Schwetzingen / Deutschland. Europa ist keine Insel. Und so gehören Wanderungsbewegung von Fauna und Flora über die Jahrtausende seit jeher zur Geschichte des Kontinents. Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im baden-württembergischen Umweltministerium, kann daran beim Spaziergang mit dieser Zeitung im Hirschackerwald in Schwetzingen auch nichts Schlechtes erkennen. „Die Natur war und ist immer in Bewegung und am Ende formte diese Bewegung genau diese Landschaft, die wir heute sehen.“
Das Problem sei ein anderes und das macht dem Naturmenschen Baumann tatsächlich zunehmend Sorgen. Das Tempo der Einwanderungen gebietsfremder Arten über sehr große Distanzen hat sich enorm beschleunigt und setzt die heimische Fauna und Flora immer stärker unter Druck. Eine Analyse, die sich mit einem Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) deckt.
Professor Klement Trockner, Ökosystemwissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt und Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, erklärt es an einem Beispiel: Früher habe es eine Art pro 1000 Jahre auf Hawaii geschafft, heute gelinge das einer Art pro Jahr. Völlig klar ist auch, was hinter der Entwicklung steht. Der globale Handel und der Tourismus fungieren als eine Art Transportsystem und der Klimawandel gestaltet das Ganze nachhaltig.
Infektionsgefahr durch invasive Arten ist noch abstrakt
Berühmtestes Beispiel ist die Tigermücke. Die Ausbreitung der flugfaulen Mücke – mehr als 200 Meter fliegt sie nicht – wurde vor allem vom Handel mit gebrauchten Reifen und dem Ferntourismus begünstigt. Seit 2014 ist sie nun auch im wärmer werdenden Deutschland zu Hause und, so sagt es die stellvertretende Amtsleiterin im Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises, Dr. Anne Kühn, unter den invasiven Arten stellen sie für die Menschen hier aktuell die größte Gefahr dar. Kann sie doch Krankheiten wie Dengue, das Zika-Virus oder das Chikungunya-Fieber übertragen.
Noch sei die Gefahr jedoch eher abstrakt. Denn die Mücke trage die Krankheitserreger nicht per se in sich. Sie müsse erst einen bereits infizierten Menschen stechen, um die Erreger dann auf weitere Menschen übertragen zu können. Die Knüpfstelle zwischen Mücke und Infektionen hier sind die Fernreisen. Die Rechnung sei dabei ganz einfach. Je mehr Fernreisende unterwegs sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch mehr Infizierte unterwegs sind und so das Infektionsgeschehen auch hier in Schwung kommt. Am Ende seien dann sowohl die Mücke als auch die Erreger in Deutschland heimisch.
Der Mensch als „Schmuggler“ von invasiven Insekten
Die Gefahren für Mensch und Natur, die von invasiven Arten ausgehe, reicht aber weit über die Tigermücke hinaus. Laut dem IPBES-Bericht gelangten durch menschliches Tun bislang über 37000 Arten in für sie bislang fremde Gebiete. 3500 davon gelten als ernsthafte Bedrohung für bislang heimische Arten. Damit sind invasive Arten neben dem Klimawandel Haupttreiber für das globale Artensterben. „Invasive Arten sind in 60 Prozent der Aussterbefälle ein Hauptfaktor.“ Und in 16 Prozent waren sie sogar die alleinige Ursache. Traurige Berühmtheit, so Baumann, erlangte der aus Afrika stammende Chytridpilz.
In einer vor vier Jahren in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie ist der Pilz für einen massiven Bestandsverlust bei mehr als 500 Amphibienarten verantwortlich und bei 90 Arten gar für das Aussterben. Es sei das bisher größte durch einen einzelnen Erreger verursachte Artensterben. Nur die weltweite Zerstörung von Lebensräumen durch die immer schneller werdende Versiegelung von Böden gilt als noch größere Gefahr für die Amphibien. Der Mensch setzt der Natur also direkt und indirekt zu. Man könnte auch sagen bewusst und unbewusst. Und keins von beidem ist gut.
Flächen von invasiven Arten befreien
Und der Kampf dagegen ist leider meist aussichtslos. Im Hirschackerwald in Schwetzingen, daran ließ Baumann keinen Zweifel, würde man gegen Bäume wie die Kermesbeere oder den Götterbaum in der Fläche nicht mehr ankommen. Letzterer stamme aus China und sei sehr widerständig. Was man tun könne, sei, einzelne Flächen, die ökologisch besonders wertvoll sind, von diesen Arten zu befreien. Dafür müsse in Teilen sogar der Boden abgetragen werden, denn die Samen können teils Jahrzehnte im Boden liegen und würden dann bei entsprechend hohen Temperaturen keimen und schnell wachsen. Auch wenn der Kampf nicht zu gewinnen sei, das Eindämmen sei, soweit möglich, unverzichtbar.
Invasive Arten sind in Europa ohne natürliche Feinde
Neophyten hätten oft einen Wettbewerbsvorteil, da sie in ihren neuen Habitaten keine natürlichen Feinde hätten. Dafür, so Baumann, geht der Wandel einfach zu schnell. Und die heimischen Arten geraten über neue Konkurrenz hinaus auch noch durch veränderte Umweltbedingungen unter Druck. Eine Zangenbewegung, die für die Artenvielfalt in Deutschland und Europa fatale Auswirkungen hat.
Als ein Beispiel erwähnt Baumann die Ausbreitung des aus Nordamerika stammenden Kaliko-Krebses in Deutschland. Die Art, so der Staatssekretär, wird als biologischer Staubsauger bezeichnet. Sie vermehren sich rasend schnell, nehmen überproportional viel Nahrung zu sich und sind heimischen Krebsen klar überlegen. Kleineren Gewässern setzen die Krebse derart zu, dass das Leben fast in Gänze zum Erliegen kommt.
Die Liste der invasiven Arten, die gerade in Europa zunehmend für Probleme sorgen, ist lang. Vom amerikanischen Ochsenfrosch und dem asiatischen Laubholzbockkäfer über die aus Südamerika stammende gefürchtete Feuerameise und die asiatische Hornisse bis zu den invasiven Pflanzen, wie die spätblühende Traubenkirsche aus Nordamerika, der aus Asien kommende Götterbaum oder das aus Indien stammende Drüsige Springkraut, verzeichnet Europa ein immer stärker und schneller werdendes Plus bei invasiven Arten.
Ein Problem: der Ferntourismus
Europa ist im weltweiten Vergleich besonders schwer von invasiven Arten betroffen. Auf keinem Kontinent ist der weltweite Handel und der Ferntourismus intensiver. Je stärker diese beiden Phänomene ausgeprägt sind, desto stärker ist auch der Invasionsdruck auf heimische Arten. Menschliches Tun setzt die Artenvielfalt also nicht nur per Klimawandel und zunehmender Versiegelung unter Druck, sondern auch als unfreiwillige Transporteure für fremde Arten über weite Entfernungen. Und das hat Folgen für den Menschen. Nicht nur neue Krankheiten und Allergien können zum Problem werden. Gerade die Landwirtschaft steht in Teilen vor neuen Herausforderungen, die die langfristige Nahrungsmittelsicherheit gefährden können.
Experten erscheinen bei invasiven Arten ratlos
Angesprochen darauf, was man tun könne, erscheinen Experten, wenn man genau hinhört, ziemlich ratlos. In dem IPBES-Bericht steht, dass der Eintrag verlangsamt werden müsse und wenn eine problematische Art beginnt, Fuß zu fassen, müsse man massiv eingreifen. Wenn beispielsweise ein mit asiatischen Laubholzkäfern befallener Baum entdeckt werde, müssen alle Bäume in einem Radius von 150 Metern gefällt werden. Nur ist das nicht immer möglich. Auch sollten ausschließlich heimische Pflanzen gepflanzt und heimische Tiere gehalten werden. Denn ein nicht unerheblicher Teil der invasiven Arten waren nicht als blinde Passagiere unterwegs. Es galt ja lange als schick, exotische Pflanzen und Tiere zu haben. Hoffentlich, so Baumann, sei diese Zeit zu Ende.
Fast etwas naiv hören sich Gedanken zu etwas beschränkterem Handel und weniger Ferntourismus an. Auch eine freiwillige Quarantäne nach einem Aufenthalt in von tropischen Krankheiten betroffenen Land könnten helfen. Doch auch das erscheint Kühn kaum realistisch. Klar ist, dass Maßnahmen beim Handel Geld kosten. Schiffsrümpfe müssten stets gereinigt und Ballastwasser darf nicht einfach ins Meer abgelassen werden. Zudem müssten Methoden entwickelt werden, mit denen „blinde Passagiere“ auf Palletten und Containern aufgespürt werden können. Und da sei man dann schnell bei Regularien, die mindestens europäisch, wenn nicht weltweit gelten müssten. Leider besteht auch hier nicht gerade viel Zuversicht.
Problem inasive Arten: Jeder ist gefragt
Bei der Tigermücke könne dagegen jeder aktiv werden. Jedes stehende Gewässer, ob im Blumenuntertopf, der Gießkanne oder der Regentonne, muss mindestens einmal die Woche ausgeleert werden, um den Larven der Tigermücke keine Chance zu geben. Auch das sind aber vor allem lokale Maßnahmen mit begrenztem Effekt. Ohne ein massives und mindestens europäisch abgestimmtes Gegensteuern rechnet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung mit einem Plus bei den invasiven Arten in Europa von über 60 Prozent bis 2050.
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