Kolumne #mahlzeit

Darum ist die Erde vielleicht ein Buddhist

Wenn wir jetzt anfangen, uns aus Umweltgründen auch noch die Fortpflanzung zu verbieten, geht der letzte Sinn des Lebens verloren. Was macht das mit Jugendlichen und ihren Visionen?  Stefan M. Dettlinger hat da eine Idee

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Stefan M. Dettlinger
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© kako

Unter den vielen Mails, die ich auf mahlzeit@mamo.de bekomme, sind auch traurige. Neulich schrieb etwa eine Frau als Kommentar auf die CO2-Kolumne „Frauen, rasiert euch!“, wir, die Menschen, seien halt einfach zu viele, das sei das eigentliche Problem an der Klimakatastrophe. Auch wenn das jetzt fast ganz stimmt und alles andere als neu ist (klar: Weniger Leute machen weniger kaputt): Die Erkenntnis legt sich doch wie ein finsterer Schatten über die Zukunftsgedanken nachfolgender Generationen. Wer Kinder hat, kennt ja so etwas wie eine verzweifelte Sinnsuche.

Jeder, der schon mal auf der Suche nach dem Sinn des Lebens war, musste feststellen, dass er nicht so leicht zu finden ist wie früher die von Papa und Mama versteckten Schokohasen an Ostern. Nicht mal Religionen haben stringente Argumentationen, was der Sinn des Lebens sein könnte. Die monotheistischen Glaubensgemeinschaften, die Juden, Christen und Muslime, sehen den Sinn weitgehend in einer Art Gottesdienst und guten Werken. Im Buddhismus ist Sinn und Ziel des Lebens das Nirwana, also ziemlich das Gegenteil wie beim Monotheismus. Das Nirwana ist die Auslöschung, ein Entkommen aus dem ewigen Kreislauf des durch Gier nach Leben, Macht und Lust verursachten Leidens. Unter dem Strich könnte man es so sagen: Es geht den Religionen um eine Verschleierung und Verschönerung des Todes, der einfach doof ist.

Auch Philosophen haben keine überzeugenden Antworten. Zwar sehen sie allgemein in der Suche nach Wahrheit und Weisheit Sinn. Aber überzeugt Nietzsches Übermensch, der aus der Menschheit ein ominöses Kunstwerk schaffen soll, wirklich? Der Existenzialismus Camus’ hat die Sinnlosigkeit wenigstens unumwunden zugegeben. Und seit der Atombombe stecken Mensch, Philosophie und Religion eh in der Sinnkrise.

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In einer stark säkularisierten, atheistisch bis nihilistisch geprägten Fatalismusgesellschaft wie dem Kapitalismus ist das aber auch schlicht definiert: Sei egoistisch, friss, bevor du gefressen wirst, scheffle, bevor nichts mehr zum Scheffeln da ist (ich weiß, ich übertreibe). Konsum als Sinnersatz. Ware als Verheißung von Glück. Glück als Sinn des Lebens.

Vielleicht aber haben auch die Typen von Monty Python mit dem Film „The meaning of life“ Recht: „Seien Sie nett zu Ihren Nachbarn, vermeiden Sie fettes Essen, lesen Sie ein paar gute Bücher, machen Sie Spaziergänge und versuchen Sie, in Frieden und Harmonie mit Menschen jedes Glaubens und jeder Nation zu leben.“

Zurück zum Anfang. Ein kosmischer Sinn allen Lebens lässt sich kaum bestreiten. Er ist genetisch: die Fortpflanzung, das Erhalten der Art. Das ist amtlich. Wenn Jugendliche heute nun auch noch diesen letzten biologischen Sinn verlieren (lieber keine Kinder in diese Welt setzen) – wie sollen sie da noch Visionen entwickeln? Vielleicht ist es ja der Sinn der Erdexistenz, dass der Planet ins Nirwana gelangt und dem sinnlosen Werden und Gewesen-Sein endlich entkommt. Und daran arbeiten wir durch Fortpflanzung mit. Es gibt Hoffnung. Vielleicht ist die Erde ein Buddhist.

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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