Mannheim. Sebastian Sommer hat Luft in seinen großen roten Spezialhandschuh gefüllt und hält ihn jetzt nah an sein Ohr. Erst als er weiß, dass alles dicht und der Handschuh nicht beschädigt ist, zieht er ihn über ein weiteres Paar Handschuhe, das ihn bereits vor Hitze schützen soll. Dass seine Ausrüstung – neben den doppelten Handschuhen trägt Sommer einen Helm mit Visier und einen speziellen Sicherheitskittel – intakt ist, überprüft der Trainer für Hochvolt- und Batterietechnik bei Daimler Truck in Mannheim vor jedem Einsatz aufs Neue. Im Zweifel hängt sein Leben davon ab.
Heute steht Sommer allerdings nicht wie üblich vor Mitarbeitenden, um mit ihnen den Umgang mit Batterietechnik zu üben, sondern vor Journalisten: Daimler Truck eröffnet sein neues Hochvolt-Trainingscenter in Mannheim. Auszubildende und Beschäftigte werden hier künftig darin geschult, quasi „unter Hochspannung“ zu arbeiten.
Nicht-Wissen kann zu lebensbedrohlichem Risiko werden
Hintergrund ist die Transformation in der Fahrzeugindustrie: Wie andere Hersteller auch, stellt Daimler Truck seine Produktflotte sukzessive vom Verbrennerantrieb auf elektrische Varianten um. Der Standort Mannheim, an dem bisher Stadtbusse und schwere Dieselmotoren für Lkw gebaut werden, wird in diesem Zuge schrittweise zum Kompetenzzentrum für batterieelektrische Antriebe umgestellt. So werden im Mannheimer Motorenwerk neben Dieselmotoren inzwischen auch Batteriepakete für den eActros gebaut, ein Lkw mit Batterieantrieb, der im pfälzischen Wörth produziert wird. Entsprechend muss auch die Mannheimer Belegschaft für die neuen Technologien geschult werden.
Spezielle Ausbildung
Seit einigen Jahren bietet Daimler Truck in Mannheim die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker für System- und Hochvolttechnik an. Etwa 20 Lehrlinge starten damit jedes Jahr.
Insgesamt gibt es am Daimler-Truck-Standort Mannheim aktuell mehr als 300 Auszubildende.
Seit 2020 gibt es in Mannheim außerdem spezielle Hochvolt-Schulungen für Beschäftigte. Etwa 27.000 Qualifizierungsstunden hätten seither dort stattgefunden, so der Standortverantwortliche Andreas Moch.
Dass Sicherheit dabei eine besonders große Rolle spielt, zeigt die kleine Vorführung von Trainer Sommer eindrücklich: Mehr als 390 Volt zeigt sein Messgerät an, als er es an den Stecker einer Hochvolt-Batterie hält. Nachlässigkeit oder fehlendes Wissen können hier zum lebensbedrohlichen Risiko werden – auch für Kolleginnen und Kollegen, die beispielsweise bei einem späteren Arbeitsschritt am Produkt eingesetzt sind. Entsprechend wichtig sei es, dass Beschäftigte, die in diesem Bereich tätig sind, nicht nur fachlich qualifiziert sind, sondern auch ein hohes Verantwortungsgefühl mitbringen.
Das spiele auch bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten für eine Ausbildung eine immer größere Rolle, bekräftigt Thomas Bauer, bei Daimler Truck deutschlandweit für Aus- und Weiterbildung verantwortlich. „Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit sind noch wichtiger geworden“, sagt er.
1000 Menschen sollen jährlich in dem neuen Zentrum geschult werden
Nicht zuletzt mit Blick auf die Sicherheits- und Gesundheitsaspekte begrüßt auch Bruno Buschbacher, Betriebsratsvorsitzender bei Daimler Truck in Mannheim, die Einrichtung des neuen Trainingscenters ausdrücklich. Die Gesundheit der Menschen stehe an erster Stelle, entsprechend wichtig sei es, dass sie für den Umgang mit neuen Produkten und Technologien intensiv geschult würden. Das neue Trainingscenter sei deshalb eine „wichtige Investition“ am Standort, von denen es künftig gerne noch mehr geben dürfe, so Buschbacher.
Auch für Andreas Moch, Standortverantwortlicher für das Mercedes-Benz-Werk Mannheim, ist das neue Trainingscenter ein „Meilenstein bei der Arbeit an innovativen Zukunftstechnologien“. Seit den Anfängen vor fast 120 Jahren – im Jahr 1908 startete die Motorenproduktion im Werk – habe es dort zahlreiche Innovationen gegeben, denen man sich immer proaktiv gestellt habe. „Auch in Zukunft wird der Standort eine besondere Rolle im Konzern spielen“, bekräftigt Moch.
Mit etwa 1000 Schulungsteilnehmerinnen und Teilnehmern rechnet Daimler Truck jährlich in dem neuen Mannheimer Hochvolt-Trainingscenter, das es so im Unternehmen kein zweites Mal gibt. Das Spektrum ist dabei weit gefächert: Geschult werden Lehrlinge, die bei dem Nutzfahrzeughersteller zum Kfz-Mechatroniker für System- und Hochvolttechnik ausgebildet werden, aber auch Mitarbeitende, die schon länger im Unternehmen arbeiten und weiterqualifiziert werden. Auch von anderen Standorten sollen Beschäftigte aus verschiedenen Bereichen für Hochvolttrainings nach Mannheim kommen - vom Produktionsmitarbeiter bis zur Entwicklungsingenieurin.
Zum Einsatz kommen auch innovative Lernmethoden, wie Roman Bieniek, ebenfalls Trainer bei Daimler Truck, am Beispiel einer VR-Brille demonstriert. Mit ihrer Hilfe ist es unter anderem möglich, die Arbeit am neuen eActros 600, dem neuesten batterieelektrischen Lkw von Daimler Truck, zu üben – ohne dass ein entsprechendes Fahrzeug tatsächlich im Raum ist. Setzt man die Brille auf, erscheint ein virtueller Lkw in Originalgröße, durch den man mit einem Controller gezielt navigieren kann.
Schulungsteilnehmerinnen und -teilnehmer können sich so zum Beispiel anschauen, wo genau im Fahrzeug die sogenannte Frontbox – eine Schlüsselkomponente des eActros, die unter anderem Steuergeräte enthält und in Mannheim gebaut wird - sitzt und aus welchen Komponenten sie besteht. Auf Knopfdruck werden zu den einzelnen Bestandteilen zusätzliche Informationen eingeblendet. So kann das Arbeiten an der Batterietechnik auch mal „im Trockenen geübt“ werden – und damit ohne die Gefahr, mit Strom in Berührung zu kommen.
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