Heidelberg. Schon tragisch, wenn sich am Ende eigentlich alle Protagonisten ihr Scheitern eingestehen müssen. Doch es hat auch etwas Komisches, mitzuerleben, wenn Träume und Illusionen zerbrechen. „Komödie“ hat Anton Tschechow sein Theaterstück „Die Möwe“, Symbol für freies Leben, genannt und kaschiert damit in präziser Handschrift den seelisch-menschlichen Sprengstoff, mit dem er seine Figuren unterfüttert. Diese Aspekte hat Wolfgang Graczol in seiner Inszenierung am Taeter Theater Heidelberg besonders stimmig ausgeleuchtet.
Eine seltsame Gesellschaft hat sich auf Sorins Landgut zusammengefunden, um einander mit subtilen Sticheleien auf die Nerven zu gehen. Denn Langeweile breitet sich aus, sie wollen zurück in die große Stadt, der sie gerade entflohen waren, um Erholung zu finden. In lichter Möblierung treffen sie aufeinander, ein kleiner oder großer Wodka darf es sein, es wird geplaudert, auch mal geschwiegen. Seid nett zueinander, scheint die Devise. Doch die Idylle trügt. Die unterschwelligen Konflikte zwischen Liebe und Eifersucht, Alt gegen Jung, Erfolg gegen Misserfolg, Neid versus Geiz kristallisieren sich.
Figuren zwischen Sehnsucht und Selbstzweifel
Der junge Trepljew wird von Sehnsüchten umgetrieben. Schriftsteller möchte er werden und die junge Nina lieben. Doch seine Mutter, die Schauspielerin Arkadina, deren beste Jahre leider vergangen sind, hält ihn an der kurzen Leine. Weder Geld noch wirkliche Liebe schenkt sie ihm, ihre Beziehung scheint ein Missverständnis. Tinka Hartung spielt die alternde, sich ewig jung fühlende Mimin mit Bühnenpräsenz und differenziertem Ausdruck.
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Sohnemann Trepljew buhlt um die Mutter, auch mit Hilfe seines Bühnenerstlings. Er stößt auf Unverständnis, auch bei seiner Darstellerin Nina. Burak Ertan zeigt ihn als teils ungestümen, teils unsicheren jungen Mann auf der Selbstsuche, der bei Nina Zweifel auslöst. Charlotte Staat-Bruno spielt sie als schwärmerische junge Frau, die am Landleben erstickt und Kunst wie Künstler idealisiert. Sie wird scheitern, auch an ihrer Liebe zum erfolgreichen Schriftsteller Trigorin. Er soll ihr Wege zur Karriere ebnen, aber begehrt nur ihre Jugend.
Den entwickelt Klaus Günther als Figur vom an philosophischen Plaudereien uninteressierten Mann, der lieber angelt, zum von immer stärkeren Selbstzweifeln gebeutelten Autor, der zudem am Gängelband von Arkadina zappelt. Eine souveräne Charakterstudie gelingt Wolfgang Graczol als Gutsbesitzer Sorin, Bruder der Arkadina. Das Landgut wirft nichts ab. Er kränkelt, begehrt auf, will Wohlwollen verströmen und bescheidet sich letztlich mit den existenziellen Umständen.
In weiteren, individuell gestalteten Rollen: Pavel Bobrow (Gutsverwalter), Gabriele Soyka (seine Frau), Beate Lesser (unzufriedene Tochter Mascha), Dieter Aschoff (uninteressierter Arzt), Fabian Dequis (Lehrer) und Damianus-Badian Pawlak (Arbeiter). Familie Friederich intonierte die Zarenhymne, Anne Steiner-Graczol zeichnet für Assistenz, Ton und Beleuchtung verantwortlich.
Tschechow lässt dem Dichter Trepljew am Ende nur die Kugel aus enttäuschter Liebe und Lebensüberdruss. Das gehört sich so im Zarenreich. Das Premierenpublikum war äußerst beeindruckt von der Leistung der Akteure. Die Vorstellung musste wegen eines Schwächeanfalls einer Besucherin unterbrochen werden. Zum Glück mit gutem Ausgang.
Termine und Karten unter 06221/163333.
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