"Ja, ja, alle reden sie von der Verkehrswende, aber: Ich sehe nichts davon. Ich sehe nicht einmal, dass jemand sich anstrengt, damit Verkehrswende nicht nur ein immer wieder gesagtes Wort bleibt, blödes Gequatsche blöder Politiker, die am Ende doch nur das Eine wollen: die Stimme des Volkes. Ja, die wollen nicht die Verkehrswende, sondern die Stimme des Volkes, denn Macht ist ihnen wichtiger als CO2. Macht ist die grundlegende niedere Triebkraft des Politiker-Alphatiers, und die gibt ihm nicht die Verkehrswende, sondern das Volk, und das Volk ist nun mal doof, kindisch und spielt nun mal verdammt gern Tut-tut in klimatisierten Blechkisten.“
„Bist du fertig?“, fragt Bela Caro, die sich in Rage geredet hat und rot angelaufen ist. Und natürlich sagt Caro, weil sie sich in Rage geredet hat und rot angelaufen ist, dass sie noch lange nicht fertig sei: „Noch. Lange. Nicht.“ So geht das erst mal hin und her, während Alya mit dem vierwöchigen Wurm Elin im Arm und ich uns an einem – nicht gerade vergnügungssteuerpflichtigen – Beets-’n‘-Berries-Smoothie abarbeiten. Groteskes Gesöff!
Die militanteste Autohasserin unter uns (vielleicht weltweit) ist ja nicht Caro. Es ist Alya. Ich erinnere mich gut an ihre unheimliche Begegnung der dritten Art (mit Autofahrern) und wie sie – friedlich, ökologisch und Billie Eilishs „All the good Girls go to Hell“ hörend – plötzlich auf diese Fettel im Benz M-Klasse-Panzer stieß. So aggressiv hatte ich sie nie erlebt.
Und weil das so ist, schiebt sie mir nun das kleine Päckchen im Arm auf meinen Schoß (worauf mich zwei nachtschwarze Augen ängstlich ansehen), holt tief Luft und spricht: „Caro hat Recht. Neulich stand ich mit Elin an einer der Fußgängerampeln. Eine, zwei, drei Minuten. Auto um Auto, Laster um Laster. Alles rauschte an mir vorbei. Wir atmeten Abgase ein. Es war brütend heiß. Elin weinte und wollte nach Hause und ihre Ruhe haben. Da hatte ich die verrückte Vorstellung, man müsste den Verkehr umdrehen.“
Caro: „Hä?“ Bela: „Wie?“ Ich: „Ja, du kriegst ja gleich was.“ Elin fängt an zu weinen. Alya fährt in das Gekreische hinein fort: „Wie wäre es denn, wenn die Fußgänger und Radfahrer an den neuralgischen Stellen grundsätzlich Vorfahrt und grünes Licht hätten und die Autofahrer rot. Die müssten dann, wenn sie ankommen, erst mal aus ihren Blechbüchsen aussteigen, auf einen Knopf drücken und dann zwei, drei Minuten warten, bis die Ampel für sie auf grün wechselt.“ Bela prustet laut los und fragt, ob bei Alya „’ne Sicherung durchgebrannt“ sei. Elin stellt ihre Qualitäten als Rising Star im Rockröhrengewerbe unter Beweis, Caro wirkt nachdenklich, und ich muss sagen: Das klingt auf den ersten Moment total crazy, ja, aber irgendwie charmant. Warum nicht! Die Leute würden, ja, müssten auf Rad oder Tram umsteigen.
Während ich das tippe, steht die Weltklimauhr beim 1,5°-C-Szenario auf 6 (Jahre), 0 (Monate), 23 (Tage) und 19 (Stunden). Wahrscheinlich kommen jetzt wieder ein paar Typen (von der FDP?) und sagen, dass Autofahren gar nicht so schlimm sei und nur einen winzigen Teil der Emissionen ausmache und sowieso jeder einzelne nichts tun könne …. Bla. Bla. Bla.
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