Rhein-Neckar-Kreis/Welt. Früh morgens, gleich geht es zur Arbeit oder mit der Tochter zum Kindergarten. Ein paar Minuten noch, schnell Facebook checken, zwei Bilder von gestern hochladen, ein Tweet absetzen und bei Google nach dem Namen des Schauspielers des gestrigen Films suchen. Geht alles ganz schnell und kostet scheinbar nichts. Doch das täuscht. Das Gegenteil ist richtig, die Kosten sind enorm. Im Endeffekt kann dies gar die Energiewende hin zu regenerativ torpedieren und den Klimaschutzbemühungen einen schweren Schlag zu versetzen. Klar weiß jeder, dass das Internet Strom verbraucht. Doch die Dimension dieses Verbrauchs sprengt alle Vorstellungen. Das Internet, das ergaben Berechnungen des Freiburger Ökoinstituts, verursache weltweit inzwischen ebenso viel CO2 Emissionen wie der gesamte Flugverkehr. Wäre das Internet ein Land, wäre es laut einer Greenpeace-Studie im globalen Vergleich das Land mit dem sechstgrößten Stromverbrauch. Wenn der Bau der Geräte miteinbezogen wird, ist es hinter China und den USA sogar das drittgrößte Land. Rechnet man das derzeitige Wachstum beim digitalen Energieverbrauch hoch, so die Greenpeace-Studie weiter, wird Ende nächsten Jahres weltweit Strom in Höhe von rund 2000 Terawattstunden verbraucht. Das ist mehr als Frankreich, Deutschland, Kanada und Brasilien aktuell zusammen an Strom verbrauchen. Und falls das autonome Fahren auch nur im bescheidenen Umfang kommt, würden Datenaufkommen und Stromverbrauch geradezu eskalieren. Vernetzte Autos, so Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin, produzieren heute schon Daten im Umfang von rund 25 Gigabyte pro Stunde und Auto. Ein autonom
fahrendes Auto würde dieses Volumen auf 250 Gigabyte verzehnfachen. Nur zwei Millionen autonom fahrende PKW würden demnach so viele Daten erzeugen wie heute alle Internetnutzer zusammen. Zu glauben, dass die Digitalisierung Ökologie und Ökonomie so nebenbei versöhne, ist in den Augen Santarius denn auch „realitätsblind und naiv“.
Abbau der Rohstoffe für Smartphones besonders energieintensiv
Die Geräte als Eingangstor in die digitale Welt selbst, sind sehr energieeffizient. Hängt man beispielsweise sein Smartphone einmal am Tag an die Steckdose kommt im Jahr ein Stromverbrauch von rund vier Kilowattstunden zusammen. Doch wenn Herstellung und Infrastruktur (Cloud/Serverparks) in den Blick genommen werden, bekommt dieses Bild vom sparsamen Gerät brutale Risse. Allein die Herstellung eines Smartphones, so Ralph Hintemann vom Berliner Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit, brauche fünf bis zehn Mal so viel Energie. Energieintensiv sei vor allem der Abbau der notwendigen Rohstoffe. Und wenn die Geräte dann über die Netzinfrastruktur auf die verschiedenen Dienstleistungen (Apps) zurückgreifen, verzehnfacht sich der Stromverbrauch noch einmal. Im Endeffekt braucht ein Smartphone bis zu 20-mal so viel Energie, wie der eigentliche Verbrauch suggeriert. Auf Grundlage dieser Berechnung kommt Hintemann allein für Deutschland auf einen jährlichen Stromverbrauch von 13 Terawattstunden. Das entspricht in etwas dem Stromverbrauch Berlins.
Jedes hochgeladene Foto, jede Anfrage an Google löst Datenverkehr und damit Stromverbrauch aus. Für letzteres hat die New York Times den Stromverbrauch untersucht. Ergebnis: Jede Google-Suchanfrage braucht so viel Strom, wie eine leuchtende Energiesparlampe in einer Stunde. Pro Sekunde verarbeitet Google dabei weltweit 64 000 Anfragen, pro Minute sind das 3,84 Millionen und pro Tag 5,5 Milliarden Anfragen. Auf das Jahr hoch gerechnet sind das dann laut statistischem Bundesamt fast 3,3 Billionen Anfragen. Bei einem Stundenverbrauch einer Energiesparlampe von rund 0.03 Kilowattstunden macht das für Google aufs Jahr gerechnet fast 100 Milliarden Kilowattstunden oder 100 Terrawattstunden. Nur zum Vergleich, das ist so viel wie alle Solaranlagen in Europa zusammengenommen von Januar bis Oktober 2018 erzeugt haben.
Streamen - 70 Prozent des weltweiten Datenaufkommens
Zu der Suchmaschine gesellen sich tausende weitere Dienste bei denen Texte verschickt, Fotos hochgeladen oder Spiele gespielt werden. Derzeit verursacht das Streamen von Videos und Musik rund 70 Prozent des weltweiten Datenaufkommens. Mit der Industrie 4.0, Kühlschränken, die selbstständig bestellen, Haustechnik, die aus der Ferne gesteuert wird, autonomen Autos und digitalem Bezahlen quillt der Datenstrom dann endgültig zu einem Monsterfluss, der enorme Energiemengen verschlingt. 2017 betrug das gesamte Datenvolumen 23 Zettabytes (das ist eine 23 mit 21 Nullen). Das statistische Bundesamt schätzt, dass dieses Volumen bis 2025 auf 175 Zettabytes anwächst. Nur zur Einordnung, würde man diese Datenmenge auf herkömmlichen DVDs speichern, würde ein Stapel entstehen, der die Entfernung Erde zum Mond 23-mal übertrifft.
Der vermeintliche ökologische Vorteil des Digitalen gegenüber dem Analogen schmilzt angesichts dieser Dimensionen wie Schnee an der Sonne. Ein beliebtes Beispiel, so Santarius seien E-Reader. Nicht wenige glaubten, dass diese deutlich umweltfreundlicher seien als das auf Papier gedruckte Buch. Doch das stimme so nicht. Wenn Bau und Betrieb berücksichtigt würden, würde sich der ökologische Vorteil erst ab 40 bis 60 heruntergeladenen Büchern einstellen. Die meisten Menschen hätten jedoch weit weniger auf ihrem E-Reader gelesen, wenn sie ihr nächstes Gerät kaufen.
Strom sparen: Klima schützen und Kosten reduzieren
In der Wissenschaft stößt man in diesem Kontext auf den Begriff „Rebound-Effekt“. Vereinfacht ausgedrückt, werden Serverparks, Smartphones und Co, immer effizienter. Zugleich würden sie aber auch immer leistungsfähiger und würden für Neues genutzt. Womit der Effizienzvorteil weg sei. Beim PKW ist das gut nachzuvollziehen. Die Motoren wurden immer effizienter und ein Absinken des Spritverbrauchs wäre erwartbar gewesen. Doch zugleich wurden sie auch immer leistungsfähiger und schwerer. Laut des „Center Automotive Research der Uni Duisberg-Essen“ wuchs die durchschnittliche PS-Zahl von PKW auf deutschen Straßen von 95 PS im Jahr 1995 auf 152 PS im Jahr 2017. Zugleich nahmen die Autos seit 1980 im Schnitt 500 Kilogramm an Gewicht zu. Und ganz ähnliches lässt sich auch im Digitalen beobachten. Die Chips, so eine Studie der ETH Zürich, werden in Sachen Energieverbrauch immer effizienter, zugleich werden sie aber auch immer leistungsfähiger und die Nutzungstiefe steigt, was den Energievorteil wieder zunichte macht. Natürlich haben die Internetkonzerne das Problem erkannt, wobei es bei ihren Stromsparbemühungen nicht nur um den Klimaschutz sonder eine Reduktion der Kosten geht. China, so Santarius, gehe bei der Versorgung von Rechenzentren mit regenerativer Energie mit großen Schritten voraus. Und auch Google versucht seit 2017 nach eigenen Verlautbarungen seine Rechenzentren mit Erneuerbaren zu speisen. Es sind alles schwindelerregende Zahlen und sie sind so weit im Hintergrund, dass sie bis dato kaum auf den gesellschaftlichen Thementisch kamen. Diskutiert werden im Kontext der allumfassenden elektronischen Durchdringung die Risiken für den Datenschutz und den Arbeitsmarkt. Doch die ökologischen Auswirkungen, so Santarius, kämen bis dato leider kaum vor. Dabei könne diese Entwicklung, wenn sie weiter so ungebremst verläuft, die Bemühungen rund um die Energiewende konterkarieren. Es sei nicht ausgeschlossen, so ist im Umfeld der Energiewirtschaft zu hören, dass diese Entwicklung in Zukunft als Türöffner für Atomstrom dienen könnte. Für Santarius übrigens ein Unding. Diese Debatte entbehre jeder rationalen Grundlage und führe in die Irre.
Wenn es um den Ausgang aus dieser Spirale von immer mehr Datenverkehr und Energieverbrauch geht, zeigen sich am Ende Viele ziemlich ratlos. Fast etwas hilflos erscheint der Rat, die digitalen Geräte einfach mal abzuschalten. „Tempo rausnehmen“, so Santarius. Nicht jedes Bild hochladen, nicht ununterbrochen Filme und Musik streamen, vielleicht auch einmal wieder analog einkaufen und selber entscheiden, was man kauft. Doch bis dato scheint das der einzig tatsächlich wirksame Weg zu sein. Es ist ein schwieriger Balanceakt, der der Menschheit hier bevorsteht. Das Maß lautet, so Santarius, „so viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich“. Eine Verantwortung, die am Ende jedem Nutzer zufällt. Es sei, so Santarius, ja nicht das einzige Feld, in dem der Strom zunehmend wichtig werde.
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