Energie

Wie kommt der Windstrom aus dem Norden nach Mannheim?

Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW baut quer über den Rangierbahnhof Mannheim seine Strom-Trasse Ultranet. Wie die Arbeiten auf der Baustelle laufen.

Von 
Walter Serif
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Die Gerüstreihe über dem Rangierbahnhof Mannheim ist 27 Meter hoch und 47 Meter breit. © TransnetBW

Das Wichtigste in Kürze

  • TransnetBW baut die Ultranet-Stromtrasse über den Rangierbahnhof Mannheim.
  • Der Windstrom soll effizient in den Süden gelangen.
  • Die Bauarbeiten laufen planmäßig.

Mannheim. „Die Männer hier arbeiten auch bei 37 Grad. Da ist der Stahl dann über 50 Grad heiß“, sagt Klaus Kaufmann. Zum Glück meint es das Wetter diesmal gut mit den Arbeitern am Rangierbahnhof Mannheim, die gerade an einem Strommast hochklettern. Kaufmann demonstriert den Presseleuten gerade, wie groß der Aufwand ist, damit der Windstrom aus dem Norden auch im Süden ohne große Leitungsverluste ankommt. Damit wir unsere Geräte problemlos in die Steckdose stecken können, laufen im Hintergrund Dinge, über die nur Experten genau Bescheid wissen.

Wie kompliziert die Sache mit dem Strom ist - das wird bei der Exkursion jedenfalls schnell klar. Denn Kaufmanns Arbeitgeber ist die TransnetBW, die das Strom-Übertragungsnetz in Baden-Württemberg betreibt. Das Stuttgarter Unternehmen muss über einen Streckenabschnitt von 42 Kilometern das Endstück des Netzausbauprojekts Ultranet zwischen Mannheim-Wallstadt und Philippsburg bauen. Kaufmann hat bei dem Vorhaben als Teilprojektleiter Design und Bau den Hut auf.

Auch für Wirtschaft wichtig: Strom muss von Norden nach Süden transportiert werden

Den Rest der 340 Kilometer langen Strecke bis nach Meerbusch-Osterath (NRW) übernimmt der Übertragungsnetzbetreiber Amprion. Ende 2026 soll die - sorry, so heißt sie nun mal - Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung fertig sein. Geplant ist, dass sie bis 2027 nach Emden an die Nordseeküste verlängert wird. Das macht Amprion dann in Eigenregie.

„Der Bau der Stromtrasse ist nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die Wirtschaft von herausragender Bedeutung. Die Industriestandorte in der Metropolregion brauchen viel Energie“, sagt TransnetBW-Pressesprecher Matthias Ruchser. Doch da gibt es ein Problem: „Der Großteil der Stromerzeugung erfolgt durch die Offshore-Windparks. Weil die Netze aber oft überlastet sind, kommt es zu vielen Staus auf der Stromautobahn nach Süden, das wird nach dem Ultranet-Ausbau viel besser.“

Weil – um im Bild zu bleiben – der Verkehr oft nicht gut fließt, verschlingt das sogenannte Netzengpassmanagement (Neudeutsch: Redispatch) enorme Summen. 2023 waren es rund drei Milliarden Euro. Das Netz ist oft überlastet, weil in Deutschland immer mehr Grünstrom aus Wind- und PV-Anlagen produziert wird, gleichzeitig aber der Leitungsausbau hinterherhinkt. Das gilt vor allem für die Trassen aus dem Norden in den energiehungrigen Süden.

Die Arbeiten am Rangierbahnhof Mannheim gehen zügig voran. Ersetzt werden nur ganz alte Strommasten, die brauchbaren werden weiter verwendet. © Walter Serif

Und wie funktioniert der Redispatch? „Dann wird zum Beispiel die Windenergie in Schleswig-Holstein gedrosselt, während in der Metropolregion das Grosskraftwerk Mannheim (GKM) angeworfen wird“, sagt TransnetBW-Mann Ruchser. Die Eigentümer der Windanlagen bekommen eine Vergütung, weil sie ihren produzierten Strom nicht einspeisen können, und das GKM erhält für den (teuren) Steinkohle-Strom Geld. Wer in Physik aufgepasst hat, weiß, dass die Standardfrequenz 50 Hertz beträgt. Leichte Schwankungen sind möglich, die Übertragungsnetzbetreiber müssen aber aufpassen, dass sie nicht fällt, im Extremfall kann es dann sogar zu einem Blackout kommen. Das Netz muss also ständig überwacht werden.

Kosten für die Stromtrassen tragen die Verbraucher

Die Kosten tragen die Verbraucher über die Netzentgelte. Ruchser: „Wenn die Ultranet-Leitung steht, wird es weniger Eingriffe ins Netz geben.“ Und sollte dann 2028 tatsächlich die Suedlink-Trasse – ein Gemeinschaftsprojekt mit Tennet – fertig sein, verläuft die Stromautobahn über eine Strecke von 700 Kilometer vom Norden bis nach Bayern. Dass das so lange dauert, liegt nicht an der Trägheit der Übertragungsnetzbetreiber. Die sorgen schon dafür, dass fleißig geschafft wird, wie der Ortstermin am Rangierbahnhof ja belegt.

Nein, es war der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der sein Veto gegen die „Monstertrassen“ einlegte – aus Angst vor Bürgerprotesten. Deshalb müssen die Kabel in der Erde verlegt werden. Das ist aufwendig, teuer und dauert viel länger. Da freuen sich dann nur die Archäologen – wie im Mai 2025 – als auf der Suedlink-Baustelle bei Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis) ein 1,20 Meter großer Zahn eines Mammuts gefunden wurde, wie Kaufmann anmerkt.

Beschäftigte aus 18 Betrieben sind beim Ultranet-Projekt am Bauabschnitt Rangierbahnhof Mannheim beteiligt. © Walter Serif

„Die Energiewende muss bezahlbar sein, deshalb werben wir für den Freileitungsbau“, sagt Ruchser. Weshalb die TransnetBW natürlich froh ist, dass dies beim Ultranet-Projekt auch so gemacht wird. „Wir müssten sonst ja den Rangierbahnhof komplett untertunneln, Kabel durch Flüsse und Weinberge verlegen und jeden Quadratmeter archäologisch untersuchen“, erklärt Klaus Kaufmann. Wer weiß, was da alles ausgebuddelt würde.

Eine große Baustelle am Mannheimer Rangierbahnhof. © Walter Serif

Aber natürlich greift auch der Freileitungsbau in die Natur ein. „Wir müssen bei den Arbeiten die Brutzeiten beachten“, sagt Kaufmann und macht damit klar, dass man da nicht mit der Axt im Walde agieren kann. „Dadurch wird das Zeitfenster kleiner“, erklärt er. Und es gibt auch Hindernisse, die sich nicht so einfach beseitigen lassen. Der Rangierbahnhof steht halt da, wo er steht. Das ist für sich genommen ein Problem. Der Rangierbahnhof gehört ja zu den größten in Europa. Die Leitungen müssen über die 37 Gleise gespannt werden – bei laufendem Zugverkehr, versteht sich. Dass die Bahn es an keinem Tag gebacken bekommt, dass die Züge pünktlich fahren – dafür will sich TransnetBW jedenfalls nicht in Haftung nehmen lassen. Deshalb steht am Rangierbahnhof eine 27 Meter hohe und 47 Meter breite Gerüstreihe. Sie soll verhindern, dass Bauteile auf die Gleise fallen. 18 Betriebe sind an den Arbeiten beteiligt. Kaufmann weiß genau, wo welche was und warum machen.

Bei den Bauarbeiten am Rangierbahnhof Mannheim kommt auch schweres Gerät zum Einsatz. Hier die Vorarbeiten für das Fundament eines neuen Strommasts. © Walter Serif

Eigentlich sollten einige Arbeiter auf uns warten, damit wir mit eigenen Augen sehen können, dass da richtige Profis am Werk sind. Aber sie waren einfach zu schnell und haben einen Mast schon am Vortag demontiert. Der liegt jetzt einsam auf einem Feld. „Das ist die neue Deutschlandgeschwindigkeit“, witzelt Klaus Kaufmann in Anspielung auf ein Versprechen von Olaf Scholz beim Weltwirtschaftsforum 2023 in Davos, die er als Kanzler nie einlösen konnte.

Am Rangierbahnhof wird also kräftig in die Hände gespuckt, damit Ultranet im Zeitplan bleibt. „85 Prozent unseres Streckenabschnitts sind schon fertig“, sagt Kaufmann, mit dem wir jetzt zu Fuß zu einer weiteren Baustelle gehen. Dort setzen die Arbeiter mit einem Bohrer Löcher für das Beton-Fundament eines neuen Strommasts. Die Bohrpfähle schrauben sich 20 Meter in den Boden. Wenn alles trocken und fest ist – das kann schon einen Monat dauern – wird der Mast draufgesetzt. Dann müssen noch die Seile gespannt werden. Eine aufwendige Prozedur.

Doch es gibt einen Clou bei der Sache. Beim Ultranet-Projekt wird über der Wechselstromleitung auf den bestehenden Masten eine Gleichstrom-Leitung darüber gelegt, statt eine zusätzliche Trasse mit neuen Masten zu bauen. Nur die ganz alten und maroden werden ersetzt. „Das spart Kosten und verringert den Flächenverbrauch“, sagt Projektsprecherin Alice Dippel und bezeichnet diese hybride Lösung als eine „echte Weltneuheit“.

Dass durch die Ultranet-Trasse Gleichstrom mit hoher Spannung fließt, hat einen Grund: Der Leistungsverlust wäre mit Wechselstrom über eine solch lange Strecke zu groß. Der Nachteil: Gleichstrom lässt sich schwer ein- und ausschalten. Er muss aber in Wechselstrom umgewandelt werden. Der kann über die bestehenden Netze leichter an die Verbraucher in der Metropolregion verteilt werden und kommt mit einer Spannung von 230 Volt und 50 Hertz aus der Steckdose.

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Damit das alles in Zukunft besser läuft, steht auf dem Gelände des stillgelegten Atomkraftwerks Philippsburg seit Ende 2024 ein großer Konverter. Also ein Gleichstrom-Umspannwerk mit zwölf Trafos und mehreren rund 18 Meter hohen Hallen. Das Gelände ist 40.000 Quadratmeter groß. Dort wird der grüne Strom aus dem Norden in Wechselstrom verwandelt. Das soll aber keine Einbahnstraße werden. Weil Gleichstrom nur in eine Richtung fließen kann, gibt es zu dem Konverter in Philippsburg ein Pendant in Meerbusch-Osterath. Wenn die Trassen fertig sind, und die Konverter laufen, profitiert auch der Norden – zumindest wenn kein Wind weht – vom Solarstrom aus dem sonnigen Süden.

Siemens Energy hat die Konverterhalle in Philippsburg gebaut. © Siemens Energy

Die Arbeiter auf dem Rangierbahnhof in Mannheim haben jedenfalls noch einiges zu erledigen. Im dritten Quartal wird zwar die Gerüstreihe wieder abgebaut. Aber im nächsten Jahr müssen die Arbeiter eine neue montieren. TransnetBW ist allerdings zuversichtlich, dass bei diesem Projekt nichts mehr schiefgeht und der Fahrplan anders als bei der Bahn eingehalten wird. Im nächsten Jahr schauen wir wieder vorbei.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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