Interview

Wirtschaftsweise Schnitzer: Reiche können höhere Steuern verdauen

Monika Schnitzer ist die erste weibliche Vorsitzende des Sachverständigenrates. Sie fordert Steuererhöhungen für Reiche. Im Interview verrät die gebürtige Mannheimerin, womit ihr manche Politiker auf den Keks gehen

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Walter Serif
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Die oberste Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. © Thomas Tröster

Mannheim. Frau Schnitzer, Sie sind die erste weibliche Vorsitzende im Sachverständigenrat. Außerdem haben in dem Gremium erstmals die Frauen die Mehrheit. Macht Sie das stolz, oder denken sie: Verdammt, das hat viel zu lange gedauert?

Monika Schnitzer: Es war höchste Zeit. Das Gremium wird 2023 seinen 60. Geburtstag feiern. Frauen gibt es dort aber erst seit rund 15 Jahren. Zunächst nur eine, dann zwei und jetzt sind es sogar drei.

Als gelernte Wirtschaftswissenschaftlerin wissen Sie ja auch, wie es an den Universitäten aussieht. Sind dort die Frauen inzwischen auch auf dem Vormarsch?

Schnitzer: Es ist zumindest besser geworden. Als ich angefangen habe, waren nur drei Prozent der Lehrstühle in Volkswirtschaftslehre mit Frauen besetzt, jetzt sind es 15 Prozent. Das ist noch viel zu wenig. Bei den jungen Frauen ist aber viel in Bewegung.

Die Ratschläge des Sachverständigenrats waren in der Vergangenheit meistens erwartbar. Das neue Jahresgutachten hat aber alle überrascht. Plötzlich wollen die Fünf Weisen Steuern erhöhen und die Schuldenbremse weiter aussetzen. Das sind ganz neue Töne.

Schnitzer: Das stimmt, früher stand das Gremium eher für Steuersenkungen. Aber wir haben eine neue Lage und sind deshalb pragmatisch und unideologisch vorgegangen . . .

… worüber sich FDP-Finanzminister Christian Lindner fürchterlich geärgert hat …

Schnitzer: … denn wir wissen alle: Viele können die hohen Energiepreise nicht mehr schultern, weil am Monatsende kein Geld mehr übrig und nichts auf der hohen Kante ist.

Über Monika Schnitzer

Monika Schnitzer wurde am 9. September 1961 in Mannheim geboren.

Sie studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, die Promotion erfolgte an der Universität Bonn.

Die Ökonomin übernahm 1996 den Lehrstuhl für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Schwerpunkt ihrer Forschung und Lehre liegt im Bereich der Wettbewerbspolitik, der Innovationsökonomik und der multinationalen Unternehmen.

Schnitzer ist seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Oktober wurde sie zur Vorsitzenden der „Fünf Weisen“ gewählt. was

Nach Schätzung der Sparkassen kann bald die Hälfte der Privatkunden nichts mehr zurücklegen.

Schnitzer: Das deckt sich in der Tendenz mit unseren Zahlen. Wie sollen die Menschen ihre Gas- und Stromrechnung bezahlen können, wenn diese um das Drei- bis Fünffache steigt? Wir können es als Gesellschaft nicht hinnehmen, dass sie im Kalten und im Dunkeln sitzen. Unterstützungsmaßnahmen wie die Gaspreisbremse sind deshalb notwendig und auch richtig.

Aber?

Schnitzer: Die Gaspreisbremse ist nicht die Superlösung, weil wir mit ihr nicht zielgenau diejenigen Menschen unterstützen können, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Dazu müssten wir ihre Kontonummer, den Einkommenstand und ihren Gasverbrauch kennen. Die Gaspreisbremse hat also den Nachteil, dass der Staat damit auch denjenigen Geld in die Hand gibt, die es nicht brauchen.

Wie beim unsinnigen Tankrabatt.

Schnitzer: Ja. Das Geld wird wieder mit der Gießkanne an alle verteilt, auch an die Reichen. Deshalb werden die Kosten für den Staat noch höher und er muss noch höhere Schulden aufnehmen als nötig. Das heißt: Unsere Kinder müssen das dann bezahlen.

Jetzt müssen Sie aber mal den Bogen zu den von Ihnen geforderten Steuererhöhungen schlagen.

Schnitzer: Gerne. Weil wir mit der Gaspreisbremse also auch diejenigen unterstützen, die es gar nicht brauchen, schlagen wir vor, dass der Staat einen Teil davon von den sehr Gutverdienenden wieder zurückholt. Deshalb plädieren wir für die Einführung eines zeitlich befristeten „Energiesolis“ oder einer temporären Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Man könnte auch den Abbau der kalten Progression um ein Jahr verschieben. Natürlich sind wir der Meinung, dass der Staat die Inflation, die die Steuerlast künstlich erhöht, wieder ausgleichen muss. Aber das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Warum denn nicht?

Schnitzer: Weil dadurch besonders die hohen und mittleren Einkommen entlastet würden, während die ärmeren Menschen gar nichts davon hätten. Das würde sozialpolitisch in die falsche Richtung gehen.

Sie wollen die Steuermaßnahmen zeitlich begrenzen. Ihre Kritiker meinen aber: Wenn die Politik eine Steuer erst einführt oder erhöht, dann bleibt es auch dabei, selbst wenn sie das Gegenteil verspricht.

Schnitzer: Dieses Argument überzeugt mich nicht. Man kann die Steuererhöhung doch per Gesetz an die Dauer der Gaspreisbremse koppeln. Und bei der kalten Progression bräuchte der Gesetzgeber gar nichts machen. Der Abbau würde einfach um ein Jahr verschoben.

Lindner treibt aber die Angst um, dass die armen Reichen das nicht verkraften könnten.

Schnitzer: Na ja, wenn ich am Wochenende durchs Zentrum von München laufe, habe ich nicht den Eindruck, dass die Reichen sich nichts mehr leisten können. Die könnten höhere Steuern schon eine Weile verdauen.

Es gibt auch das Argument, dass Spitzenverdiener weniger arbeiten würden, wenn sie mehr Steuern zahlen müssten.

Schnitzer: Für temporäre Steuererhöhungen hat das noch niemand nachgewiesen. Mal im Ernst: Glauben Sie, dass ich mich auf die faule Haut legen würde, wenn ich mehr Steuern zahlen müsste? Wir sind doch alles Workaholics!

Wie viel Geld würde denn das Steuerpaket in die Kasse spülen?

Schnitzer: Die Verschiebung des Abbaus der kalten Progression würde uns 2023 geschätzt zwölf bis 13 Milliarden Euro sparen. Und wenn wir beim „Energiesoli“ als Rechenbeispiel den aktuellen Solidaritätsbeitrag für Spitzenverdiener verdoppeln würden, kämen wir ebenfalls auf einen niedrigen zweistelligen Betrag. Also zusammen rund 25 Milliarden Euro.

Das wäre auch ein klares Signal an die Gesellschaft.

Schnitzer: Ja, das ist ein wichtiges Argument. Am Ende geht es ja darum: Wir müssen alle zusammenhalten. Wir müssen zwar alle die Heizung runterschalten, manche aber weniger als andere. Deshalb müssen auch sie einen Solidarbeitrag leisten. Die Wortwahl des Titels unseres Gutachtens drückt das aus: „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten.“

Wir werden alle ärmer, würden Sie das unterschreiben?

Schnitzer: Das würde ich nicht nur unterschreiben, das ist für mich eine ganz wichtige Botschaft. Wir werden deshalb alle ärmer, weil wir die hohen Energiepreise ja ans Ausland zahlen müssen.

Es heißt immer, Deutschland sei ein reiches Land.

Schnitzer: Das sind wir ja auch.

Aber irgendwann bekommen doch auch wir bei der hohen Staatsverschuldung Riesenprobleme?

Schnitzer: Deutschland steht im internationalen Vergleich noch sehr gut da. Klar ist aber: Wir können unser Geld nicht einfach verschleudern. Es ist wichtig, dass wir an die Investitionen denken, die Voraussetzung für neues Wirtschaftswachstum sind. Nächstes Jahr erwarten wir ja eine Rezession.

Sie wollen also, dass der Staat nur für Investitionen die Schuldenbremse ein weiteres Jahr aussetzen sollte.

Schnitzer: Ja. Investitionen für die Infrastruktur, die Digitalisierung und die Erneuerbaren Energien sind nachhaltig. Sie helfen uns, die Krise durchzustehen und danach gut aufgestellt zu sein. Das durch Schulden zu finanzieren, ist auch mit Blick auf die nachfolgenden Generationen vertretbar, denn die würden von diesen Investitionen auch profitieren. Entlastungen für Reiche in der Krise rechtfertigen keine Neuverschuldung.

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Die Ampel hat nach dem Überfall auf die Ukraine recht schnell Gas woanders besorgt. Aber ist die Abhängigkeit von China nicht das größere Problem?

Schnitzer: Das ist in der Tat eine gewaltige Herausforderung. Und ich habe den Eindruck, dass das in der Wirtschaft noch nicht angekommen ist. Ich höre im Gegenteil viele Stimmen, vor allem aus den Verbänden, die meinen, dass man das China-Geschäft solange mitnehmen soll, wie es geht.

Eine abenteuerliche Strategie.

Schnitzer: Ja. Solange die Geschäfte gut laufen, machen die Aktionäre Gewinne. Und wenn es dann schief geht, soll der Staat wieder einspringen und die Unternehmen zahlen weiter Boni aus. Das geht nicht zusammen.

Geht es Ihnen eigentlich auf den Keks, wenn Politiker ökonomischen Blödsinn reden?

Schnitzer: Hmh.

Zum Beispiel CDU-Parteichef Friedrich Merz, der vor einer Einwanderung von Ausländern in unsere Sozialsysteme warnt. Er hat nicht verstanden, dass das notwendig ist, weil wir Zuwanderer brauchen, die mit ihren Beiträgen unsere Rente sichern.

Schnitzer: Man wundert sich schon, wie manche Politiker offensichtlich nur die schnelle Schlagzeile suchen – ohne sich ernsthaft mit den Fakten und Argumenten auseinanderzusetzen.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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