Landgericht

Messerattacke in Plankstadt: Ärztin berichtet über lebensgefährliche Verletzungen

Eine siebenstündige Not-OP rettete das Leben der 54-Jährigen. Im Prozess um den Messerangriff in Plankstadt ging es um die Verletzungen der Mutter - und das Outing der Tochter.

Von 
Volker Widdrat
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Neben den Rettungskräften waren am Tattag im Oktober 2024 auch viele Einsatzkräfte der Polizei in Plankstadt im Einsatz. © PR-Video

Plankstadt. Am dritten Prozesstag gegen eine 27-Jährige aus Plankstadt, der die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorwirft, hörte das Schwurgericht des Landgerichts Mannheim unter dem Vorsitzenden Richter Gerd Rackwitz das rechtsmedizinische und psychiatrische Gutachten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hielten anschließend die Plädoyers.

Eine Ärztin des Heidelberger Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin schilderte der Strafkammer die lebensgefährlichen Verletzungen, die die 54-jährige Mutter der Angeklagten bei dem Messerangriff in dem Mehrfamilienhaus in Plankstadt davongetragen hatte. Die Frau hatte multiple Schnitt- und Stichverletzungen erlitten. Die Augen- und Kieferhöhle sowie das Nasenbein waren gebrochen. Das rechte Augenlid war durchtrennt.

Frau aus Plankstadt überlebt nur dank siebenstündiger Notoperation

Das Gericht nahm Bilder in Augenschein. Die 54-Jährige war allein am Kopf an zehn Stellen mit dem Messer attackiert worden. Die Rechtsmedizinerin sprach in diesem Zusammenhang von einer „Skalpierungsverletzung“. Außerdem waren dem Opfer Stiche im Brustbereich und am Rücken zugefügt worden. Infolge der scharfen Gewalteinwirkung hatte die 54-Jährige viel Blut verloren. Während einer siebenstündigen Notoperation waren ihr eineinhalb Liter Blut zugeführt worden.

Bei der Gewalttat am Morgen des 11. Oktober vergangenen Jahres hatte die Frau zudem an beiden Händen Schnittwunden abbekommen, die immer noch nicht ganz verheilt sind. Die Beschuldigte hatte sich selbst zweimal in den Bauch gestochen, was einen zentimeterlangen Austritt der Darmschlinge zur Folge gehabt hatte. Zahlreiche Hautabschürfungen und blutige Kratzer an der 27-Jährigen hätten auf ein dynamisches Tatgeschehen hingewiesen, so die Rechtsmedizinerin. Während der Untersuchung im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch habe sich die Angeklagte weinerlich gezeigt. Es sei schwierig gewesen, mit ihr zu reden.

Vor Gericht wird das psychiatrische Gutachten vorgestellt

Gutachter Dr. med. Hartmut Pleines hatte für seine diagnostische Einschätzung auch Fremdbefunde miteinbezogen. Die 27-Jährige, biologisch ein Mann und im Personenstandsregister auch so geführt, habe bereits im Kindesalter „ein anderes Erleben“ entwickelt und sich mehr zu Mädchen hingezogen gefühlt. Während der Pubertät habe die Unsicherheit über die eigene sexuelle Präferenz zugenommen. Mit Bi-Beziehungen habe sie sich beiden Geschlechtern verbunden gefühlt. Verbindliche Partnerschaften habe sie allerdings nicht gepflegt. Durch den Zustand der Genderdysphorie, auch Transidentität genannt, habe sie zunehmend eine Diskrepanz zwischen ihrer erlebten Geschlechtsidentität und dem ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht verspürt.

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Das Outing habe in der Familie und bei Freunden, aber vor allem in der queeren Community stattgefunden. Als Transperson habe sie sich nicht in die traditionelle binäre Ordnung von Mann und Frau einordnen lassen. Es liege aber keineswegs eine Persönlichkeitsstörung vor, so der Psychiater. Die Angeklagte habe sich vermeintlich weibliche Attribute angeeignet und dabei meistens eine „gelungene Lebensbewährung“ gezeigt. Ihre Transidentität sei „unauffällig in ihre Persönlichkeit integriert worden“. Der Konsum von Cannabis sei „gelegentlich“ gewesen, eine Abhängigkeit könne nicht festgestellt werden. Psychotische Symptome wie deutliche Denkstörungen oder Halluzinationen seien aber aufgekommen und von Ängsten begleitet worden.

Diese psychotische Symptomatik sei kurz vor dem Tatgeschehen verstärkt zutage getreten. Die 27-Jährige habe zum Teil eine „konflikthafte Verarbeitung ihrer Transidentität gezeigt“. Das Zerbrechen der beruflichen Identifikation, wohl auch familiäre Konflikte sowie hormonelle Einflüsse sollten dabei berücksichtigt werden, so der Gutachter. Er erkenne keine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit, aber eine Beeinträchtigung der rationalen Verhaltenskontrolle sowie eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Für eine Unterbringung im Maßregelvollzug wegen einer psychischen oder einer Suchterkrankung gebe es allerdings keine Voraussetzungen. Die psychotherapeutische Behandlung sei aber empfohlen, zumal im „normalen“ Strafvollzug Anpassungsschwierigkeiten zu erwarten seien.

Angeklagte aus Plankstadt war bereits in der Psychiatrie

Vor der Strafkammer wurden einige Urkunden verlesen, unter anderem ein toxikologisches Gutachten, verschiedene Analysen und ein Entlassungsbrief der psychiatrischen Klinik. Die 27-Jährige war vor der Tat eine Nacht wegen Suizidgedanken und „bizarrem Verhalten“ in der Psychiatrie gewesen, hatte sich dann aber – gegen den ärztlichen Rat – selbst entlassen. Eine Bescheinigung über die ehrenamtliche Mitarbeit im Verein Plus für Angebote und Beratung zur Vielfalt sexueller Orientierung und Geschlecht sowie eine Bescheinigung des Drogenvereins Mannheim wurden ebenso zu den Akten genommen.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sah den Tatvorwurf bestätigt. Die 27-Jährige habe in einer drogeninduzierten Psychose ihre Mutter bei der Messerattacke lebensbedrohlich verletzt. Sie habe die Tat mit Tötungsvorsatz eingeräumt. In der Familie müsse es Unstimmigkeiten gegeben haben. Die zahlreichen Stiche in den Kopf und in den Hals des Opfers hätten zum Tod führen können. Die 54-Jährige sei nur durch eine Notoperation gerettet worden. Die Angeklagte sei geständig gewesen, habe Reue gezeigt und sich bei ihrer Mutter und ihrem Bruder, der sie von weiteren Angriffen abgehalten habe, aufrichtig entschuldigt. Einen minderschweren Fall könne man nicht annehmen, aber einen verminderten Strafrahmen ansetzen, forderte die Staatsanwältin eine Haftstrafe von sechs Jahren.

Wieder zurück zur Familie aus Plankstadt gefunden

Verteidigerin Sandra Bauer beschrieb noch einmal den Tathergang im Oktober vergangenen Jahres. Damals habe sich die Situation für ihre von vielen Stressoren geplagten Mandantin weiter zugespitzt. Sie habe Veränderungen gezeigt und sich wohl in einer virtuellen Welt befunden. Nach der Tat sei die Psychose dann abgeklungen. Ihre Mandantin habe sich bemüht und sich entschuldigt und wieder zu ihrer Familie zurückgefunden, plädierte die Verteidigerin für eine Strafrahmenverschiebung und eine Haftzeit „nicht über drei Jahre“. „Ich wollte ihnen nicht wehtun“, sagte die 27-Jährige, die seit sieben Monaten in der Krankenstation der JVA Mannheim als Hilfspflegekraft arbeitet, in ihrem letzten Wort: „Ich bin heilfroh, dass mich mein Bruder aufhalten konnte.“ Das Urteil fällt am Dienstag, 3. Juni, um 11 Uhr vor der Strafkammer des Landgerichts Mannheim.

Freier Autor Volker Widdrat ist freier Mitarbeiter.

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