Brühl. Für viele war Albert Fichtner die Personifizierung der Brühler Brauchtumspflege und Traditionen. Am Freitagnachmittag wurde der beliebte 96-Jährige zu Grabe getragen. Damit verliert die Hufeisengemeinde einen liebenswerten Mitbürger und einen Mann, der viel von früher und heute zu erzählen wusste. Nach langer Krankheit war Fichtner, der zuletzt sehr zurückgezogen lebte, am Samstag, 6. September, gestorben.
Den meisten Brühlern wird Albert Fichtner als Ehrenowwerkerweborscht in Erinnerung bleiben. Als er 2014 das erste Mal zum obersten Repräsentanten des größten Brühler Traditionsfestes geworden war, da schallten „Alfi – Alfi – Alfi!“-Rufe durch die Partymeile im Ortskern. Der älteste Owwerkeweborscht aller Zeiten wurde mit dieser Koseform seines Vor- und Nachnamens von Jung und Alt ausgelassen gefeiert und angefeuert. Und der Senior aus der Mühlgasse ging entsprechend mit – aus vollem Herzen und mit einer ungeheuren Dynamik. Kein Zweifel: Die Kerweborscht hatten da einen würdigen Repräsentanten für das Fest gefunden. In Frack und Zylinder erkannte man den früheren Feld-, Wald- und Wiesenschütz, Wetter- beziehungsweise Naturbeobachter im Dienste der Landesregierung und Züchter seltener Schafe kaum wieder.
Einziger Brühler Ehrenowwerkerweborscht
Doch, so wie er alle Aufgaben zu 100 Prozent erledigt, so zeigte Fichtner auch als Owwerkerweborscht bei sonnigem Herbstwetter unschlagbare Qualitäten. Und so wurde er im Jahr darauf noch einmal mit der Mission betraut. Als er dann 2016 den Zeremonienstab mit der Krott mit einer Träne i Knopfloch an seinen Nachfolger übergab, wurde er von den Kerweborscht mit einem eigens für ihn kreierten Titel zum Ehrenowwerkerweborscht ernannt. Bis zu seiner schweren Erkrankung, war er immer mit herzerfrischendem Engagement und seinem ansteckenden Lachen in seiner edlen Kluft dabei, wenn in Brühl Brauchtum gepflegt wurde und der Song „Es ist schön, ein Kerweborscht zu sein“ erklang.
Und eine zweite Kluft von Albert Fichtner wird ebenfalls unvergessen bleiben: der Lodenmantel des Schäfers. Zusammen mit seinem Sohn Fritz und Schwiegertochter Christina Fichtner züchtete er bereits seit 1986 Schafe. Genauer gesagt: ostfriesische Milchschafe. Einen großen Teil der Arbeit – vor allem die Fütterung und Pflege der Tiere – erledigt Albert Fichtner solange es seine Gesundheit noch zuließ. Und jedes Jahr zur Osterzeit präsentierte er unserer Zeitung stolz sein erstes Lamm der Saison.
Träger des Bundesverdienstkreuzes
Und dann gab es noch den Familienmenschen Albert Fichtner. Er und seine Ehefrau Friedel geborene Hoffmann schlossen am 18. März 1950 in Brühl den Bund fürs Leben. Ebenso wie er, stammte auch seine Frau Friedel aus Schwetzingen. Die Themen Natur und Landwirtschaft zogen sich durch das ganze Leben der Eheleute, kennengelernt haben sie sich nämlich im Juni 1945 im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern von Friedel Hoffmann. Drei Jahre später verlobten sich die beiden und gaben sich schließlich in der evangelischen Stadtkirche in Schwetzingen vor Pfarrer Fritz Bastian das Jawort. Die Eheleute Fichtner lebten mit Tochter und Sohn von 1952 bis 1965 im Schwetzinger Schlossgarten, wo er als Kutscher mit seinen Pferden Dora und Hans im Dienst der Staatlichen Schlossverwaltung tätig war. Mitte der 1960er Jahre wechselte die Familie dann den Wohnsitz nach Brühl in die Mühlgasse und Albert Fichtner wurde Wiesenhüter der Stadtverwaltung Schwetzingen und zugleich beim Wasser- und Bodenverband „Schwetzinger Wiesen“ Wasserwart. Seit 1989 war er zudem noch Wildschadenschätzer.
Als Schwetzinger Wiesenhüter stand Albert Fichtner in einer über 150-jährigen Tradition. Das Wiesenhüterhaus in Brühl wurde 1897 erbaut. Nicht nur für die Verpachtungen, sondern auch für die erfolgreiche Durchführung von Flurbereinigungen erstellten Feldschütze umfangreiche Pläne und Skizzen von Acker-, Wiesen- und Gehölzflächen sowie von Straßen, Wegen, Brücken, Bächen und Ablaufgräben. Zudem kümmerten sie sich um die Sicherheit auf den landwirtschaftlich genutzten Feldern und Wegen. Diese Ämter füllte er mit Leben, bis er 1913 in den Ruhestand ging. Nachfolger als Feldschütz und Wildschadenschätzer wurde sein Sohn Fritz.
Ein Mensch, den man immer wieder gern traf
Seit 2013 war Fichtner Träger des Bundesverdienstkreuzes, das ihm für seine Tätigkeit als phänologischer Beobachter des Deutschen Wetterdienstes zugesprochen wurde. Die aus seinen Wetterbeobachtungen aufbereiteten Ergebnisse waren Grundlage für eine Vielzahl von Studien und Entscheidungen in den Agrar- und Forstwissenschaften, in der Klimatologie und der praktischen Landwirtschaft. Der damals zuständige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer lobte Fichtner: „Mit Ihrem langjährigen Engagement haben Sie ein hohes Maß an Bürgerverantwortung und Gemeinsinn gezeigt, auf das wir alle angewiesen sind und das mich mit Stolz erfüllt.“
Brühl verliert nicht nur einen engagierten, sondern auch einen lieben Menschen. Wenn man Albert Fichtner unterwegs traf – egal, ob zu Fuß oder seinem geliebten Fahrrad – dann war immer Zeit für ein freundliches Schwätzchen. Und dabei erfuhr man dann immer wieder Interessantes „vun frieher und heit“, denn Fichtner war die wandelnde Brühler Enzyklopädie. Er wird den Menschen im Ort fehlen. „Goodbye, auf Wiederseh‘n“, so sangen es am Freitag die Kerweborscht traurig.
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