Im Interview

Brühls Bürgermeister Dr. Ralf Göck blickt auf 2023: „Entwicklung heißt nicht Wachstum“

Die Zeit zwischen den Jahren ist immer auch der Moment, an dem man innehält, Bilanz zieht und neue Ziele ins Auge fasst. Das, was im persönlichen Bereich zutrifft, gilt im Prinzip auch für Kommunen. Wir sprachen mit Bürgermeister Dr. Ralf Göck darüber, was das nächste Jahr bingen soll und bringen könnte.

Von 
Ralf Strauch
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© Michael Wiegand

Brühl. Was steht in der Gemeinde für das kommende Jahr an? In welche Richtung entwickelt sich die Kommune? Viele Menschen befürchten, dass das kommende Jahr kaum positive Nachrichten bringen wird. Laut einer neuen Umfrage schauen etwa zwei Drittel der Deutschen mit Angst auf die nächsten zwölf Monate. Dieser Wert ist höher als vor dem Jahreswechsel des Corona-Jahres 2020/2021. Ende 2023 werde Deutschland wirtschaftlich schlechter dastehen, glauben 81 Prozent der Befragten, zehn Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Wir fragten Bürgermeister Dr. Ralf Göck, was aus seiner Sicht in der Hufeisengemeinde im Jahr 2023 passieren wird.

Mit welchen Projekten werden 2023 die weiteren Weichen der Gemeindeentwicklung gestellt?

Dr. Ralf Göck: Ich denke, dass von den in jüngster Vergangenheit entstandenen beiden Wohnbaugebieten „Bäumelweg“ und „Schütte-Lanz“ und später auch von dem ehemaligen FVB-Sportplatz eine deutlich positive Entwicklung ausgeht, dass junge Familien aus der Region zuziehen. Dazu gehört die positive Entwicklung des von Bund und Land geförderten Kinderbildungszentrums rund um die direkt angrenzende Schillerschule. Auf der anderen Seite werden wir mit dem Seniorenwohnen am Schrankenbuckel die Angebote für die ältere Generation noch weiter steigern. Das sind spannende städtebauliche Entwicklungen, die neue Impulse setzen können. Und genauso spannend werden die 39 Wohnungen sein, die von der Stiftung Schönau in Holzbauweise in der Albert-Einstein-Straße entstehen und Ende des kommenden Jahres an den Markt gehen. Und auf den Spatenstich für die zwölf gemeindeeigenen Sozialwohnungen im Sommer freue ich mich ebenfalls.

© Michael Wiegand

Welche Projekte gibt es neben der Schaffung von Wohnraum?

Göck: Die geplanten Ladesäulen für die E-Mobilität an acht Stellen in Brühl und Rohrhof werden in den nächsten Monaten fertig. Sie gehören zum Thema Klimaschutz, das mit viel Bürgerbeteiligung in 2023 an Fahrt gewinnen soll. Die ersten Arbeitsgemeinschaften dazu treffen sich bereits regelmäßig. Weiterhin werden die raumlufttechnischen Anlagen in den Klassenzimmern und in den Betreuungseinrichtungen für Kinder fertig. Das sind Projekte, die bereits angegangen und jetzt abgeschlossen werden. Das gilt auch für die neue dreigruppige Kinderkrippe an der Schillerschule, die jetzt an den Start geht, und dann für den Ersatzneubau für den Sonnenschein-Hort mit seinen neun Millionen Kosten, wobei gut drei Millionen gefördert werden, das große Projekt der Zukunft. Das wird Brühl ein gutes Stück weit verändern, all das macht die Hufeisengemeinde für die Menschen weiter attraktiv.

Mit wie vielen Neubürgern rechnen Sie denn mit den baulichen Entwicklungen?

Göck: Ich denke schon, dass wir damit auf die 15 000 Einwohner zumarschieren. Aber wir werden diese Marke sicherlich nicht überschreiten, wie uns die Erfahrung im Schütte-Lanz-Wohngebiet und im Bäumelweg-Nord gezeigt hat. Dort sind nicht einmal 200 Neubürger zugezogen, alle anderen sind innerhalb der Gemeinde umgezogen. Wir haben uns also stabilisiert, gestiegen sind unsere Zahlen gar nicht so arg. Es ist demnach nur bedingt zutreffend, dass durch die Neubaugebiete immer mehr Leute nach Brühl kommen. Unsere gesamte Infrastruktur ist auf etwas über 14 000 Menschen ausgelegt. Deswegen ist mein Bestreben die Bevölkerung im Schnitt gleichzuhalten. Ich habe keine Ambitionen, diese Zahl weiter nach oben zu treiben.

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Führt das nicht zu hoher Fluktuation?

Göck: Ohne unser Zutun ist das leider inzwischen so. Das ist ein Problem für Gemeinden unserer Größenordnung. Das beste Beispiel ist unsere Freiwillige Feuerwehr. Sie macht eine vorbildliche Jugendarbeit und nimmt auch Erwachsene auf, wenn sie Interesse haben. Und doch bleibt die Zahl der Aktiven bei etwa 60. Da ist es so, dass die Fluktuation zunimmt.

Früher war jemand, der sich für den Dienst dort entschied, bis zur Altersmannschaft dabei. Diese Dauerhaftigkeit hat abgenommen. Das heißt, die Leute machen diesen Dienst ein paar wenige Jahre, fühlen sich auch wohl, doch irgendwann scheiden sie aus Familien-, Studien- oder Arbeitsgründen wieder aus. Man braucht also immer wieder neue Leute, um den guten derzeitigen Stand zu halten. Deshalb ist es nicht nur für die Feuerwehr so wichtig, Jugendarbeit zu machen und damit eine Nachwuchsförderung zu bieten.

Da werde jährlich fünf bis zehn Jugendliche in die aktive Wehr übernommen. Würden die – wie früher – dauerhaft bleiben, hätten wir eine enorm große Freiwillige Feuerwehr. Die Jugendarbeit hält unsere Feuerwehr konstant. An diesen einem Beispiel sieht man, wie volativ, also unstetig das Gemeindeleben ist. Da muss der verantwortliche Politiker schauen, dass er Rahmen setzt und Voraussetzungen schafft, dass die gesamte Situation auch weiterhin noch handhabbar bleibt. Wenn man ohne zu handeln nur zuschaut, wie sich irgendetwas entwickelt, dann ist das ein Rückschritt.

© Michael Wiegand

Aus Ihrer Sicht müssen also auch – wie die Feuerwehr – die örtlichen Vereine reagieren, um eine Zukunft zu haben?

Göck: Ja, es machen einige Verein vor. Diejenigen, die über ihre Jugendarbeit ihren Vereinszweck fortführen, werden bestehen können. Zwar beklagen manche Vereine, im Kinderbereich viele Aktive zu haben, doch werden diese dann später wegen anderer Interessen, Schule, Studium oder Beruf wieder abgehen. Das heißt aber nicht, dass man keine Nachwuchsarbeit machen solle. Ganz im Gegenteil: Es bleiben immer ein paar Aktive.

Und bei den anderen ist es oft so, dass sie nach Jahren plötzlich wieder das Interesse für den Verein entdecken, mitspielen, mitsingen oder sonstwie den „ihren“ Verein wiederum unterstützen, mit dem sie positive Erinnerungen aus der Jugendzeit verbinden. Doch um diese wieder zurückzugewinnen, wird entsprechende Öffentlichkeitsarbeit immer wichtiger, um Werbung für sich und sein Engagement zu machen. In den Kulturvereinen ist es weniger einfach wie in den Sportvereinen. Da neue Mitglieder zu finden ist wirklich schwierig. Da geht vieles über Freundesbeziehungen aktuell und aus vorhergehenden Jahren, die plötzlich wieder Bindungen schaffen.

Da finde ich auch toll, wenn sich regelmäßig die Jahrgänge treffen, da kann man sich austauschen und über persönliche Kontakte womöglich neue, alte Interessengebiete finden. Es ist also ganz wichtig, eine gemeinsame Identität zu stiften – für alle Generationen.

Dennoch heißt das letztlich Fluktuation – sind da nicht örtliche Gepflogenheiten und überliefertes Brauchtum gefährdet?

Göck: Ja. Unsere Traditionen, unser Brauchtum sind gefährdet. Da gilt es auch für uns als Verwaltung und Gemeinderat – wie natürlich auch in den Vereinen – die Einwohner mit einzubeziehen. Das ehrenamtliche Engagement muss verstärkt positiv besetzt werden. Ein positives Beispiel sind die „Rohrhöfer Göggel“ – da kann man nur den Hut ziehen, denn sie beteiligen sich an den Straßenfesten unter anderem mit der Arbeit am Geschirrmobil, sie haben ihre Brauchtumsveranstaltungen rund um die fünfte Jahreszeit, zudem den Sommertagszug, in Kürze den Nachtumuzug. Und obendrauf gibt es noch die Wünschebaumaktion – Chapeau! Solche Aktionen schaffen Verbundenheit im Verein, aber auch unter den Besuchern. Im Grunde entsteht so Identifikation mit der Gemeinde.

Sind bei dem Kommen und Gehen Traditionen nicht auch gefährdet?

Göck:Ja, genau so ist es. Und deshalb müssen wir – sowohl die Gemeinde, als auch die Vereine, die in diesem Bereich seit vielen Jahren aktiv sind, in diesen Aktionsfeld besonders aufmerksam sein. Wir müssen zusammen immer wieder Ideen entwickeln, die Menschen einzubeziehen, das Ganze positiv, vorbildlich zu besetzen. Was bisher in einigen Vereinen läuft, ist also wirklich schon toll.

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Was macht das Besondere die Vereine aus?

Göck: Wer lange dabei ist kann beobachten wie aus ehemals neuen, „wilden“ Vereinen inzwischen die alteingesessenen geworden sind und wie aus alteingesessenen auch wieder Vereine mit neuen Ideen und Abteilungen geworden sind. Es geht wohl darum, den Übergang der jeweiligen Generationen zu bewältigen. Und da wird es interessant, ob die Gruppen einen Generationswechsel hinbekommen oder nicht. Ein gutes Zeichen ist, dass mehrere Vereine trotz der Kälte am dritten Advent an unserem Weihnachtsmarkt an der Villa Meixner teilgenommen haben.

Wie schaut es beim aktuellen Thema Flüchtlinge aus?

Göck:Die Zahl der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer ist aktuell zurückgegangen gegenüber 2015. Allerdings sorgte die Ukraine-Thematik zwischenzeitlich wieder für ein besonderes Engagement. Es gab Sachspenden und viele Beherbergungsangebote. Aber nach einem Jahr geht die ,Beherbergungsmotivation’ im Ort zurück. Wir finden wenige neue Wohnungen.

© Michael Wiegand

Wie wieviele Flüchtlinge leben derzeit aktuell in Brühl?

Göck: Wir betreuen aus dem Rathaus etwa 200 Flüchtlinge in Brühl und Rohrhof, davon sind 90 aus der Ukraine. Wieviele genau aus diesem Land im kommenden Jahr zusätzlich erwartet werden, ist unklar. Laut Landratsamt müssten wohl 130 Personen hier untergebracht werden. Das schaffen wir nicht mehr mit einzelnen Wohnungen. Hier werden wir wohl über kurz oder lang mit Containern arbeiten müssen.

Sie sind 2023 länger im Amt als jeder andere Bürgermeister vor Ihnen – was bedeutet Ihnen das?

Göck: Das bedeutet mir natürlich sehr viel. Ich bin ein Brühler und fühle mich meiner Heimatgemeinde eng verbunden. Und deshalb bin ich stolz darauf, dass mich die Menschen bei den verschiedenen Wahlgängen hier immer wieder gewählt haben – auch gegen andere Kandidaten. Diese Aufgabe sehe ich auch als mein Lebenswerk an.

Redaktion

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