Mannheim. Dieser Mann trägt so etwas wie ein Rock- und Show-Gen in sich. Seit seinem ersten Auftritt 1963 in Manchester blüht Geff Harrison bis heute regelmäßig im Rampenlicht auf. Als 17-Jähriger spielt der englische Sänger mit der Reibeisenstimme und seiner damaligen Band im Vorprogramm der Beatles. Auch er geht nach Deutschland. In Hamburg wohnt er längst.
Doch in Mannheim hatte er vor gut 50 Jahren „eine richtig schöne Zeit“. Dort bringt er mit markantem Gesang die vielversprechende Krautrockband Kin Ping Meh auf Rock-´n´-Roll-Kurs.
Geff Harrison's Kin Ping Meh im 7er Club
- 1946 in Salford bei Manchester geboren, kommt der Sänger Geff Harrison 1971 nach Mannheim. Er wohnt erst in der Schimper- (Neckarstadt) und dann in der Steubenstraße (Neckarau).
- Mit der Band Twenty Sixty Six And Then um Rainer Geyer (kleines Foto rechts) nimmt Harrison „Reflections On The Future“ (1972) auf.
- Ab 1973 schreibt die Reibeisenstimme zusammen mit Kin Ping Meh deutsche Rockgeschichte.
- Stücke vom 1976er Livealbum „Concrete“ präsentiert er am Mittwoch, 27. Dezember, ab 20 Uhr mit vier Hamburger Musikern im Mannheimer 7er-Club (Industriestraße 5c).
- Onlinekarten bei AdTicket ab 28,70 Euro plus Gebühren. Abendkasse: 32 Euro.
Jetzt kehrt er zurück. Mit vier Musikern aus der Hansestadt – allesamt eingefleischte Fans von Harrisons Ex-Band – bringt er am Mittwoch, 27. Dezember, überwiegend die Stücke vom 1976er Doppel-Live-Album „Concrete“ auf die Bühne. „Es ist das erste Mal, dass ich wieder etwas in Mannheim mache, und da kriege ich schon ein bisschen Gänsehaut“, sagt Harrison am Telefon.
Erfolg mit Procul Harums Hit
Er wirkt putzmunter. „Die Musik hält mich jung“, sagt er. Dass er es stimmlich voll drauf hat, beweist er seit Jahren immer wieder: Bislang 9,5 Millionen Mal ist seine grandiose Version von „A Whiter Shade Of Pale“ auf YouTube angeklickt worden. Mit diesem Procol-Harum-Klassiker hatte Harrison 2018 bei der TV-Show „The Voice Senior“ auf Sat.1 begeistert.
„Das macht richtig Spaß, auch wenn nur der Sender an der vorgeschalteten Werbung verdient, und ich keinen Cent bekomme“, sagt Harrison, „aber das Prestige, dass das einbringt, ist ein wahnsinniges Gefühl.“ 2020 berichtet dann die „Bild“-Zeitung bundesweit über ihn. Denn frustriert vom ersten Corona-Shutdown hatte er sich im Garten auf eine Apfelsinenkiste gestellt und für Nachbarn über die Hecke Oldies gesungen.
Fans von Motörhead in der Band
Das aber so gut, dass eines Nachmittags an die 600 Leute zum Zuhören kommen. „Die Reisebusse kamen nicht mehr vorbei“, erinnert sich Harrison lachend an das Chaos und bekräftigt: „Ich liebe das und bin ein Bühnentier.“
Diesen Eindruck von ihm gewinnen auch drei Brüder aus Hamburg, die eigentlich Lemmy Kilmisters Heavy-Rock-Trio Motörhead verehren. Nach einem von deren Songs heißt ihre Tribute-Band seit 1990 „Nö Cläss“. Eine ihrer Lieblingsplatten jedoch ist seit Jugendtagen „Concrete“ von Kin Ping Meh. Der älteste Bruder hatte die jüngeren Zwillinge mit der Musik aus Mannheim angesteckt.
„Die finden das geil, und ich dachte erst, das ist ein Scherz, als die per Mail anfragten, ob ich mit ihn auftreten würde“, erzählt Harrison vergnügt. Er weiß, dass die drei Könner „verdammt heavy unterwegs“ sind, was ihm nicht so liegt. Doch er staunt: „Die haben das richtige Feeling für diese Musik – und unsere alten Stücke 1:1 drauf“, schwärmt Harrison.
Keyboarder verehrt Jon Lord
Aber auch die Beatles-Nummer „With A Little Help From My Friends“ steht auf der Setlist. Bei Testkonzerten habe alles „wunderbar geklappt“ mit Zwonk (Gitarre), Pille (Bass) und Schrotti (Schlagzeug). Allein mit diesen angestammten Pseudonymen wollen die erfahrenen Musiker genannt werden.
Wichtiger Bestandteil des Sounds der Siebziger sind freilich auch Keyboards. An den Tasten sitzt der Hamburger Keyboard- und Gesangsdozent sowie Arrangeur Thomas Pankow. „Er ist ein bisschen verseucht von Jon Lord, dem früheren Organisten von Deep Purple“, verrät Harrison kichernd. Weiß er doch, dass es schlechtere Vorbilder geben könnte.
Der Mann mit der Rod-Steward-Stimme kommt 1971 erstmals nach Mannheim. Zunächst singt Harrison auf dem einzigen Album von Twenty Sixty Six And Then – ein kleines Meisterwerk des psychedelischen Hardrocks. Zu dieser Gruppe gehört damals auch der junge Ilvesheimer Gerhard „Gagey“ Mrozeck. Der Gitarrist ist später, zwischen 1980 und 1990, auch als Co-Produzent und Songwriter maßgeblich am Erfolg mehrerer Alben von Herbert Grönemeyer beteiligt.
Mit Mrozeck und Schäfer
Ab 1972 bringt Mrozeck sein Talent bei fünf Platten von Kin Ping Meh ein. Der erotisch aufgeladene Name bedeutet so viel wie Pflaumenblüte in goldener Vase und geht auf einen Sittenroman aus China zurück. Aus Joachim Schäfers Schülerband „Thunderbirds“ hervorgegangen, wird die Band 1970 von der Plattenfirma Polydor bei einem Wettbewerb auf der Hamburger Reeperbahn entdeckt.
Die Formation schreibt in der Folge ebenso deutsche Rockgeschichte wie unter anderem auch Nine Days Wonder und Night Sun aus Mannheim. Ihre geografische Herkunft stellen sie damals aber kaum heraus. Im Gegenteil. Die Nachkriegsgeneration singt bevorzugt auf Englisch. Die New Yorker Freiheitsstatue auf dem „Concrete“-Plattencover von Kin Ping Meh zeigt an, wo die Reise hingehen soll.
Es klingt bereits wesentlich gradliniger, als Harrison ab 1973 auf drei Alben von Kin Ping Meh zu hören ist. Typisches Beispiel ist der Gute-Laune-Rocker „Good Time Gracie“ (1975). Die Band mit dem englischen Sänger und seinem rauen Stimmorgan steht angelsächsischen Größen in nichts nach.
Angesagter als die Scorpions
Durch Songs wie „Light Entertainment“ macht sich die Gruppe auch im europäischen Ausland einen Namen. Doch der große Durchbruch bleibt aus. „Wir verstehen es selbst nicht“, sagt Harrison, als er in einem früheren „MM“-Gespräch über das oft rätselhafte Popgeschäft sinniert. Dabei waren die heute weltberühmten Scorpions 1974 bei den damals angesagteren Mannheimern noch im Vorprogramm aufgetreten.
„Ich bin nicht verbittert, sondern sehr zufrieden“, sagt Harrison. Er freut sich spürbar, die Musik von Kin Ping Meh in Mannheim aufleben lassen zu können. Und er ist nicht allein: „Gagey Mrozeck hat mich darin bestärkt, das zu machen“, berichtet er. Auch mit Gründungsmitglied Frieder Schmitt hat er gesprochen. „Alle waren einverstanden, sonst hätte ich das nie gemacht“, versichert Harrison.
Seine Stimme scheint am Telefon noch etwas rauer zu klingen, als er sagt: „Weißt Du, viele alte Weggefährten leben nicht mehr, da empfinde ich jede Minute auf der Bühne als ein Geschenk.“ Liebend gerne tritt er auch mit Maria Dangell auf. Die estnische Klaviervirtuosin und Sängerin lernt Harrison vor vier Jahren auf einem Festival kennen. Seitdem bilden sie ein Duo.
Sein Traum: Ein Auftritt in England
Sie tritt mir auf den Allerwertesten, wenn ich manchmal müde bin“, sagt Harrison lachend. So findet er auch die Kraft fürs Kin-Ping-Meh-Projekt, das Rockline-Promotion als offizieller Partner des 7er Clubs nach Mannheim bringt. Eine Wilhelmshavener Agentur will die Formation 2024 auf Tour schicken. „Noch ist nichts spruchreif“, sagt Harrison. Er hofft erst einmal auf möglichst viele Fans im 7er.
Auf die Frage, ob er noch einen Traum habe, antwortet er wie aus der Pistole geschossen: „Ich würde gerne noch einmal in England auftreten.“ Dort stand er 1965 zuletzt auf der Bühne. Ein besonderes Jubiläum in der alten Heimat zu feiern, ist ihm zuzutrauen, denn das Rock- und Show-Gen in ihm schläft nicht.
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