Brühl. Da wird einem allein beim Zuschauen schwindelig: Die Skispitzen ragen über die Kante. Rundherum schneebedeckte Gipfel – eine Traumkulisse! Vor einem fällt der Blick ins Nichts. Es geht senkrecht nach unten. Kilometertief. Eine schmale schneebedeckte Wanne, rechts und links schroffe Felswände, mittendrin ragt Gestein heraus. Die Ski fahren los – in die Steilwand . . .
Es ist nur einer dieser Momente, in denen Zuhörer die Luft anhalten, paralysiert auf die Leinwand in der Brühler Festhalle starren und verfolgen, wie ein Mann in knallfarbenem Skianzug Geschichte schreibt. Hans Kammerlander hat viele Talente. Eines davon ist, Menschen in seinen Bann zu ziehen, sie an Orte mitzunehmen, die sie so vermutlich nie zu sehen bekommen. Und das gelingt dem 64-jährigen Südtiroler mit gewaltigen Aufnahmen, die teils aus der Vogelperspektive mit Hilfe von Helikoptern und Drohnen umgesetzt wurden, gepaart mit bildreichen Beschreibungen und unterlegt von mitreißender Musik – mal epochal, mal landestypisch leicht – wie in einem großen Hollywood-Film. Wie viel Arbeit in einem solchen Vortrag wie „Ski extrem – von den Polen zum höchsten Punkt der Erde“ steckt, lässt sich erahnen. Denn hier wurde nichts dem Zufall überlassen.
Das Intro mit dem „Flug“ über die aus den Wolken ragenden Dolomiten zur sich steigernden Ouvertüre „La Traviata“ lässt das Herz von Bergfans hämmern, dazu die beschreibenden Worte von Sprecher Otto Clemens im Film, die zusätzlich Bilder im Kopf erzeugen. Er ist ein Wechselspiel zwischen seiner Stimme und Hans Kammerlanders Liveerzählungen, die er auf seine lockere Art mit persönlichen Anekdoten, humorvollen Einschüben, jedoch auch nachdenklich machenden Sätzen spickt. Der Höhenbergsteiger lässt das Publikum spüren, wie viel es ihm bedeutet, selbst wenn dieses Mal „nur“ um die 130 Menschen vor ihm sitzen. Doch genau sie werden trotz 2G und Maskenpflicht am Platz – alles streng vom achtköpfigen Team um Organisator und Südtirol-Liebhaber Jochen Ungerer kontrolliert – für zwei Stunden Corona vergessen und Bergluft zumindest spüren können.
Ein Mann mit vielen Facetten
Der Vortrag ist speziell. Es ist nicht nur eine Reise zu den höchsten Bergen der Welt mit all ihren Schönheiten und Gefahren, sondern vor allem eine in den Schnee, den Skitourismus und das Skifahren. Kammerlander erzählt von der Geschichte des Skis, die bis zu 8500 Jahre zurückreicht. Dass der Mensch mal zwei Stück gespaltenes Holz auf einen Berg hochschleppt, um dann runterzufahren, hätte damals keiner im Nordwesten Russlands gedacht, wo die ältesten Skifunde gelistet wurden.
Die meisten extremen Skifahrer sind selten extreme Höhenbergsteiger– und umgekehrt. Hans Kammerlander ist einer der ganz wenigen Alpinisten der Welt, der beides kann und dem es gelungen ist, beide Leidenschaften miteinander zu verbinden. Das unterscheidet den ehemaligen Skirennfahrer von seinem Landsmann und Wegbegleiter Reinhold Messner, mit dem er seine ersten großen Expeditionen unternahm. Doch die Ski trennten schließlich die Ausnahmealpinisten.
Legendär ist der 24. Mai 1996 – ein Kernpunkt des Vortrags: Bei fast 30 Grad unter Null stapfte Kammerlander mit Steigeisen an den Skischuhen in der Rekordzeit von 16 Stunden und 40 Minuten auf den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest (8848 Meter), ohne Biwak, ohne Verpflegung, mit einem Liter Tee und Spezialski. Dann stand er da, ganz oben, die Krümmung der Erde am Horizont erkennend, fast 4000 Meter über dem Basislager, unter ihm die beeindruckend steile Nordwand. Die Kräfte waren erheblich geschwunden, der Kopf sagte nein, der Bauch ja: rutschen und springen auf Ski, plagen sechs Stunden lang. Dann war er wieder unten. „Ich war der glücklichste Mensch im Basislager, aber auch der müdeste“, so Kammerlander, dazu gibt’s atemberaubende Bewegtbilder und Fotografien.
Dieser Mann hat Unmenschliches geschafft. Jene im Publikum, die selbst Skifahren, wie Peter Pludra aus Brühl, können sich nur ansatzweise vorstellen, welche Überwindung das Losfahren gekostet haben muss, wie die Oberschenkel gebrannt haben und welche Angst, Lawinen auszulösen oder zu fallen vor Schwäche, mitfuhr. Denn das hätte den Tod bedeutet. „Mir hat imponiert, dass Hans Kammerlander sein Innerestes nach außen kehrt und durchaus mal Vorhaben abgebrochen hat, weil er sich dazu mental und körperlich nicht in der Lage fühlte“, so Karin Pludra, die selbst nicht Ski fährt, den Vortrag jedoch beeindruckend fand.
Immer wieder sorgte Kammerlander für Lacher: Als Kind auf einem Bergbauernhof in Südtirol aufgewachsen, musste er Holz und Heu im Winter mit dem Schlitten transportieren. Dann geht er in die Antarktis und zieht tagelang einen schweren Schlitten hinter sich her: „Erst die Schinderei auf dem Bauernhof, nun bin ich so deppert und ziehe dort den Schlitten hinter mir her.“
Hans Kammerlander hat so viele Facetten. Den Wettlauf auf die Berge hat er beendet. Er geht heute nach wie vor Klettern und Bergsteigen, vielmals mit Touristen, und natürlich Skifahren im schönen Tauferer Ahrntal. Ein paar Gipfel und Abfahrten hat er noch im Blick. Wichtig sind und bleiben ihm Projekte wie die Nepalhilfe. Für die Kinder in Nepal hat er mittlerweile dank Unterstützern und Spenden, die auch in Brühl flossen, 26 Schulen und drei Kinderheime aufgebaut. Das zeigt er auch Vortrag mit herzerwärmenden Bildern. Im Dezember fliegt er wieder in das Land und freut sich darauf. Und obwohl er ein Mann der Berge ist, verurteilt er das Verhalten seinesgleichen dort: Der Müll, gerade auch auf den Achttausendern, sei unsäglich. Was bleibt von diesem Abend sind gewaltige Bilder und die Erkenntnis, dass dieser Mann etwas Außergewöhnliches geleistet hat. Die Vorfreude auf seinen nächsten Besuch in der Kurpfalz ist jedenfalls schon jetzt gegeben.
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- Termine, Bücher und Reisen von und mit Hans Kammerlander unter www.kammerlander.com.
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