Schwetzingen. Zum heutigen Mental Health Day gibt die Diplom-Psychologin, Trainerin und Business-Coach, Sandra Kuhn-Krainick, Tipps wie man sich gegen Stimmungstiefs in der dunklen Jahreszeit wappnen kann. Ihre Resilienz-Programme für Unternehmen mit dem Titel „Healthy Moments - Herbstblues Ade“ erreichen aktuell über 400 Mitarbeitende und Führungskräfte. Ihr neuestes Expertenbuch „Wie Personalentwicklung und Gesundheitsförderung nachhaltig gelingt“ ist ab heute überall im Handel erhältlich.
Frau Kuhn-Krainick: Heute, am 10. Oktober, ist der internationale Mental-Health-Day. Warum ist Ihrer Meinung nach dieser Tag so wichtig?
Sandra Kuhn-Krainick: Der Mental-Health-Day erinnert uns daran: Psyche und äußere Rahmenbedingungen sind eng miteinander verbunden. Gerade in der dunklen Jahreszeit zeigen sich viele psychische Belastungen besonders deutlich, sowohl im Privaten und auch im Berufsalltag. Der weltweite Aktionstag ist ein guter Anlass über Strategien zu sprechen, wie wir im Herbst und Winter mentale Stabilität fördern können.
Laut Statistik leiden bis zu zehn Prozent der Bevölkerung unter Stimmungstiefs im Herbst oder saisonaler affektiver Störung. Woran merke ich, dass ich ernsthaft depressiv bin und nicht nur ein bisschen schlecht drauf?
Kuhn-Krainick: Wenn Symptome wie Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Verlust von Freude, Konzentrationsprobleme oder innerer Niedergeschlagenheit über Wochen existieren und den Alltag deutlich beeinträchtigen, ist Vorsicht geboten. In diesem Fall rate ich dringend, professionelle Hilfe aufzusuchen.
Wird der Herbstblues nicht von der allgemeinen Krisenstimmung, die momentan herrscht, überlagert?
Kuhn-Krainick: Ja: Diese Dauerbelastung durch politische Unsicherheit, Zukunftsängste und wirtschaftliche Herausforderungen kann wie ein Verstärker für psychische Erkrankungen wirken. Viele Menschen sind bereits innerlich angespannt. Da genügt dann wenig, um in ein Stimmungstief zu fallen. Deshalb ist es so wichtig, im Herbst gezielt gegenzusteuern – mit Licht, Struktur, Bewegung und kleinen Impulsen im Alltag.
Der Herbst hat doch auch seine schönen Seiten: bunte Blätter, Kürbisse, Esskastanien, Weinfeste. . . Ich kenne auch Menschen, die lieben es, wenn es draußen nebelig ist oder sich an schmuddeligen Tagen zu Hause auf der Couch bei einem heißen Tee unter die warme Decke zu kuscheln. Es geht also auch anders, oder?
Kuhn-Krainick: Auf jeden Fall. Die Herbst- oder Kürbiszeit ist mehr als „Trübwetter“. Sie bietet auch Genuss, Sinnlichkeit, Achtsamkeit und Geselligkeit. In meinen Healthy Moments-Programmen für Unternehmen integrieren wir gerade solche Elemente: saisonale Ernährung wie Kürbisrezepte, Impulse zum genussvollen Wahrnehmen, Achtsamkeit in der Natur. Solche Elemente helfen, den Fokus auf das Stärkende und Positive für Körper, Geist und Seele zu lenken.
Als Auslöser für den Herbstblues gilt mangelndes Sonnenlicht. Demnach müsste das Phänomen in den nordischen Ländern, wo es den ganzen Winter über kaum hell wird, am meisten verbreitet sein.
Kuhn-Krainick: Ja, Licht spielt eine Schlüsselrolle. Die sogenannte saisonale affektive Störung (SAD) ist im deutschsprachigen Raum verbreitet, aber seltener als in Skandinavien, wo lange Dunkelheitsperioden das Risiko deutlich erhöhen. Internationale Studien bestätigt diesen Unterschied und geben einen guten Hinweis auf die entscheidenden Einflussgrößen: geografische Breite, Tageslicht und damit verbundene physiologische Reaktionen.
Also ab in den Süden. . .
Kuhn-Krainick: Für kurze Zeit hilft das, ja – Sonne, Wärme, neue Eindrücke helfen. Aber wir können nicht das ganze Jahr im Urlaub verbringen … oder doch? Schön wäre es! Aus meiner Sicht entscheidend ist, wie wir unseren Alltag gestalten: Tageslicht nutzen, Pausen ins Freie verlegen, gute Beleuchtung in Wohn- und Arbeitsräumen und Lichttherapie-Ansätze, wenn nötig.
Gibt es neben regionalen Besonderheiten auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Kuhn-Krainick: Ja. Frauen zeigen viermal häufiger Symptome und das Risiko steigt ab dem 30. Lebensjahr deutlich an. Männer dagegen übergehen oft Müdigkeit, innere Leere oder Reizbarkeit.
Und was ist mit Menschen, die ohnehin schon zu Depressionen neigen?
Kuhn-Krainick: Für sie besteht das Risiko, dass sich Symptome verschärfen. Ich empfehle präventiv: positive Routinen etablieren, Selbstchecks machen und immer mal wieder auch mit Menschen aus dem Freundes- und Kollegenkreis darüber zu sprechen. Wenn sie merken, dass es kippt, ist professionelle Unterstützung kein Versagen, sondern kluges Handeln.
Hat Corona das Phänomen verstärkt?
Kuhn-Krainick: Leider ja. Die Pandemie hat die Psyche vieler Menschen aus mehreren Gründen enorm angegriffen. Fehltage und Krankschreibungen nehmen laut den Krankenkassen und dem Statistischen Landesamt immer wieder neu Rekordwerte an. In dem DAK-Psychreport von 2025 lagen psychische Erkrankungen auf Platz 3 bei den Gründen für Ausfalltage. Sie hatten einen Anteil von 17,4 Prozent an allen Fehltagen insgesamt. Nur Atemwegs- und Muskel-Skelett-Erkrankungen waren für die Arbeitswelt noch belastender. Viele meiner Kundenunternehmen berichten über Erschöpfung und Motivationseinbrüchen bei den Mitarbeitenden und auch einen höheren Krankenstand. Gerade in der dunkleren Jahreszeit wird der mentale Druck noch stärker spürbar.
Was kann man konkret gegen Herbstblues tun – privat und im Job?
Kuhn-Krainick: Hier mal fünf einfache Tipps, die ich auch bei meinen Trainings und Coachings immer wieder empfehle: 1. Raus ans Licht - jeden Tag: Selbst an grauen Tagen ist das natürliche Licht draußen 20- bis 50-mal stärker als in Innenräumen. Ein Spaziergang am Vormittag wirkt wie eine natürliche Lichttherapie und stabilisiert den Hormonhaushalt; 2. In Bewegung kommen: Körperliche Aktivität hebt die Stimmung, baut Stresshormone ab und fördert Glückshormone wie Serotonin. Es muss kein Extremsport sein. Schon 20 Minuten zügiges Gehen kann helfen; 3. Saisonal essen, z. B. die Kürbiszeit bewusst genießen: Vitamin- und farbstoffreiche Lebensmittel wie Kürbis, Karotten oder Nüsse liefern Energie und wirken sich positiv auf die Psyche aus. Kochen, schneiden, riechen. Das aktiviert alle Sinne und steigert das Wohlgefühl; 4. Soziale Kontakte pflegen: Isolation ist ein Nährboden für negative Stimmung. Ein kurzer Kaffeeplausch oder ein intensiveres Telefonat kann den emotionalen Akku schon wieder aufladen; 5. Den Tag bewusst strukturieren: Feste Schlaf- und Aufstehzeiten, kleine Pausen, kurze Selbstreflexionen können Halt und Orientierung geben. Rituale wie Kerze anzünden, Tee trinken oder ein Abendspaziergang machen, helfen, den Tag positiv abzuschließen. Im Unternehmen können solche Maßnahmen auch durch die Führungskräfte initiiert werden. In der Positiven Psychologie und in der gesunden Führung gibt es zahlreiche Anregungen dazu.
Und wenn das alles nicht ausreicht? Ist professionelle Hilfe erlaubt und wird das dann auch von den Krankenkassen übernommen?
Kuhn-Krainick: Ja. Wenn die Symptome trotz gezielter Gegenmaßnahmen nicht abklingen oder sich sogar verschlimmern, ist der Weg zur ärztlichen/psychologischen Hilfe genau der richtige Schritt. Hausärztinnen, Psychotherapeutinnen oder FachärztInnen sind Ansprechpartner. In Deutschland werden psychotherapeutische Behandlungen je nach Diagnose und Verordnung von der gesetzlichen Krankenkasse getragen.
Coach und Trainerin
- Sandra Kuhn-Krainick ist Diplom-Psychologin, Coach und Trainerin, seit über 25 Jahren mit ihrem Institut Kuhn-Krainick Training & Coaching in Schwetzingen tätig .
- Sie hat in dieser Zeit mehr als 80 Unternehmen mit insgesamt mehr als 100.000 Mitarbeitenden und Führungskräften begleitet.
- Ihr Ziel ist es, Leistungsstärke und mentale Gesundheit dauerhaft zu verbinden.
- Auszeichnungen: Für ihre innovativen und nachhaltigen Gesundheitsförderungsprogramme wurde sie unter anderem mit dem Deutschen Award für Coaching und Training und dem Europäischen Trainingspreis ausgezeichnet.
- Neues Buch: Am 10. Oktober, dem Mental Health Day, erscheint ihr neues Praxisbuch „Wie Personalentwicklung und Gesundheitsförderung nachhaltig gelingt“– erhältlich im Buchhandel und online (z. B. Amazon).
In ihrem Institut bieten Sie auch Unternehmen Beratung an, die für ihre Mitarbeitenden etwas gegen den Herbstblues tun wollen. Ist das ein Thema bei den Firmen in der Region?
Kuhn-Krainick: Sehr! Für Unternehmen aller Branchen ist strategische Gesundheitsvorsorge essenziell geworden. Viele Firmen, auch hier in der Metropolregion Rhein-Neckar, gestalten zum Beispiel heute am Mental Health Day Aktionen, Workshops, Impulsvorträge und Achtsamkeitstrainings. Seit dem Jahr 2021 biete ich Unternehmen jährlich einen kostenlosen Kalender für das Betriebliche Gesundheitsmanagement an. Darin finden sich nicht nur zum 10. Oktober, sondern 55 weitere nationale und internationale Aktionstage mit insgesamt 165 praxistauglichen Umsetzungsideen. Da ist für jede Unternehmensgröße und jedes Budget etwas dabei. Und aktuell sind über 400 Mitarbeitende und Führungskräfte aus der Region in Programmen und Coachings von uns aktiv eingebunden. Unter der Überschrift „Herbstblues Ade“ bieten wir zum Beispiel eine zwölfwöchige Videoreihe. Jede Woche gibt es ein dreiminütiges Video mit Impulsen zu Licht, Bewegung, Ernährung, mentaler Klarheit oder kleinen Challenges. Wer dann mehr Tiefgang haben möchte, erhält durch einen QR-Code weitere Unterlagen. Im Januar startet die nächste Runde: Healthy Moments – Mit positivem Schwung ins neue Jahr. Dabei begleiten wir Mitarbeitende zum Jahresstart und helfen, motiviert, gesund und fokussiert ins neue Arbeitsjahr zu starten. Auch hierzu gibt es schon heute Anmeldungen.
In ihrem neuen Expertenbuch geht es um nachhaltige Personalentwicklung und Gesundheitsförderung. Sie sprechen dabei auch von „gesunder Führung“. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Kuhn-Krainick: Gesunde Führung heißt: Leistung und Menschlichkeit verbinden. Ich sehe jeden Tag, wie sehr Führungskräfte das Klima in Teams und Unternehmen prägen. Gesunde Führung ist für mich der Schlüssel zu stabilen langfristig engagierten Teams. Wenn Führungskräfte mit Herz führen und Mitarbeitenden mit Wertschätzung auf Augenhöhe begegnen, entsteht eine Kultur, die Menschen gesund hält, sowohl psychisch wie körperlich. Genau dafür habe ich mein Modell der gesunden Führung entwickelt. Wer achtsam, kraftvoll, emotional und positiv führt, senkt langfristig Krankheits- und Fluktuationsraten. Auch hierzu gibt es eindeutige Studien, die den Effekt mit Zahlen und Daten belegen.
Sind diese positiven Führungsgrundsätze mit unternehmerischer Krisenbewältigung, Change-Management und Arbeitsplatzabbau in Einklang zu bringen? Da kommen in der Belegschaft doch zwangsläufig Stress und Zukunftsängste auf. Wie kann ich es trotzdem schaffen, meine Mitarbeiter zu motivieren?
Kuhn-Krainick: Auch und vielleicht besonders in schwierigen Phasen ist gesunde Führung wichtig. Durch offene Kommunikation, transparente Entscheidungen, Beteiligung und Empathie entsteht in der Belegschaft ein Gefühl, nicht überrollt, sondern mitgenommen zu werden. Fachbegriffe wie Selbstwirksamkeit, psychologische Sicherheit und Positive Psychologie sind für mich die Triebfeder meiner Arbeit und gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig. Das lässt mich auch weiterhin kämpfen für eine gesunde und positive Arbeitswelt.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/leben_artikel,-freizeit-herbstblues-ade-wie-wir-unsere-mentale-stabilitaet-in-der-dunklen-jahreszeit-erhalten-_arid,2333105.html