Konzertkritik

Nahe am Optimum: Placebo liefern ein großartiges Konzert in Schwetzingen

Der Abschluss der Konzertreihe "Musik im Park" in Schwetzingen hat es in sich. Die englischen Alternative-Rocker Placebo werden für ein herausragendes Konzert von 7000 Menschen gefeiert

Von 
Alexander Müller
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ssz_Musik im Park: Placebo Schloss Schwetzingen. Brian Molko brachte sich das Gitarrespielen selbst bei. Mit 16 Jahren bekam er von seinen Eltern eine Gitarre geschenkt. Außer der Gitarre spielt er Bass, Mundharmonika, Keyboard, Saxophon, Schlagzeug und Turntables © Andreas Gieser @cheesy.photo

Schwetzingen. Es ist ein nur ein kurzes Lächeln, das Brian Molko kurz vor dem Ende Stefan Olsdal zuwirft. Aber es ist die passende Geste für einen großartigen Abend, den Placebo 7000 Menschen im ausverkauften Schwetzinger Schlosspark bescheren. Noch einmal „Runnin‘ Up That Hill“, die Coverversion des 80er-Jahre-Hits von Kate Bush, die Placebo irgendwie fast schon zu einem eigenen Song adaptiert haben. Dann ist nach 90 Minuten Schluss, ein kurzes Winken in die heftig applaudierende Menge, bevor sich die Bühne leert.

Schwetzingen

Placebo bei Musik im Park in Schwetzingen

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Die Rahmenbedingungen sind derart stimmig, dass sich ihnen auch Molko, dem der Ruf des launigen Grantlers des Alternative Rock vorauseilt, nicht erwehren kann. Ein perfekter Sommerabend, das wundervolle Ambiente des Schwetzinger Schlosses, ein Publikum, das aufmerksam und begeisterungsfähig ist. Und eine Band, die richtig Lust hat.

Nachdem Molko in einer Videobotschaft darum gebeten hat, die Handys bitte nicht für Fotos oder Videos zu benutzen und stattdessen besser den Moment zu genießen, startet „Taste In Men“ mit grün illuminierten Bildschirmen und mächtig Druck. Der Placebo-Sänger, ein Meister der optischen Metamorphosen, trägt das Haar zurzeit schulterlang und dazu einen Schnurrbart, der Freddie-Mercury-Dimensionen besitzt.

Placebo in Schwetzingen: Schlachtruf "Free Palestine"

Das weithin unterschätzte starke 2022er-Album „Never Let Me Go“ nimmt mit sieben Stücken einen breiten Raum im aktuellen Programm an. Der dritte Song „Scene Of A Crime“ von "Loud Like Love" (2013) explodiert zum Finale regelrecht, nachdem Molko zuvor mit der Faust auf seine Gitarre geschlagen hat. Der 52-Jährige hat sehr gute Laune. Und das ist für alle, die seine Band über die Jahre live gesehen und auch lustlose Auftritte erleben mussten, nicht selbstverständlich. „Wir sind Placebo und wir sind nicht schlecht“, sagt Molko auf Deutsch.

Feine Ironie, denn Placebo haben in den vergangenen 25 Jahren auf mittlerweile acht Alben den britischen Indie-Rock mit definiert. Molko, neben Bassist Olsdal das einzig verbliebene Gründungsmitglied, war mit seiner stets offengelassenen sexuellen Ausrichtung eine Ikone der LGBTQ-Bewegung, als es diesen Begriff Anfang der 2000er Jahre noch gar nicht gab. Im vergangenen Jahr verklagte die rechtsgerichtete italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Sänger wegen „öffentlicher Beleidigung der Republik“, nachdem dieser sie auf einem Festival in Italien als „Faschistin“ und „Rassistin“ tituliert hatte.

In Schwetzingen geben sich Placebo politisch zahmer, nur der in „Try Better Next Time“ von Molko mehrfach eingeschobene Schlachtruf „Free Palestine“ wirkt in Anbetracht der Vielschichtigkeit des Nahost-Konflikts ohne Einordnung arg unterkomplex. Der Fokus liegt aber auf der Musik. Melodiösen Popsongs, die von lärmenden Gitarren und wummernden Elektroeinlagen entfremdet werden.

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„Surrounded By Spies“ spießt die um sich greifende menschliche Leere in den sozialen Netzwerken auf, bevor Molko zum ersten großen Hit des Abends überleitet. „Wir machen ein bisschen alte Schule. Mögen Sie das gern?“, fragt der Sänger vor „Every You, Every Me“. Dem Band-Klassiker, den Placebo nach neun Jahren Pause wieder ins Live-Programm aufgenommen haben. Den Beweis, dass das eine sehr gute Entscheidung war, liefert die furiose Reaktion des Publikums in Schwetzingen.

Von da an ist vieles ein Selbstläufer. Zumal Placebo aus einem exquisiten Repertoire schöpfen können, bei dem es nur darum geht, welcher der vielen Hits gespielt wird. In der einstigen Sommerresidenz des Pfalzgrafen entscheiden sich die Engländer zum Beispiel für das extrem druckvolle „For What It‘s Worth“, von Molko mit „Wir machen ein bisschen Tanz-Rock’n-Roll. Habt ihr das gern?“, eingeläutet.

„The Bitter End“ zum Abschluss des regulären Sets ist eine genauso sichere Wette. Genau wie „Infra-Red“ vom  2006er-Album „Meds“ als erste Zugabe: Jetzt brennt der Schlossgarten auf allen Ebenen. Beim fast psychedelischen „Fix It“ schauen einen von den Videoleinwänden unzählige Augen an. Was sie sehen? Ein entfesseltes Publikum, und eine Band, die mit „Runnin‘ Up That Hill“ noch einen drauflegt. Dem Kate-Bush-Song, den Placebo schon live gespielt haben, bevor er durch die famose Netflix-Serie „Stranger Things“ zurück auf der Bildfläche erschien. So endet nach 90 Minuten ein tolles Konzert, das sich in allen Bereichen nahe am absoluten Optimum bewegt hat. Nicht nur Brian Molko lächelt, als es vorbei ist.

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

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