche Themen hoch, die richtig wehtun. Das Buchschreiben war eine intensive Reise über ein Dreivierteljahr. Ich bin sehr dankbar dafür!
Sie verschweigen nichts. Der Suizid ihres Bruders, die schlimme Lähmungserkrankung, zwei gescheiterte Ehen, das verlorene Champions-League-Finale. Sind es die Tiefschläge, an denen man reift?
Babbel: Du wächst natürlich daran, du wirst stärker. Ich behaupte mal, dass es bei jedem Menschen das Gleiche ist, es geht auf und ab. Aber natürlich habe ich keine 08/15-Vita, das war bisher ein krasses Leben auf der Überholspur, da ist so viel passiert. Ich möchte es nicht missen. Diese extremen Erfahrungen sind ein Teil von mir. Auch die Fehler gehören dazu. Heute bin ich ein glücklicher Mensch.
Sie teilen kräftig aus, Sie reden Klartext. Sie sagen, Otto Rehhagel hatte keine Ahnung von Taktik, Erich Ribbeck war ein schlechter Trainer, Michael Preetz trieb ein falsches Spiel.
Babbel: Ich sage, wie es war. Da bin ich ehrlich. Ich berichte aus meiner subjektiven Sichtweise heraus. Trotzdem will ich niemanden beleidigen oder bloßstellen. Ich denke, das ist auch gelungen.
Sehr spannend liest sich der Rückblick in ihre Jugendzeit beim FC Bayern.
Babbel: Es war mir wichtig, nicht nur die Profizeit zu beleuchten, sondern auch zu erzählen, wie ich da überhaupt hingekommen bin. Ich möchte den Lesern zeigen: Ich musste auch viele Hindernisse aus dem Weg räumen.
Zur tragischen Final-Pleite in Barcelona 1999 gegen Manchester United, gibt es eine bemerkenswerte Aussage von Ihnen. Sie sagten zum 1:2 durch Ole Gunnar Solskjaer, dass Sie in diesem Moment froh waren, dass es vorbei war. Darf man so etwas als Profi überhaupt sagen?
Babbel: Glauben Sie mir, wir haben in dem Match alles gegeben, jeder Einzelne, jeder Spieler, jeder Betreuer. Ich war aber in der 92. Minute körperlich und mental völlig am Ende, weil ich mich selbst so tierisch unter Druck gesetzt habe. Es war ja mein größter Traum, die Champions League zu gewinnen. Ich war bereits seit einer Woche in einem Tunnel, ich konnte das Spiel gar mehr nicht genießen. Und dann diesen wunderschönen Henkelpott in der Nachspielzeit noch zu vergeigen, im entscheidenden Moment zu versagen, das war sportlich das bitterste Erlebnis meiner Laufbahn.
Markus Babbel
- Markus Babbel, Jahrgang 1972, spielte als Verteidiger für Bayern München, den Hamburger SV, den FC Liverpool, Blackburn Rovers und den VfB Stuttgart. In seiner aktiven Zeit gewann er viermal die Deutsche Meisterschaft und holte je zweimal den DFB-Pokal und den Uefa-Cup. Mit den „Reds“ gewann er den FA-Cup.
- Für die deutsche Nationalmannschaft bestritt der Oberbayer 51 Länderspiele (1 Tor). 1996 gehörte er zum DFB-Team, das im Londoner Wembleystadion unter Berti Vogts Europameister wurde. Danach arbeitete er als Trainer beim VfB, bei Hertha BSC, TSG Hoffenheim, dem FC Luzern und den Sydney Wanderers in Australien. Mit den Berlinern stieg er 2011 in die Bundesliga auf. Seit 2020 ist er TV-Experte bei verschiedenen Sendern.
- Vor kurzem ist seine Biographie erschienen. „Markus Babbel – It’s not only Football: Die Autobiografie des ehemaligen FC-Bayern-Stars und Fußball-Europameisters, mit Alex Raack, Edel-Verlag, 283 Seiten, broschiert, 19,95 Euro.“
In ihrem neuen Job beim Fernsehen sind sie auch mit Leidenschaft dabei. Auch da bleiben sie ihrer Linie treu. TV-Experte ist inzwischen ein richtiger Job, den man ernst nehmen muss?
Babbel: Die Sender erwarten heute eine maximale Objektivität und das sehe ich genauso. Ich zeige immer klare Kante, auch bei den Vereinen, für die ich gewisse Sympathien habe, wie VfB Stuttgart und HSV. Das bin ich! Ich habe mich schon oft bei Live-Übertragungen gelangweilt, wenn irgendwelche Experten eine Phrase nach der anderen rausgehauen haben. Dieses Luftpumpen-Geschwätz braucht doch niemand!
Um konstruktiv Kritik zu üben, muss man sich gut vorbereiten.
Babbel: Ich schaue mir wahnsinnig viele Spiele im Fernsehen an, Premier League, Bundesliga, 2. Liga, ich sehe sogar mehr Spiele als zu meiner Zeit als Trainer. Ich habe daheim vier oder fünf Decoder. Meine Frau leidet auch schon, weil ich immer Fußball gucke.
Sie wohnen mittlerweile in Viernheim. Wie gefällt es ihnen in der Region Rhein-Neckar?
Babbel: Ich fühle mich sauwohl hier. Bevor ich nach Hoffenheim als Trainer kam und meine Frau kennengelernt habe, kannte ich die Kurpfalz noch nicht. Jetzt will ich gar nicht mehr weg.
Was macht diese Ecke aus?
Babbel: Es herrscht eine gewisse Normalität. Man ist freundlich zueinander. Man achtet aufeinander. Man sagt „Hallo“ und „Auf Wiedersehen“. Ich bin ja Münchner, komme aus einem Vorort und habe lange dort gelebt, aber die Stadt liegt mir weniger. Da muss man sich immer so „aufpimpen“. Hier hingegen, in der Kleinstadt, kann ich auch mal mit der Jogginghose rausgehen. Übrigens: Berlin war auch nicht meins. Zu viele Möchtegern-Großstädter!
An der Bergstraße gibt es auch viele Hard-Rock-Fans. Das kommt Ihnen ja entgegen als „DJ Bavaria“. Zudem betreiben Sie auf Instagram die Kolumne „Music Friday“.
Babbel: Ich war ja schon immer so, dass ich nicht nur Fußball im Kopf hatte. Ich bin ein Musikverrückter, vor allem, was Heavy Metal angeht. Das macht einfach riesig Spaß, ich lege ja auch immer wieder auf kleineren Events in der Umgebung auf.
Verfolgen Sie eigentlich auch die lokalen Vereine?
Babbel: Klar, Waldhof ist natürlich der nächste Club. Ich lese viel über die 3. Liga, aber ich bin privat, ehrlich gesagt, nicht so der Stadiongänger, schon gar nicht im Winter. Aber ich muss unbedingt mal ins Carl-Benz-Stadion, die Waldhöfer haben mich schon eingeladen.
In sechs Monaten wird die Heim-Europameisterschaft 2024 angepfiffen. Was trauen Sie der Nagelsmann-Elf im nächsten Sommer überhaupt noch zu?
Babbel: Ich tue mich schwer, Euphorie zu entwickeln, weil ich glaube, dass wir schon mit Schottland, der Schweiz und Ungarn große Mühe haben werden, obwohl wir individuell besser besetzt sind. Diese Nationen bringen eine Bereitschaft und eine Hingabe mit, die unser Team momentan nicht hat. Wir schaffen es ja nicht mehr, konsequent gegen den Ball zu arbeiten und zu null zuspielen. Die Spieler müssen aber begreifen: Mentalität schlägt Qualität.
Da hätte Felix Magath sicher zugestimmt. Neben ihm gab es früher weitere markige Typen im Fußballbusiness wie Uli Hoeneß, Udo Lattek, Christoph Daum, Rudi Assauer, Hermann Gerland, und Reiner Calmund. Fehlen diese Figuren heute in der Bundesliga?
Babbel: Die vermisse ich schon. Aber die würden doch an der heutigen Spielergeneration verzweifeln. Die Spieler haben heute viel zu viel Macht. Diese übergroßen Egos würden daher kein Gehör mehr finden. Heute sind die Sportchefs ja ganz andere Typen, die sind seelenruhig und bedächtig. Ich denke da an Simon Rolfes, Sebastian Kehl, Alexander Rosen, Markus Krösche. Ich freue mich immer über coole Typen, die auch mal anecken. Zum Beispiel Tim Walter, den HSV-Trainer.
Aber heute muss man doch den Spielern alles haarklein erklären, man muss empathisch und einfühlsam sein.
Babbel: Das ist ja ein Grund, warum ich kein Trainer mehr sein will. Es ist einfach mega- anstrengend. Je schlechter die Spieler sind, desto öfter kommen sie zu dir und fragen dich, warum sie auf der Bank sitzen. Dann musst du jedes Mal so einer „Pfeife“ erklären, warum er nicht spielt. Das ging mir irgendwann auf den Keks. Früher waren wir froh, wenn wir überhaupt nicht mit dem Trainer reden mussten.
Späte, kinderfeindliche Anstoßzeiten um 20.45 Uhr, Trikotpreise von 140 Euro und absurde Jahresgehälter von 15 Millionen und mehr. Macht der Kommerz den Fußball kaputt?
Babbel: Die Entscheider da oben haben keinerlei Gespür, was an der Fanbasis los ist. Die Ticketpreise sind schon verrückt, und dass die Vereine zum Teil vier Trikots pro Saison herausbringen, damit man immer einen Grund hat, dem Kind ein neues zu kaufen, ist auch irre. Da gibt es das Wiesn-Trikot, das Karnevalstrikot, das Jubiläumstrikot und so weiter. Andererseits können die Clubs ja nur so weiter machen, weil die Leute die Sachen eben doch kaufen und trotzdem ins Stadion kommen. Da herrscht auch eine gewisse Scheinheiligkeit. Hierzulande gibt es immerhin noch günstige Stehplätze; da müssen die englischen Fans noch viel tiefer in die Tasche greifen.
Die FIFA entfernt sich aber immer mehr vom Fußballvolk. Die Vergabe der WM 2034 nach Saudi-Arabien ist offenbar beschlossen. Und der DFB schweigt.
Babbel: Da würde ich mir mehr Rückgrat von Präsident Bernd Neuendorf wünschen. Die deutschen Funktionäre kritisieren viel, sie jammern rum, aber sie tun nie etwas gegen die Vergabepraktiken der FIFA. Das war bei der WM in Katar so und jetzt ist es haargenau das Gleiche. Das ist peinlich. Das ärgert mich total. Ich schäme mich sogar dafür. Da wundern wir uns, dass sich nichts zum Besseren wendet! FIFA-Präsident Gianni Infantino lacht sich doch kaputt. Irgendwann muss man doch unpopuläre Entscheidungen treffen. Sonst kann man nichts bewegen.
Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern?
Babbel: Mit Jens Jeremies telefoniere ich regelmäßig. Und kürzlich habe ich Jens Keller getroffen, der seit kurzem Trainer in Sandhausen ist. Aber ansonsten fehlt mir einfach die Zeit, um alte Kollegen zu treffen. Ich habe fünf Kinder und meine Familie in Bayern besuche ich auch öfter, da bin ich ganz gut beschäftigt.
Aber zum Reisen hätten Sie jetzt genug Freiraum.
Babbel: Ach, das ist mir alles zu viel. Koffer packen, fliegen, in den Bus, einchecken, auschecken ? ich habe als Profi sicher 800 mal im Hotel geschlafen. Irgendwann ist auch mal gut. Letztes Jahr war ich gar nicht im Urlaub. Ich kann nicht irgendwo im Süden am Strand rumliegen, das ist mir zu langweilig. Und vor allem: Von was will ich mich denn erholen? Ich habe doch jetzt keinen Stress mehr.
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