Essay

Was immer weniger Wasser mit der Menschheit macht

Von 
Stefan Kern
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© Daoud

Region Rhein-Neckar/Welt. Das Ausmaß der Tragödie kann für die Wissenschaftler in drei Zahlen ausgedrückt werden: 1,2 Milliarden, 2,6 Milliarden und 5000. Zahlen, die eigentlich jede Vorstellung sprengen. Denn dahinter verbergen sich erstens die Anzahl der Menschen ohne sichere Trinkwasserversorgung, zweitens die Menschen ohne sanitäre Wasserversorgungsleistung und zuletzt die Zahl der Kinder, die an jedem einzelnen Tag infolge von Wassermangel sterben.

Auf den ersten Blick erscheinen die Wasserkrisen überall auf der Welt als einzelne, nicht zusammenhängende Phänomene. Der enorme Wasserverbrauch in Las Vegas verschärft nicht die Wasserversorgung für die Palästinenser im West Jordanland und die Dürre in Afrika scheint mit der Wüstenbildung in Spanien nichts zu tun zu haben. Auf den zweiten Blick ändert sich die Sache jedoch grundlegend. Der Klimawandel und der Handel mit virtuellem Wasser machen aus den vielen regionalen eine große zusammenhängende Wasserkrise.

Klimaproblem verschärft in Zukunft die Wasserversorgung

Das Klimaproblem verschärft in Zukunft die Wasserversorgung für weite Teile der Menschheit, so eine Schätzung der UN. „Bis 2030 wird die Hälfte der Menschheit in Gebieten leben, wo Wasser Mangelware ist.“ Der Klimawandel setzt dabei zwei gegenläufige Entwicklungen in Gang. Und so ungenau viele Modelle bisher noch sind, über die grundlegende Tendenz sind sie sich einig.  In trockenen Weltregionen wird es noch trockener werden und in Gegenden, die eh schon ausreichend über Wasser verfügen, wird der Überfluss zunehmen. Das heißt, dass die Wasserversorgung der Zukunft vor allem das Verteilungsproblem lösen muss. Um zu verhindern, dass sich Millionen von Wasserflüchtlinge auf den Weg machen, muss eine entscheidende Frage beantwortet werden, wie kann Wasser aus regenreichen in regenarme Gebiete gelangen?

Genauso verheerend für viele wasserarme Regionen entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten der Handel mit virtuellem Wasser. Womit die Menge Wasser gemeint ist, die zu Herstellung, Transport und Entsorgung von Lebensmitteln und Produkten verbraucht oder verschmutzt wird. Direkt verbraucht der Deutsche täglich rund 130 Liter Wasser zum Duschen, Toilette spülen, Wäsche waschen, Kochen und Trinken. Richtig verhagelt wird die Ökobilanz, wenn der virtuelle Wasserverbrauch hinzukommt. Nicht mehr 130 Liter, sondern 4130 Liter, so eine Berechnung des WWF, verbraucht jeder Deutsche täglich. Ein Frühstücksei, 135 Liter Wasser, eine Tasse Kaffee, 140 Liter Wasser, ein Baumwoll-T-Shirt, 2700 Liter Wasser und für ein Steak, 5000 Liter Wasser. Des Deutschen liebstes Kind fällt in dieser Bilanz bei einem Durchschnittsgewicht von 1,5 Tonnen übrigens mit rund 400 000 Litern Wasser und der Computer, an dem dieser Text geschrieben wurde, mit 20 000 Litern Wasser ins Gewicht.

„Stockholmer Water Price“ (Wasser-Nobelpreis) für britischen Umweltforscher

Der renommierte britische Umweltforscher John Anthony Allan, der das Konzept des virtuellen Wasserverbrauchs entwickelte und dafür den „Stockholmer Water Price“ (Wasser-Nobelpreis) erhielt, berechnete für zahlreiche Alltagsprodukte den ökologischen Fußabdruck und machte so deutlich, wie sehr der Westen auch in Bezug auf Wasser auf Kosten anderer lebt. Denn meist läuft dieser virtuelle Wasserhandel von Ländern mit eher wenig Wasser in Länder ohne Wasserversorgungsprobleme. Die entwickelte Welt importiert also Wasser und schafft so in vielen Ländern Probleme mit der Wasserversorgung.

So brachte der Siegeszug der Baumwolle neben der modischen Vielfalt eben auch zahlreiche Schwierigkeiten mit sich. Wobei am bekanntesten das Schicksal des früher viertgrößten Süßwassersees sein dürfte, dem Aralsee. Nachdem seine Zuflüsse von Mitte der 50er bis Mitte der 80er aufgrund intensiver Bewässerung von Baumwollplantagen im Laufe der Zeit auf null reduziert wurden, zog sich das Ufer von 1956 bis 1998 um rund 75 Kilometer zurück. Heute umfasst der Aralsee, nach 1075 Kubikkilometern im Jahr 1955, keine 54 Kubikkilometer mehr. Für ein Kilogramm Baumwolle benötigt man 11 000 Liter Wasser.

Warnzeichen auch beim Gelben Fluss in China

Ein ganz ähnliches Warnzeichen gab der Gelbe Fluss in China von sich. Nachdem über Jahre immer mehr Wasser abgepumpt wurde, um den Bedürfnissen der Landwirtschaft angesichts einer stark wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden, fiel der Gelbe Fluss 1972 für 15 Tage tatsächlich trocken. Seitdem geschieht dies in unregelmäßigen Abständen immer wieder. In den Vereinigten Staaten heißt dieses Warnzeichen Ogallala-Aquifer, ein riesiges System von Grundwasserleitern, das sich über sechs Bundesstaaten von Süd Dakota bis nach Texas erstreckt.

Dabei lautet die Frage nicht, ob dieser gewaltige Grundwasserleiter versiegt, sondern nur noch, wann dies geschieht. Die einzig sinnvolle Gegenstrategie wäre der massive Abbau von landwirtschaftlicher Tätigkeit, was in einer der größten Kornkammern der USA jedoch kaum durchsetzbar wäre. Was geschehen soll, wenn der Ogallala-Aquifer leer gepumpt ist und die Landwirte in den sechs Bundesstaaten vor der Existenzfrage stehen, bleibt bis heute dagegen völlig ungeklärt. Dabei muss es auf diese Frage bald eine Antwort geben, da der Zeitpunkt für den Grundwasserleiter ohne Wasser nicht mehr allzu weit entfernt ist.

Katastrophale Wasserbilanz innerhalb der Landwirtschaft

Eine katastrophale Wasserbilanz innerhalb der Landwirtschaft, die, laut UN World Water Report, immerhin rund 70 Prozent des gesamten, dem Menschen zur Verfügung stehenden Süßwassers verbraucht, hat die Viehwirtschaft sowie der Kaffee- und der Kakaoanbau. Für ein Kilogramm Rindfleisch braucht es über 15 000 Liter Wasser, für ein Kilogramm Schweinefleisch 4800 Liter Wasser und für ein Kilogramm Hühnerfleisch 3900 Liter Wasser. Allan ist sich nach 40 Jahren Forschung sicher, dass sich bei einer fleischlosen Ernährung der weltweite Wasserverbrauch halbieren ließe.  Aber auch schon ein Teilverzicht würde den globalen Wasserhaushalt für viele Menschen spürbar entlasten. Das gilt auch für Kaffee und Kakao, der den Wasserhaushalt der jeweils exportierenden Länder schwer belastet. Ein Kilogramm Kakao entspricht 27 000 Litern und ein Kilogramm Kaffee 21 000 Litern Wasser.

Dieser zunehmende Wasserhandel und der einsetzende Klimawandel verschärfen somit ein Problem, für das in der Welt bisher noch nicht einmal ein Lösungsansatz existiert. Schon jetzt gibt es weltweit Millionen Umweltflüchtlinge, bisher hauptsächlich Binnenflüchtlinge. Doch bald werden sich die Menschen in andere Weltregionen aufmachen müssen. Und die Zahlen werden steigen.

Das Problem "Wasserflüchtlinge"

Harald Welzer, Professor für Sozialpsychologie und Autor des Buches „Klimakriege: Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“, formuliert es drastisch. „Irgendwann kommen nicht nur ein paar Boote, sondern Millionen und auf diesen Ansturm sind unsere Demokratien überhaupt nicht vorbereitet.“ Auch die amerikanische sowie die europäischen Regierungen sehen in dem Problem Wasserflüchtling mittlerweile eine sicherheitsrelevante Frage ersten Ranges. Nur die Antworten jenseits militärischer Abschirmung bleiben bisher äußerst dürftig. Angesichts dieses durchaus alles infrage stellenden Problems ist es erstaunlich, dass die UN-Konvention für ein nachhaltiges, verantwortungsvolles und vor allem grenzüberschreitendes Management von Trinkwasservorkommen noch immer auf Eis liegt.

Kulturen können manches überstehen, keinesfalls aber die totale Wasserverknappung und die damit einhergehenden Völkerbewegungen.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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