Kolumne #mahlzeit

Warum Detti Selbstgespräche über das Fliegen führt

Caro ist nach Port Elizabeth geflogen. "Eine Freundin besuchen", sagte sie. Unser Kolumnist findet das seltsam, weil Caro eine beinharte Öko-Tante und Fan von Greta Thunberg ist. Aber was soll man machen?

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
© kako

Zugegeben: Es ist nicht schön, wenn alle drei - Alya, Bela und Caro - im Urlaub sind. Ich bin dann, weil ich niemand anderen bei Mahlzeiten ertrage (manchmal nicht mal mich selbst) dazu verbannt, bei Suppe Selbstgespräche zu führen. Alya besucht Familie in Hamburg, Bela beschallt aus seinem kecken 911er bei offenem Verdeck die Bretagne mit Rachmaninow, und - jetzt kommt’s - Caro ist nach Port Elizabeth in Südafrika geflogen, weil sie dort „eine Busenfreundin“ hat, und bei dieser sei es „im August angenehm kühl“.

Ich kenne niemanden aus Port Elizabeth. Es ist die Geburtsstadt des Tennisspielers Stuart Parker, Nummer 498 der Weltrangliste. Von dem Typ spricht kein Mensch. Aber dort wohnt eben Caros Freundin. Was mich aber viel mehr interessiert: Wie hat Caro überhaupt einen real abhebenden Flieger gefunden? Und wieso hat sie, die beinharte Öko-Tante und Fan Greta Thunbergs, das getan? Man stößt, je nach Informant, mehr als drei Tonnen CO2 für die 10 000 Kilometer aus, in der Businessclass sogar das Dreifache.

Klar, ich sehe ein, dass das keine Strecke fürs Fahrrad oder Auto ist. Mit dem Rad brauchst du zwei Sabbaticals. Mit dem Auto schluckst du nicht nur ganze Dünen an Saharasand, sondern gondelst fast 200 Stunden durch allerlei Länder. Das wären dann, bei täglich übermenschlichen zwölf Fahrstunden, zwei bis drei Wochen. Geht nicht, gibt’s doch!

Mehr zum Thema

Kolumne #mahlzeit

Die Stones hätte es nie geben dürfen

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren
Kolumne #mahlzeit

Aphrodites Tod oder: Werden wir eigentlich total überwacht?

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren
Kolumne #mahlzeit

Warum die Welt sich keine Reichen mehr leisten kann

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren

Aber was spricht heute eigentlich noch fürs Fliegen außer Egoismus? Na ja, der alte Menschheitstraum, der Jahrtausende gescheitert war (Ikarus mit seinen geschmolzenen Flügeln kann ein Lied davon singen), hat schon einen anderen Blick auf die Erde eröffnet, aufs Universum und schließlich auf uns selbst als kleine Kreaturen im unendlichen Ganzen. Es hat sicherlich nicht weniger als unsere ästhetische Beziehung zur Welt revolutioniert, dass wir die Schwerkraft überwunden haben, es hat eine neue Form von Ethik eröffnet, die es uns ermöglicht, globale Netzwerke zwischen Leuten zu knüpfen. Frieden ist vielleicht nur möglich durch Sich-Kennen, und das Abkommen von 1944 zur Koordination des internationalen Luftverkehrs sah als Ziel der Zivilluftfahrt: „Freundschaft und Verständnis zwischen den Staaten und Völkern der Welt zu schaffen und zu erhalten.“

Klar, die dachten damals nicht entfernt daran, dass eines Tages 4,4 Milliarden Menschen pro Jahr fliegen würden. Ich habe gelesen, dass die Reduzierung oder gar Einstellung von Flugreisen zu den individuellen Dingen gehört, die Gewicht haben können, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Das haben der Geograf Seth Wynes und die Umweltexpertin Kimberly Nicholas gesagt. Mit dem Auto ist es natürlich gleich.

Aber neue Technologien zurücknehmen - das gab es kaum in der Menschheitsgeschichte. Okay: Die Römer hatten schon Wasserklos. Im Mittelalter gab es sie eher nicht. Ein Klo ist auch kein Flugzeug. Aber man müsste die Technologie ja nicht gleich aufgeben. Wenn wir von allem weniger tun würden, würde es schon helfen. Weniger Suppe wäre ein erster Schritt. Sie schmeckt nämlich nicht. Es ist nicht unbedingt leichter geworden, glücklich zu sein …

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen