Brühl. „Wie funktioniert eigentlich das Schuheanziehen als Rollstuhlfahrer?“ Diese und ähnliche Fragen liegen neugierigen Kindern auf der Zunge, wenn sie auf Personen im Rollstuhl treffen. Während die Hemmschwelle bei Erwachsenen oft größer ist, reden die Jüngeren meistens einfach darauf los.
Ganz im Zeichen der Inklusion veranstaltete das Gesundheitsforum gemeinsam mit dem Netzwerk Brühl einen Programmpunkt im Ferienprogramm für Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren. Rudi Bamberger, Behindertenbeauftragter der Gemeinde und Initiator der Veranstaltung, bezeichnet den Ort in dieser Hinsicht als ein Vorbild: „Wir bieten dieses Ferienprogramm schon seit etlichen Jahren an und bekommen bereits Anfragen von anderen Gemeinden, wie das Ganze abläuft.“ Auch in anderen Bereichen, wie beispielsweise dem barrierefreien Schwimmbad, sei Brühl im Rhein-Neckar-Kreis ein Vorreiter, während Deutschland selbst in Sachen Inklusion noch weit zurück liege. Vieles werde beim Bau einfach vergessen, obwohl die Technik bereits weitaus mehr Lösungswege biete, so Bamberger.
Handicaps selbst erfahren
Auf spielerische Art und Weise sollten die teilnehmenden Kinder verschiedene Handicaps kennenlernen. In drei Gruppen wechseln die die Jungen und Mädchen zwischen den Stationen Rollstuhl, Sehbehinderung und Hör- beziehungsweise Sprachbehinderung. So begann der Morgen bereits mit einer Begrüßung in Gebärdensprache. An einer Station lernten die Kinder das Alphabet der deutschen Gebärdensprache kennen und probierten außerdem die Blindenschrift aus. Beim Gebärdenalphabet sind sich alle einig: „Das M ist definitiv am schwierigsten!“ Dennoch sei es toll, seinen Namen mit Zeichen sagen zu können, um beim nächsten Mal auch mit einer Person mit eingeschränkter Hörfähigkeit zu kommunizieren.
Die zweite Station beinhaltet nicht nur das Gehen am Blindenstock mit 100-prozentiger Sehbehinderung, sondern auch das Ertasten sowie das Rumlaufen mit einer Sehbehinderung wie dem Grünen Starr oder einem reduziertem Sichtfeld.
„Hoppla, jetzt hätte ich mich beinahe neben den Stuhl gesetzt,“ ruft es bei dieser Übung nicht nur einmal. Die Kinder haben an den Stationen nicht nur Spaß, sondern lernen auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen der körperlichen Einschränkungen kennen. Die zahlreichen Helfer versuchen mit bestem Wissen die Fragen der Kinder zu beantworten.
„Mit dem Rollstuhlfahren macht einfach Spaß,“ findet Lea. Sie ist schon zum zweiten Mal dabei und kennt deshalb die Schwierigkeiten beim Türöffnen oder Wassertransportieren als Rollstuhlfahrer. Durch dieses Bewusstsein können Kinder im Alltag einfacher zum Helfer von Betroffenen werden. „Kinderrollstühle zu bekommen ist gar nicht so einfach,“ berichtet Bamberger: „Sunrise Medical“ aus Malsch hat uns die Rollstühle verliehen.“
Sichtbarkeit steigern
Martin Köhl, der Behindertenbeauftragte aus Schwetzingen, war ebenfalls zu Besuch beim Ferienprogramm. „Grundsätzlich ist jede Sensibilisierungsmaßnahme eine gute Maßnahme,“ versichert er. Die Voraussetzung für solche Projekte sei natürlich immer das Vorhandensein barrierefreier Räumlichkeiten. Köhl hofft, ein solches Programm auch bald in Schwetzingen anbieten zu können: „Ich würde vielleicht noch mehr Open air machen, sodass die Sichtbarkeit gesteigert wird.“
Außerdem könne man den Effekt vielleicht noch steigern, wenn mehr Betroffene vor Ort wären. „Selbst betroffene Kinder sind herzlich willkommen,“ erklärt die Helferin Elke Rinderknecht.
Von Seiten der Veranstalter waren ausschließlich Personen mit Mobilitätseinschränkung anwesend, was bereits einen großen Einfluss auf das Geschehen und den Lerneffekt des Ferienprogramms hat. „Letztendlich kann niemand so gut über die jeweilige Einschränkung berichten, wie ein Betroffener selbst,“ so Köhl. „Je früher die Kinder spielerisch lernen auch mit heikleren Themen wie dem Essen umzugehen, desto geringer ist die Scham und die Hemmschwelle, wenn tatsächlich mal jemand Hilfe dabei braucht,“ findet er.
So sind sich die teilnehmenden Kinder alle einig: „Natürlich würden wir Leuten mit Behinderung helfen!“
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