Das Wichtigste in Kürze
- Das Finanzwissen der Deutschen ist unterschiedlich und beeinflusst ihren Alltag stark.
- Die Forscherinnen Carmen Aprea und Tabea Bucher-Koenen aus Mannheim erklären die Ursachen.
- Finanzbildung sollte auf Lebensphasen und individuelle Bedürfnisse abgestimmt sein.
Frau Aprea, Frau Bucher-Koenen, über Geld spricht man nicht, lautet ein bekanntes deutsches Sprichwort. Ist das auch ein Grund, warum so viele Menschen in Deutschland verschuldet oder überschuldet sind?
Carmela Aprea: Wenn die Leute über Geld sprechen und sich auch Hilfe holen würden, könnten viel mehr Menschen früher aus dieser Überschuldung raus. Das Thema ist schon sehr schambehaftet, gerade wenn es nicht so gut läuft. Und wenn es sehr gut läuft, spricht man aus Furcht vor Neid nicht gern übers Geld. Es gibt also in Deutschland schon gewisse soziale Normen, die einen offenen Diskurs verhindern. In Schweden ist das zum Beispiel ganz anders. Da können Sie sich die Steuererklärung Ihres Nachbarn oder der Kollegin anschauen und wissen dann, wie viel die verdienen. Das wäre in Deutschland unvorstellbar.
Vor allem junge Leute haben große Probleme. Liegt das auch an der aggressiven Werbung, zum Beispiel auf TikTok, wo Produkte sofort gekauft werden können? Oder denken Sie an das Geschäftsmodell „Kaufe jetzt und zahle später“ - da verliert man ja leicht den Überblick.
Tabea Bucher-Koenen: Natürlich ist die Gefahr der Verschuldung bei Online-Deals höher als wenn man in ein Geschäft geht. Die Caritas schätzt, dass 20 Prozent der unter 30-Jährigen Schulden haben, 6,7 Prozent sind laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform sogar überschuldet. Aber wir sollten bei dieser Debatte nicht mit dem Finger auf die Jugend zeigen.
Aprea: Genau. Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das vom Konsum der Menschen lebt. Unabhängig von ihrem Alter. Deshalb muss man auch die Online-Anbieter von Ratenkrediten stärker in die Pflicht nehmen, Überblicks-Apps könnten da zum Beispiel für mehr Transparenz sorgen.
Einige Bundesländer wie Baden-Württemberg oder NRW haben auf die Defizite bei der Finanzbildung reagiert und das Schulfach Wirtschaft eingeführt. Gibt es da schon wissenschaftliche Erkenntnisse, was das gebracht hat?
Bucher-Koenen: Meines Wissens gibt es noch keine wissenschaftliche Evaluation. In einem unserer Projekte wollen wir allerdings untersuchen, wie sich die Einführung des Schulfachs Wirtschaft auf den Kenntnisstand und das Finanzverhalten junger Erwachsener auswirkt, die bereits einen solchen Unterricht absolviert haben. Aber bis da die Ergebnisse vorliegen, wird es noch einige Zeit dauern.
Sie befürworten aber ein solches Schulfach?
Aprea: Natürlich. Die Einführung eines solchen Schulfachs ist allerdings für das Finanzwissen nur eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Es kommt ja schon darauf an, wie gut der Unterricht und die Lehrkräfte sind. Ich wäre jedenfalls nicht überrascht, wenn jetzt herauskommen würde, dass da noch Luft nach oben ist.
Man muss sich also die Qualität des Unterrichts anschauen.
Aprea: Genau. Manche Lehrpläne sind bisher ja so gestrickt, dass sie den Schülern eher abstrakte Dinge wie die Organisation der Bundesbank oder des Internationalen Währungsfonds beibringen. Dann wissen die Schülerinnen und Schüler aber noch immer nicht, wie sie später mal ihr Geld anlegen sollen. Und außerdem ist es ja auch so, dass die Schule ein wichtiger, aber nicht der einzige Player ist. Auch die Freunde und die Familie spielen da eine wichtige Rolle. Aber klar, Wirtschaft als Schulfach wäre schon ein wichtiger Baustein für die Finanzbildung.
Viele schauen sich ja auch im Netz die Tipps der sogenannten Finfluencer an. Was halten Sie denn davon?
Bucher-Koenen: Es ist ein Kanal, mit dem man vor allem viele Jüngere erreichen kann. Leider ist es für die meisten aber praktisch unmöglich zu überprüfen, ob der Inhalt der Beiträge richtig und die Qualität hoch ist. Und selbst, wenn ein Finfluencer keine falschen Inhalte verbreitet, können hinter einem bestimmten Video auch Verkaufsinteressen stecken, die die Tendenz des Inhalts beeinflussen. Das merken dann aber nur die Experten.
Aprea: Gerade deshalb bleibt kritisches Denken auch in der Finanzbildung eine Kernkompetenz, die es auszubauen gilt.
Bucher-Koenen: Gegenwärtig bieten vor allem private Initiativen und Nichtregierungsorganisationen Finanzbildung an. Und diese unterliegen bisher auch noch keinen Standards. Das ist bei einem Schulfach Wirtschaft natürlich anders, da sorgen die Lehrpläne für mehr Transparenz über den Inhalt und die Qualität.
Wie schneiden die Deutschen denn im internationalen Vergleich ab?
Bucher-Koenen: Laut OECD-Erhebung kann sich Deutschland im Länderranking sehen lassen. Aber gute Durchschnittswerte bedeuten nicht, dass alles in Ordnung ist. Man muss sich schon die Teilgruppen anschauen, da gibt es tatsächlich sehr große Unterschiede. Zum Beispiel zwischen Männern und Frauen oder Menschen in West- und Ostdeutschland. Und auch der allgemeine Bildungsgrad und das Einkommen spielen eine Rolle. Wir müssen deshalb vor allem die Gruppen in den Blick nehmen, die bei der Finanzbildung im Durchschnitt tendenziell schlechter abschneiden.
Welche sind das denn?
Bucher-Koenen: Frauen schneiden im Durchschnitt schlechter ab als Männer. Dieses sogenannte Gender Gap gibt es unabhängig von Bildung, Alter oder Einkommen. Es ist eine offene Forschungsfrage, woran das liegt. Es gibt zwar schon viele Angebote für Frauen, aber meistens richten sie sich an Frauen mit höheren Einkommen. Auch Jüngere und Ältere haben oft eine niedrigere Finanzbildung. Man muss deshalb gezielt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppen eingehen.
Interessieren sich Männer mehr für Geld als Frauen?
Aprea: Da steckt schon mehr als nur das Interesse dahinter. Studien zeigen, dass Eltern mit den Jungs häufiger über Geld sprechen als mit Mädchen. Die Jungs kriegen auch mehr Taschengeld. Und sie erhalten öfter Gutscheine für Online Broker. Interessant dabei ist aber: Wenn Mädchen diese Gutscheine bekommen, investieren sie genauso lange wie die Männer. Es geht also auch um die finanzielle Sozialisation.
Bucher-Koenen: Frauen, die Geld anlegen, tun dies oft risikoärmer und langfristiger. Das Problem ist eben, dass sie seltener in die Situation kommen, überhaupt zu investieren. Da gibt es also strukturelle Hürden.
Mannheim Institute for Financial Education
Das unabhängige Mannheim Institute for Financial Education (MIFE) ist ein gemeinsames Projekt der Universität Mannheim und des ZEW Mannheim. Das Institut untersucht, wie die Menschen ihre finanziellen Entscheidungen treffen.
Die zwei Direktorinnen Carmela Aprea von der Universität Mannheim und Tabea Bucher-Koenen vom ZEW befassen sich schon länger mit Fragen der Finanzbildung.
Aprea (geboren 1971 in Frankfur t) ist seit 2018 Lehrstuhlinhaberin für Wirtschaftspädagogik an der Universität Mannheim. Sie studierte Wirtschaftspädagogik, Betriebswirtschaftslehre und Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie promovierte an der Universität Mannheim.
Tabea Bucher-Koenen (geboren 1979 in Stuttgart ) leitet seit 2019 den Forschungsbereich Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement am ZEW. Sie studierte Betriebswirtschaft, kulturelles Management und Europäische Integration an den Universitäten Jena und Kent (Canterbury). Die Promotion erfolgte an der Universität Mannheim. was
Jungs investieren mehr, gehören aber mit den Mädchen zusammen zu der vulnerablen Gruppe „Jugend“. Wie passt das zusammen?
Bucher-Koenen: Weil auch ihr Finanzwissen nicht besonders ausgeprägt ist. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. Ich frage die Studentinnen und Studenten in der Vorlesung zum Thema Haushalt immer, ob sie einen Online-Trading-Account haben. Fast alle jungen Männer haben einen. Ich frage dann immer, wie viele verschiedene Anlagen sie denn in Ihrem Depot haben. Es gibt so gut wie keinen, der mehr als zehn hat. Ein großer Anteil hat nur eine oder zwei. Das ist sehr riskant, da diese Portfolios oft nicht diversifiziert sind. Dass Jüngere in der OECD-Untersuchung schlechtere Noten als der Durchschnitt haben, ist problematisch, weil sie zunehmend mehr Finanzentscheidungen treffen müssen. Aber auch Ältere, vor allem zwischen 60 bis 65 Jahren, haben oft ein geringeres Finanzwissen. Gerade in dieser Lebensphase müssen sie aber wichtige Entscheidungen vornehmen, etwa zur Altersvorsorge oder Vermögensverwaltung.
Aprea: Gerade deshalb ist es wichtig, dass Finanzbildungsangebote auf die jeweilige Lebensphase und Situation zugeschnitten sind. Allgemeines Wissen reicht da oft nicht, weil die Herausforderungen in den verschiedenen Lebensabschnitten sehr unterschiedlich sind.
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