Brühl. Die Sache ist emotional aufgeladen. Vor wenigen Jahren war die Tiefengeothermie noch Hoffnungsträger in Sachen nachhaltiger Energieversorgung. Heute ist sie bei nicht wenigen Menschen eher eine Risikotechnik. Einst stand sie für Hoffnung, heute eher für Angst. Und die Politiker wandelten sich von begeisterten Befürwortern zu vorsichtigen Strategen. Die Gründe dafür sind simpel und hoch kompliziert zugleich. Es geht um tatsächliche Risiken, die Wahrnehmung und die Akzeptanz eben dieser Risiken, um gesellschaftliche Notwendigkeiten und Chancen und es geht um Gerechtigkeit, Ansprüche und Zeitgeist.
Die technischen und physikalischen Eckdaten der Geothermie sind schnell erzählt. In der Erde steckt enorm viel Wärme. Rund 99 Prozent der Erde ist heißer als 1000 Grad und von dem verbleibenden Prozent sind wieder 99 Prozent heißer als 100 Grad. Stefan Exner und seine Wissenschaftskollegen vom Bochumer Internationalen Geothermie-Zentrum gehen davon aus, dass mit der Wärmeenergie der oberen 3000 Meter rein rechnerisch der Weltenergiebedarf für 100 000 Jahre komplett gedeckt werden könnte.
Und das annähernd ohne Kohlendioxyd (CO2) zu verursachen, allzu viel Platz zu benötigen und, für die verlässliche Energieversorgung besonders wichtig, grundlastfähig. Und so lag der Schluss gar nicht weit, dass man die Lösung der Energiefrage in den Händen hielt. Nachhaltig, umweltverträglich, unerschöpflich und grundlastfähig. Doch weit gefehlt. Denn jede Lösung, gerade eine technische, birgt auch immer Risiken. Bei der Geothermie dreht es sich dabei vor allem um die Gefahr seismischer Ereignisse, sprich Erdbeben, oder anderer Bodenereignisse, wie Absenkungen oder Hebungen.
Die wiederum Häuser und Straßen in Mitleidenschaft ziehen können, womit das Problem mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz virulent wird. Fast schon exemplarisch verlief dieser Prozess in der Gemeinde Brühl. Im Jahr 2008 nahm die Geschichte des Brühler Geothermie-Projekts ihren Anfang. Damals war der überwiegende Teil des Gemeinderats für das nachhaltige Energieversorgungsprojekt und so wurde dem Unternehmen GeoEnergy ein Gelände verpachtet, auf dem ein Geothermie-Kraftwerk verwirklicht werden sollte. Dabei ging es rund 3800 Meter tief, wo GeoEnergy 160 Grad heißes Wasser vermutete. Damit wäre eine Jahresleistung von fünf bis sechs Megawatt möglich. „Das langt für rund 10 000 Haushalte“, so Dr. Ulrich Lotz, damals verantwortlicher Ingenieur von GeoEnergy.
Von der Bevölkerung blieb dieser Beschluss damals weitestgehend unbeachtet oder wurde als nachhaltig begrüßt. Doch diese Zeiten sind vorbei. Denn seitdem hat sich die Stimmung annähernd ins Gegenteil verkehrt. Die Schlüsselwörter für diese Verkehrung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Geothermie sind Landau (Pfalz), Kleinhüningen (bei Basel), Potzham/ Unterhaching (bei München) und Staufen (Breisgau). Eine fatale Ereigniskette, die die Mehrheitsverhältnisse im Brühler Gemeinderat auf den Kopf stellte und die Menschen auf die Barrikaden trieb.
Kleinere Erdbeben
Für die einen eine Kette von Beweisen, die belegt, dass Geothermie gefährliche, nicht beherrschbare Risiken mit sich bringe, und für die anderen eine Reihe sehr unterschiedlicher Ereignisse, die eine Lernkurve beschreibt. Die ersten drei stehen für seismische Ereignisse (kleinere Erdbeben) von 1,7 bis 3,4 auf der Richterskala und letzteres für eine Hebung des Bodens, die in Staufen 200 Gebäude erheblich beschädigte. Unterschiedliche Fälle mit ganz eigener Geschichte und aus Sicht der Wissenschaft nicht dazu geeignet, die Geothermie in Gänze zu verteufeln. In Staufen führte eine Oberflächenbohrung (bis 400 Meter) durch eine Anhydrit-Schicht, die in der Folge mit Wasser in Berührung kam, zu dem dramatischen Bodenereignis.
Der Boden quoll auf und die darauf befindlichen Häuser erlitten teilweise massive Schäden. Insgesamt sind solche Ereignisse aber höchst selten. In Deutschland werden jährlich mehrere zehntausend Wärmepumpen (Oberflächen-Geothermie) installiert und zwar ohne jegliche Folgen. Darüber hinaus können Probleme wie in Staufen nur bei der Oberflächen-Geothermie auftreten. Ab einer bestimmten Tiefe mit entsprechenden Druck- und Temperaturverhältnissen ist dieses Phänomen physikalisch unmöglich.
Seismische Ereignisse sind in Brühl mit dem geplanten Tiefengeo-thermie-Kraftwerk dagegen durchaus vorstellbar. Bei der Tiefengeothermie werden zwei Verfahren unterschieden. Bei einem ist heißes Wasser im Untergrund vorhanden. Dieses wird hochgepumpt, mittels eines Wärmetauschers genutzt und dann wieder in den Boden verpresst. Bei dem anderen Verfahren findet sich kein heißes Wasser im Untergrund. Um die Hitze in der Tiefe nutzen zu können, muss das heiße Gestein aufgebrochen werden. Dafür wird Wasser mit enormem Druck verpresst. Dabei entstehen kleine Risse, durch die dann Wasser zirkuliert und sich aufheizt.
Das aufgeheizte Wasser wird wieder an die Oberfläche geholt, mittels Wärmetauscher genutzt und anschließend erneut verpresst. Dieses letzte Verfahren ist das riskantere Verfahren. Problematisch ist stets das Verpressen des Wassers mit viel Druck. Und niemand scheint ernsthaft bestreiten zu wollen, dass es da noch offene Fragen gibt. Die Risiken sind da, auch wenn die Forscher im Internationalen Geothermie-Zentrum diese für überschaubar und, mit wachsenden Erkenntnissen, auch beherrschbar halten. So werden beispielsweise mit Sensoren geringste Gesteinsverschiebungen frühzeitig registriert, sodass der Druck, mit dem das Wasser verpresst wird, rechtzeitig reduziert werden kann.
Weltweit stellt die Tiefengeothermie einen zunehmend ernst zu nehmenden Faktor in Sachen Energieversorgung dar. Die größten geothermischen Stromproduzenten sind neben den USA, Philippinen, Indonesien, Italien, Kenia und Island. In Island mit seinen knapp 300 000 Einwohnern bedeutet das, dass mehr als 70 Prozent des produzierten Stroms und 90 Prozent der Heizwärme aus der Erde kommen.
Im Rahmen der Risiken findet man sich übrigens recht schnell in einem Gerechtigkeitsdiskurs wieder. Bisher trugen in Sachen Energieproduktion nämlich meist andere die Risiken. Bei Erdöl oder Erdgas die Menschen der jeweiligen Länder und bei Kohle, auf Deutschland bezogen, die Menschen im Ruhrpott, die bis heute sowohl mit kleineren Erdbeben als auch mit sogenannten Tagesbrüchen leben müssen.
Dabei entstehen gewaltige Krater, die ganze Häuserzeilen oder Straßen mit in den Abgrund reißen. Etwas spitz formuliert könnte man nun den Standpunkt einnehmen, dass die Geothermie gerechtigkeitstheoretisch einen Fortschritt bedeutet. Denn die Risiken der Energiegewinnung werden mit Geothermie näher zu dem gebracht, der davon profitiert. Nutzen und Risiko rücken enger zusammen, womit eine Gerechtigkeitslücke geschlossen wird. Aus der Perspektive einer anständigen Gesellschaft wäre es jedenfalls fragwürdig, dass der Strom- und Wärmeverbrauch der Deutschen jedes Jahr steigt, die Risiken dieses Verbrauchs jedoch weiter konsequent externalisiert werden.
Welt wird immer elektrischer
Aktuell verbraucht Deutschland rund 550 Terrawattstunden Strom. Knapp die Hälfte davon regenerativ. Bis 2030 wird mit einem Stromverbrauch von über 700 Terrawattstunden gerechnet und bis 2050 sogar mit bis zu 1000 Terrawattstunden. Die Welt wird von Wärmepumpen über Elektroautos bis zum stetig mehr Daten verarbeitenden Internet immer elektrischer. Die Dimension ist gewaltig. Bei 1000 Terrawatt müsste der Ertrag aus regenerativen Energiequellen im Vergleich zu heute vervierfacht werden. Alles andere würde in den zivilisatorischen Kollaps führen. Und vom Wärmebedarf wurde noch gar nicht gesprochen.
Erstmals, so die amerikanische Ozean- und Atmosphärenforschungsbehörde (Noaa), stieg die CO2-Konzentration in der Luft auf über 420 Teile pro Millionen Teile Luft. Ein Wert, der in den vergangenen 650 000 Jahren niemals erreicht wurde und ein dramatisches klimatisches Warnsignal darstellt.
Ein magisches Vieleck
Die Strom- und Wärmeversorgung muss regenerativ werden und sicher gelingt das nur mit grundlastfähiger Energie. Denn in den Versorgungsnetzen müsse stets ein Gleichgewicht zwischen Abnehmern und Einspeisern bestehen. Das Ganze gleicht einem magischen Vieleck, das alle Menschen vor schwierige und auch unangenehme Fragen stellt. Und um es klar zu sagen. Zur Zufriedenheit aller lässt es sich wahrscheinlich nicht auflösen. Auch die Geothermie ist nicht die allein glückselig machende Technologie.
Doch es scheint in weiten Teilen der Wissenschaft unumstritten zu sein, dass Geothermie eine Rolle spielen muss. Für Rolf Bracke, Professor für Geothermie und Umwelttechnik an der Hochschule Bochum, ist es eine einfache Rechnung. „Wenn wir aus Kohle- und Kernkraft aussteigen, unseren gewohnten Lebensstil aber beibehalten wollen, müssen wir auch die Geothermie ausbauen.“
Es ist ein Dilemma. Das Recht auf Sicherheit und Unversehrtheit versus nachhaltige Energieversorgung im anbrechenden postfossilen Zeitalter. Jedes Handeln und auch Nichthandeln birgt gleichermaßen Risiken, es gibt keine einfache Lösung. Sicher ist gleichwohl nur, ein Scheitern der Energiewende mit exponentielle steigenden CO2-Emissionen wäre die schlechteste aller Lösungen.
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