Brühl. So mancher schaute etwas irritiert, als er erfuhr, dass der Taschenpolder auf der Kollerinsel am Wochenende beinahe wegen des aktuellen Hochwassers geflutet worden wäre – übrigens erstmals seit das Bollwerk gegen eine Extremflut gebaut worden ist (wir berichteten). Und auch diejenigen, die sich schon einmal darüber informiert haben, was solch ein Taschenpolder leisten soll, sind überrascht, dass die rheinland-pfälzische Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd darüber entscheidet, wann sich die Wassermassen auf die Insel ergießen, die ja immerhin Brühler Gemarkung und damit Teil Baden-Württembergs ist.
Historischer Hochwasserschutz und moderne Flutungsstrategie
Wenn man das Rad der Zeit zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückdreht, erkennt man, dass der Oberrhein bei Brühl damals noch ein Wildstrom war, der bei jedem größeren Hochwasser sein Bett verlagerte. Die Rheinniederung war für den Menschen durch die wiederkehrenden Überflutungen und hohen Grundwasserstände nur sehr eingeschränkt nutzbar. Auch wenn große Teile des Ortsetters auf dem Hochgestade des Flusses liegen, muss man gar nicht so weit in die Vergangenheit reisen, um sich an die überschwemmte Neugasse oder Mühlenstraße zu erinnern.
Um die aus Sicht der Anrainer vorhandenen Missstände zu beseitigen, wurde in der Zeit ab 1817 die Rheinkorrektion nach den Plänen des badischen Ingenieurs Johann Gottfried Tulla durchgeführt – 1833 kam diese Wanderbaustelle in der Gemeinde Brühl an und durchschnitt deren Gemarkung. Die rund 400 Hektar große Kollerinsel als ehemalige Rheinschlinge entstand – aber eigentlich ist sie eine Halbinsel, denn von Otterstadt kann man normal trockenen Fußes auf sie gelangen.
Ringdeich diente als Hochwasserschutz für die Kollerinsel
Dennoch: Durch den Rheindurchstich wurde die heutige Kollerinsel linksrheinisch, blieb aber – auch wenn sie zeitweise sogar bayerisch war – letztlich badisch. Sie ist heute einer der beiden linksrheinischen Landesteile Baden-Württembergs.
Der etwa sechs Kilometer lange Ringdeich, der die Kollerinsel umgibt, diente damals noch dem Hochwasserschutz der Halbinsel, damit die Landwirtschaft und die wenigen Brühler Einwohner dort bei hohen Pegelständen nicht landunter melden mussten.
Doch konnten Hochwasserschäden nicht vollständig verhindert werden. Beispielsweise wurden beim Pfingsthochwasser 1999 rund 58 Prozent der Fläche des linksrheinischen Gemarkungsteils durch Sicker- und Druckwasser überschwemmt, was umfangreiche Ernteschäden zur Folge hatte.
Integriertes Rheinprogramm: Wandelbare Deichfunktionen
Inzwischen allerdings hat der Deich seine Funktion komplett gewandelt, so wird er heute dazu benutzt, bei einem Jahrhunderthochwasser die stromabwärts liegenden Städte und Gemeinden wie Mannheim, Ludwigshafen und Worms vor einer Überflutung zu schützen. Dieses Ziel wird erreicht, indem die Kollerinsel wie ein Bassin mit dem Hochwasser geflutet werden soll, um flussabwärts die Pegelstände um wichtige Zentimeter abzusenken.
Zwischen 2000 und 2004 wurde auf der Kollerinsel dazu einer der Polder des Integrierten Rheinprogramms gebaut. Damit soll am Oberrhein der Schutz vor einem 200-jährlichen Hochwasser wiederhergestellt werden, der durch die Installation von Staustufen am südlichen Oberrhein und die Eindeichung der entsprechenden Flussauen verloren gegangen ist.
Hochwasserschutz rund um Brühl: 12,3 Millionen Euro investiert
Aber nicht Baden-Württemberg hatte Probleme, entsprechende Flächen zu schaffen, sondern das Land Rheinland-Pfalz, das dafür immerhin 12,3 Millionen Euro in Brühl investierte. So wurde vertraglich vereinbart, dass die Betreiberin des gesteuerten Kollerpolders in Rheinland-Pfalz sitzt. Im Zuge der Baumaßnahmen entstand ein Ein- und Auslassbauwerk mit zwei Fischbauchklappen am Rhein etwas unterhalb des Fähranlegers. Zudem wurden die zwei vorhandenen Schließen, die das Grabensystem der Kollerinsel mit dem Rhein verbinden, um eine dritte ergänzt. Im Retentionsraum innerhalb des Ringdeichs können inzwischen somit auf einer Fläche von 232 Hektar bis zu 6,1 Millionen Kubikmeter Wasser zurückgehalten werden.
Ursprünglich wurde damit gerechnet, dass der Brühler Polder im langjährigen Mittel ungefähr alle 20 Jahre geflutet werden muss. Bisher ist diese Situation aber noch nicht eingetreten. Am Wochenende war es aber kurz davor. Über das 35 Meter breite Bauwerk im Deich am Hauptstrom sollte demnach das Innere der Insel geflutet und so der Hochwasserscheitel verringert werden – wenn bei Worms die Pegelstände und Wassermassen das erfordern würden.
Koordinierte Hochwasserabwehr zwischen Bundesländern
Das Land Rheinland-Pfalz bereitete am Samstag also in Absprache mit den Stellen in Baden-Württemberg einen möglichen Einsatz der gesteuerten Polderflutung am Rhein in Brühl vor. „Maßgebendes Kriterium ist die wahrscheinliche Überschreitung eines Wasserstandes in der Größenordnung von rund 7,50 Meter am Pegel Worms“, teilte die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd am späten Samstagnachmittag mit.
Die Öffnung der Kollerinsel hätte flussabwärts zu einer Absenkung der Flutwelle geführt und insbesondere im Bereich der Neckarmündung die Gefahr einer Überlagerung der Wellenscheitel von Rhein und Neckar reduziert. Allerdings wurde dann kurzfristig wieder Entwarnung gegeben, weil die vorgegebenen Werte in Worms nicht erreicht wurden.
Notfallvorbereitungen für Polderflutungen
Neben dem notwendigen Bemessungsabfluss in Worms gibt es weitere Kriterienkombinationen für die maßgeblichen Pegel an Rhein und Neckar, die einen Poldereinsatz erforderlich machen können. Wären die Voraussetzungen erfüllt worden, wäre zunächst die Flutung des Polders Wörth/Jockgrim erfolgt. Danach wäre mit zeitlichem Abstand die Kollerinsel geflutet worden.
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Auf der Kollerinsel liefen bereits Vorbereitungen, falls man den Rückhalteraum mit Rheinwasser volllaufen gelassen würde. Der Betreiber des Pferdehofs auf der Kollerinsel und des Inselcampings – beide Bereich liegen jeweils auf einer höher gelegen Warft – wurden entsprechend informiert. Gäste sollen sich darauf einrichten, die Halbinsel bei einer Flutung des Polders zu verlassen.
Danach wäre in den kommenden Wochen zur Restwasserentleerung nach dem Einsatz des Polders dann das Schlutensystem innerhalb des Ringdeichs reaktiviert worden.
Doch letztlich wurden die vorgegebenen Werte in Worms nicht erreicht. Das Land Rheinland-Pfalz nahm deshalb doch Abstand vom Einsatz der gesteuerten Flutung der Polder. Die erstmalige Öffnung der Kollerinsel – sie firmiert in der Pfalz übrigens unter Otterstadt – wurde wieder von der Behörde abgesagt. Zumindest diesmal.
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