Alle sind wieder da. Alya aus Hamburg, Bela aus der Bretagne und aus Port Elizabeth Caro. Alle sind wieder da, aber nur einer redet wie ein Wasserfall und schwärmt wie ein frisch verliebter Kater. Also spricht Bela: „Wahnsinn! Alles ist schön und ästhetisch. Die Natur, die Steine, die Architektur, die Menschen, das Essen, einfach alles, selbst Zigarettenrauchen macht Spaß. Es ist ein Glück, das endet, wenn man über der Grenze bei Saarbrücken auf die erste unserer gefürchteten Baustellen stößt. Tempo 60.“
„Na dann zieh doch endlich hin und verpeste mit deinem peinlichen und bescheuerten Gefährt – wie hieß es doch gleich, ach ja, Porsche-neun-eins-eins – die französische Landschaft“, wirft Caro ein. „Neunhundertelf“, korrigiert Bela und ätzt, dass Caro wohl verheimlicht habe, dass CO2-neutrale Fluggeräte erfunden wurden und sie mit einem solchen Superteil nach Port Elizabeth in Südafrika geflogen sei, um dort mit ihrer Freundin „was weiß ich“ zu machen. Bela sagt tatsächlich „was weiß ich“, doch alle wissen, was er eigentlich damit sagen will, nämlich dass er glaubt, dass Caro lesbisch ist. Caro aber bleibt erstaunlich cool und geht nicht darauf ein. Sie sagt nur: „Das, was ich mit meinem Flug in die Atmosphäre geblasen habe, hatte ich mir über Jahre zusammengespart. Wie ihr vielleicht wisst, lebe ich seit langem extrem CO2-arm.“
Das verschlägt allen die Sprache. Erst mal. Alya steht mit ihrer Bahnfahrt nach Hamburg ohnehin gut da. Ich selbst war radeln. Das klingt gut. Aber zum Radeln brauchte es auch Züge und ein Auto. Hm. Jeder sündigt auf seine Weise. Es ist zum Verrücktwerden.
Doch Bela kommt aus der Reserve. Und schwärmt: „Warum ist es in Deutschland so hässlich? Das frage ich mich immer und immer wieder. Selbst die Verkehrsschilder sind woanders schöner. Ich war in Domfront, das ist ein Kaff in der Normandie. Alles super dort. Wunderschön. Das einzig Hässliche an Domfront ist, ihr werdet es nicht glauben, ein scheußliches, gelbes Ortsschild. Offenbar hat das die Partnerstadt Burgwedel den Domfrontern geschenkt. Es verschandelt dort den Ortseingang. Die Franzosen machen das einfach Schwarz auf Weiß. Die Deutschen spielen auf dem Ortsschild Sonne und Salamander. Gelb und Schwarz. Igitt!“
„Komm’ Bela, das gibt sich wieder“, sagt Alya nun, „du gewöhnst dich schon wieder ans Vaterland. Ich mag übrigens die gelben Schilder. Die strahlen so eine Sehnsucht nach Wärme und Behaglichkeit aus.“ Genau, so Bela, eben das, was in D-Land mit seinen 50er-, 60er-, 70er-, 80er-, 90er- und Millenniumsbauten so selten sei. Fast alles sei hier „Ritter Sport, quadratisch, praktisch, aber nein, nicht gut, sondern hässlich, grau und einfallslos, so locharchitektural öde, dass die Architekten selber lieber nicht in den Kisten leben, die sie bauen. Ha! Die kaufen sich Altbauwohnungen!“
Also die Debatte kommt mir bekannt vor. Ich mag ja moderne Architektur, wenn sie im Spannungsfeld von Gewesenem und Seiendem steht und in die Zukunft weist. Na ja. Die Langeweile ist jedenfalls vorbei. Kein Streit ist auch keine Lösung. Mahlzeit.
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