Schwetzingen/Region. Professor Dr. Reinhold Bertrand ist Leiter des „Research and Technology Management Office“ bei der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA) und ist Kooperationsprofessor der ESA an der TU Darmstadt. Geboren 1964 in Ravensburg studierte er zuerst an der Universität Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik und dann an der Ecole Nationale Supérieure de l’Aéronautique et de l’Espace (ISAE) in Toulouse, Frankreich. Bertrand beschäftigt sich mit dem Bau von Kleinsatelliten, Raumstationen sowie robotischen Systemen für planetare Erkundung und interplanetare Forschung. Bertrand lebt mit seiner Frau Susanne Bertrand-Baumann (Stadträtin) in Schwetzingen und ist praktizierender Katholik. Wir sprechen mit ihm nicht nur über das Universum, sondern auch über den Glauben – und mögliches außerirdisches Leben.
Was ist Ihre erste Erinnerung an die Sterne?
Professor Dr. Reinhold Bertrand: Die erste Erinnerung geht tatsächlich zurück in meine Kindheit. Meine Familie hatte in den Alpen eine Berghütte gemietet, ich erinnere mich an das helle Leuchten und die Deutlichkeit der Sternbilder. Dann aber schon schulisch geprägt war die Erfahrung im Gymnasium in Ravensburg, wo ich an einer Astronomie-AG teilnahm. Die Schule verfügte über ein ansehnliches Teleskop auf dem Schuldach. Da gab es so manche klare Winternacht am Teleskop zusammen mit Gleichaltrigen und einem sehr menschlichen Lehrer.
Wie kam es zu dem Entscheid, dass Ihr Beruf und das Universum miteinander zu tun haben müssen?
Bertrand: Eigentlich kam die Berufsentscheidung über mein Interesse für Naturwissenschaft und Technik. Meine Eltern erzählen, dass ich schon als kleiner Junge technischen Dingen auf den Grund gehen wollte. Dabei blieb so manches Gerät wie Wecker oder Radio auf der Strecke, weil nach der kompletten Zerlegung der Zusammenbau nicht mehr gelang. In der Schule war ich begeistert von Physik sowie Chemie und konnte das dann auch im Rahmen der Leistungskurse belegen. So kam nach der Schule die Frage des Studiums auf mich zu und meinen Interessen folgend interessierte ich mich zunächst für die Physik. Je mehr ich mich aber mit den Berufsbildern eines Physikers beschäftigte, wurde mir klar, dass eine Berufstätigkeit in der Physik sich von den doch in der Regel sehr anschaulichen und lebenspraktischen Seiten der Schulphysik sehr unterscheidet. So kamen dann die Ingenieurwissenschaften ins Visier. Nun hatte ich natürlich auch schon als Jugendlicher Science Fiction Romane verschlungen und somit war der Schritt zur Luft- und Raumfahrttechnik als auf die Spitze getriebener Maschinenbau naheliegend.
Parallel war ich aber im schwäbischen Oberland aufgewachsen und hatte eine natürliche Nähe von Religiosität und Alltagsleben erfahren dürfen, welche mich auch heute noch trägt. Hier schloss sich dann erst später der Kreis zum Universum mit der Frage, ob es Lebensrealitäten nicht-technischer Art gibt, die uns als Menschen ausmachen und prägen. Wenn Sie so wollen, will der kleine Junge immer noch auseinanderbauen, verstehen, zusammenbauen. Nicht nur die technischen Dinge, sondern auch die tiefen liegenden Dinge des Lebens.
Welches Ihrer bisherigen Raumfahrt-Projekte war für Sie am aufregendsten?
Bertrand: Oh da kann ich über viele Aktivitäten berichten, etwa den Aufbau eines Labors zum Raumstationsentwurf in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Stuttgart, die Arbeiten zum Kleinsatellitenentwurf für die französische Raumfahrtagentur CNES im Rahmen meiner ersten Industriestelle in Frankreich, oder jetzt als Technologiemanager im Bereich Space Safety der ESA, wo wir im Prinzip die Themen der Nachhaltigkeit für die Raumfahrt und durch die Raumfahrt systematisch erarbeiten. Herausgreifen möchte ich aber meine Tätigkeit hier als langjähriger Projektleiter bei der ortsansässigen Firma von Hoerner & Sulger GmbH. In mehrjähriger Studien- und Entwicklungsarbeit war es gelungen, kleine robotische Instrumententräger zur Erkundung von Planetenoberflächen zu erkunden, und das für extreme Umweltbedingungen wie auf Mars oder zuletzt auf Merkur. Zwar hat keines der Geräte es bis zum Einsatz geschafft, aber die Arbeit daran zusammen mit den Kollegen und den Raumfahrtagenturen war für mich als junger Ingenieur sehr erfüllend und herausfordernd.
Hat sich Ihr Blick auf die Sterne seit den Kindertagen verändert – oder anders formuliert, erlebten die Sterne durch Ihr Wissen frei nach dem Soziologen Max Weber eine Art Entzauberung?
Bertrand: Ja, der Blick hat sich definitiv verändert. In der Rückschau ist dies eine kleine intellektuelle Wanderung. Das beginnt sicherlich mit dem Wahrnehmen der Leuchtkraft und der Vielzahl der Sterne am Himmel. Später kann man – Interesse vorausgesetzt – die naturwissenschaftliche Erkenntnis zur Entstehung und Evolution der Sterne hinzugewinnen. Das sind in der Tat eher nüchterne, wenn auch beeindruckende logische und sachliche Zusammenhänge und auf den ersten Blick scheint damit alles erklärbar. Beschäftigt man sich jedoch weiter damit, so stellt man zunächst fest, dass es selbst mit unseren heutigen Möglichkeiten der Messung, der Modellbildung und deren Verifikation gravierende Lücken und wackelige Hypothesen innerhalb dieses wissenschaftlichen Weltbildes gibt, denken Sie nur an das Konstrukt der „Schwarzen Materie“. Bleibe ich nun gedanklich nicht stehen und frage darüber hinaus nach dem „Warum“ und der Bedeutung dieser wissenschaftlichen Phänomene für uns Menschen, so öffnet sich wieder ein neuer Erkenntnisraum. Die Wissenschaft kann sogar durch die hintergründigen Fragen wieder „verzaubert“ werden, nämlich dann, wenn man Wissenschaft und Religion als zwei komplementäre Sichtweisen auf die gleiche Lebenswirklichkeit begreift, die sich gegenseitig ergänzen oder sogar brauchen.
Was empfinden Sie heute, wenn Sie in die Sterne schauen?
Bertrand: Da bin ich zunehmend beeindruckt von der schieren Anzahl der Sterne, Sonnensysteme und Galaxien. Unglaublich, dass das alles so entstanden ist und dass es mit unserer Erde mindestens einen Ort im Universum gibt, wo Leben entstanden ist. Da berührt mich dann tatsächlich immer ein altes Bibelzitat aus den Psalmen (PS 8) „was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“. Da sind wir dann schon auf der Ebene der Lebensrealitäten jenseits der wissenschaftlichen Erkenntnisse und eigentlich mitten drin im Weihnachtsgeschehen.
Für wie wahrscheinlich halten Sie angesichts von Billionen Galaxien mit vielen tausend Milliarden Sonnen und noch viel mehr Planeten außerirdisches Leben?
Bertrand: Ich persönlich halte es für wahrscheinlich, dass es außerhalb der Erde Leben gibt. Die große Frage ist, ob es jemals zu einer Kontaktaufnahme kommen können wird. Es müsste ja eine Lebensform in nicht allzu großer Entfernung und genau im richtigen Timing entstanden sein, welche gleichzeitig mit uns einen entsprechenden kulturell/technischen Stand erreicht haben müsste. Möglich ist es, und es gibt ja ernstzunehmende Anstrengungen, um nach Radio- oder optischen Signalen beziehungsweise Spuren solcher Lebensformen zu suchen.
Und was würde das Wissen, nicht allein zu sein, für Sie bedeuten?
Bertrand: Das würde unser Bewusstsein, unser Denken und unsere Religion gründlich auf den Kopf stellen. Für solch eine Gedankenwelt gibt es noch keine „Blaupause“, sie finden nichts darin in den Heiligen Schriften. Was bedeutet das für unser Bewusstsein und unser Handeln, ja für unsere Vorstellung von Gott und seinem Heilswirken an uns Menschen? Gilt das auch für Außerirdische? Vielleicht hat er sich ja auch dort offenbart? Sie sehen schon, unser oft kleinteiliges Denken würde plötzlich aufgesprengt, mit allen Chancen und Risiken von Weitung des Denkens, neuen Gedankenimpulsen, aber auch Angst, Abgrenzung, bis hin zu Abwehr und Aggression.
Sie sind gläubiger Katholik und ein Mann der Wissenschaft. Wie gehen Sie mit der Differenz zwischen der biblischen Schöpfungsgeschichte und der darwinschen Evolutionstheorie um?
Bertrand: Das ist eine sehr interessante Frage, an der sich für mich zeigt, dass Wissenschaft und Religion komplementäre Sichtweisen auf ein und dieselbe Lebensrealität sind. Tragisch wird es, wenn jeweils eine der beiden „Disziplinen“ Deutungsanspruch im jeweils anderen Bereich erhebt. Lassen sie mich nur an die unselige Geschichte des Weltverständnisses, zum Beispiel das Verständnis eines Erd-zentrierten gegenüber einem Sonnen-zentrierten Weltbild hinweisen. In diesem Fall erhoben über viele Jahrhunderte die religiösen Autoritäten im Verbund mit den weltlichen den Anspruch, auch wissenschaftliche Aussagen treffen zu können und zu müssen, zuletzt wider die sachliche Vernunft der wissenschaftlichen Beobachtung. Entsprechend tragisch und schmerzlich war der Prozess der Überwindung dieser Fehlerkenntnis. In diesem Spannungsfeld sehe ich auch die von Ihnen erwähnte Differenz der Schöpfungsgeschichte. Wenn wir versuchen, diese Berichte als wissenschaftliche Berichte zu deuten, erleiden wir kläglich Schiffbruch: Die Unstimmigkeiten und Widersprüche werden so offensichtlich, dass man entweder das logische Denken ausblenden muss oder fundamentalistisch die Aussagen der Bibel zu nicht-diskutierbaren Dogmen erheben muss. Wir erleben dies ja im Bereich der sogenannten Kreativsten, die tatsächlich versuchen, die Texte wörtlich zu interpretieren.
Für mich geben beide Ansätze wertvolle aber komplementäre Hinweise auf die gleiche Realität: Die Wissenschaft erklärt wie und mit welchen Naturgesetzen die Dinge entstanden sind. Die Religion kann Antworten zu dem „warum“ der gleichen Vorgänge beitragen, und schafft Brücken zu unserem Leben als Menschen in dieser Welt.
Ein Studentenpfarrer in Frankreich hat es einmal so erklärt: Sie kennen doch alle den „Kleinen Prinzen“ von St. Exupéry, in welchem der Fuchs spricht und von der Rose erzählt mit dem Kernsatz „du bist zeitlebens für das verantwortlich, was Du Dir vertraut gemacht hast… Du bist für Deine Rose verantwortlich“. Ein streng wissenschaftlich denkender Mensch würde sagen: So ein Unsinn, ein sprechender Fuchs, das ist von Grund auf falsch und erfunden. Aber in dem Text liegt doch eindeutig eine Wahrheit jenseits der Wissenschaft. Ist der Text also wahr?
Was ist Leben für Sie, welcher Platz gebührt Gott darin und wie sehen sie die Sache mit dem Sinn?
Bertrand: Erst einmal bin ich da am Ende meiner Erklärungen. Ich bin dankbar, leben zu dürfen, erlebt zu haben. Ich verstehe den Wert des Lebens, je älter ich werde, immer mehr im Miteinander mit dem Lebendigen um uns herum, Menschen, Tiere, Natur. Für mich ist Gott hier einerseits das Prinzip des Wertes und des Guten des Lebens. Aber darüber hinaus auch als eine Person wahrnehmbar, eine ständige Herausforderung des Verständnisses.
Würden Sie gerne einmal ins All fliegen und was glauben Sie, wohin würden Sie schauen?
Bertrand: Also für einen Wochenendtrip in den erdnahen Weltraum könnte ich mich durchaus begeistern, um Schwerelosigkeit am eigenen Leib erfahren zu können und um von oben einen Blick auf unsere Erde nehmen zu können.
Wie sehen Sie von Umweltzerstörungen über Krieg bis hin zu scheinbar allgegenwärtiger Gewalt auf die Verheerungen, die der Mensch auf und an diesem Planeten anrichtet?
Bertrand: Ich denke, dass in der heutigen Zeit für alle sichtbar hervortritt, dass wir als Menschen nicht ohne gravierende Konsequenzen unbeschränkt handeln können. Das gilt in allen Bereichen: Umwelt, Klima, Sicherheit, Mobilität, Soziales Verhalten und so weiter. Die Dringlichkeit der aufgeworfenen Probleme führt zu einer Notwendigkeit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und diese auch tatsächlich umzusetzen. Wenn uns dieses Miteinander geling, sehe ich auch Chancen und Gelegenheiten für ein nachhaltiges und gutes Leben auf unserem Planeten. In diesem Zusammenhang sehe ich übrigens auch die Entwicklungen in der Raumfahrt. Mittlerweile ist die Raumfahrt so gereift, dass sie für alle unsere anstehenden Megaprobleme Lösungsbeiträge liefert, was auch insbesondere die junge Generation wieder neu für die Raumfahrt begeistert. Raumfahrt ist nicht nur cool, sondern auch relevant und nützlich für die Gestaltung unseres Alltagslebens und die Lösung unserer Probleme.
Haben Sterne eine Botschaft für uns?
Bertrand: Für mich: Ja – vielleicht sehr schön auszudrücken mit dem Bild der Entzauberung und der wieder neuen Verzauberung: Mir sagen sie, es gibt eine Lebensrealität jenseits der wissenschaftlichen Theorien.
Die Weihnachtszeit liegt gerade hinter uns. Und Weihnachten gilt auch als Fest der Hoffnung – Gott zeigt sich dem Menschen. Wie halten Sie Ihre Hoffnung aufrecht, was macht Ihnen Hoffnung?
Bertrand: Da will ich gerne an der Frage nach den Sternen anknüpfen. Zur Lebenserfahrung der Menschen gehört es auch, dass sie Gott als Person der Zuwendung erfahren, nicht nur in den Überlieferungen der Bibel, aber auch im individuellen Leben. Das können wir immer wieder neu entdecken und erfahren, bei mir zum Beispiel im Umgang mit jungen Menschen an der Universität. Ich erlebe viel ehrliches Interesse, Talent, und Idealismus, zusammen mit menschlicher Zuwendung und Gestaltungswillen. Das alles macht mir Hoffnung!
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