Brühl. Hinter den Akteuren hängt eine Grafik. Sie sieht aus wie ein farbiges Röntgenbild. Das ist es irgendwie auch. Denn es zeigt Deutschland bei Nacht. Und was ist das Ergebnis? Neben dem Ruhrgebiet ist die Metropolregion Rhein-Neckar die nachthellste Ecke im Bundesgebiet. „Ich hab ja schon immer gewusst, dass hier die hellsten Köpfe leben“, flüstert ein Teilnehmer. Doch so lustig ist Befund gar nicht, wie Daniel Raddatz darlegt.
Denn viel Licht in der Nacht, so weiß der Leiter des Referates Naturschutz und Landschaftspflege beim Regierungspräsidium, zerstört den Lebensraum von Insekten. „Es verschiebt das ökologische Gleichgewicht“, bringt er es auf den Punkt.
Backofen-Riedwiesen in Brühl sind einer von drei Standorten
Seine Behörde hat daher mit vier Millionen Euro Landesmitteln ein professionell-wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt für insektenfreundliche Beleuchtung aufgelegt. Einer der drei Versuchsstandorte im Regierungsbezirk ist neben Karlsruhe und Freudenstadt das Naturschutzgebiet Backofen-Riedwiesen in Brühl. Welche Bedeutung das Projekt hat, zeigt die Tatsache, dass Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder zur Präsentation in die Hufeisengemeinde gekommen ist.
Künstliche Lichtquellen sind seit Jahrhunderten ein wichtiger Bestandteil des Alltages. Sie böten Sicherheit im Dunklen, verströmten Behaglichkeit und dienten zunehmend auch der optischen Verschönerung von Gebäuden und Plätzen.
Die Kehrseite dessen sei, dass sich durch Einführung der Straßenbeleuchtung im 19. Jahrhundert die Zahl der Lichtquellen dramatisch gesteigert habe. In einer durchschnittlichen Großstadt sei die Zahl der Straßenlaternen heute um mehr als das Fünfzigfache höher als in den 1960er Jahren. In Deutschland werde es einfach nicht mehr richtig dunkel – ein Umstand, den nicht nur Hobby-Astronomen beklagen.
„Licht ist ein Umweltfaktor, dem wir uns erst seit Kurzem zugewandt haben“, bekennt der Fachmann. Denn jährlich nehme die nächtliche Lichtintensität um sechs Prozent zu. Doch zu viel Licht schade: „Wir sprechen daher auch von Lichtverschmutzung.“ Und die bringe die Natur durcheinander: Für nachtaktive Fledermäuse etwa werde das Leben zur Qual, weil es zu hell sei.
Wirrwarr aus Tag und Nacht
Andererseits wiederum heiße es bei den forschenden Gruppen, dass plötzlich tagaktive Vögel nunmehr sehr deutlich früher zu singen beginnen. „In der Nacht zu singen, ist ein Faktor. Ganz schlimm erwische es die Insekten: Die kreuzen um das Licht und sterben vor Erschöpfung oder verbrennen an der Wärme.“ Forscher der Universität Mainz haben berechnet, dass in Deutschland pro Tag bis zu einer Milliarde nachtaktiver Insekten an Straßenlaternen verenden.
Ein wirklich wichtiges Thema
Damit werde ein wichtiger Teil des Ökosystems gestört: „Insekten erbringen wertvolle Leistungen“, erläutert der Experte. Diese Probleme reichen vom Bestäuben der Pflanzen bis zum Abbau organischer Substanzen. „Auch für die Sauberkeit von Gewässern haben sie eine wichtige Funktion.“
Es herrsche also Handlungsbedarf. Ansatzpunkt sind die Leuchten: „Sie wirken bisher wie ein Staubsauger.“ Denn sie sind falsch konstruiert. Zum einen durch die Art ihres Lichtes kaltweißes Licht zieht Insekten besonders an, zum anderen durch ihre Ausrichtung.
„Die alten Lampen leuchten waagerecht und manchmal kilometerweit bis in die Bäume hinein“, berichtet Raddatz der Versammlung in Rohrhof.
So überlegten sich jedoch die Experten bald, nicht nur Lichtstärke und Lichtfarbe zu ändern, sondern die Lampen mit Blenden zu versehen. Das Licht geht nun nicht mehr weit zur Seite, sondern konzentriert nach unten auf den Gehweg, wo es ja hin soll. Doch bringt das wirklich etwas für die Insekten der Testregion rund um Brühl?
Tote Tiere werden gesammelt
Das wurde nun in diesem Modellversuch von Experten des Leibniz-Institutes in Berlin bei Rohrhof eruiert. Dazu installierten die Forscher bereits vor zwei Jahren an den bisherigen Lampen entsprechende „Körbe“, in denen die dort zu Tode gekommenen Insekten aufgefangen wurden.
Im Jahr der Pandemie sterben im Testgebiet sterben bei den entspechend angepassten Lampen im Vergleichszeitraum letztlich weniger als halb so viele Insekten wie an den alten Laternen, stellt die Analyse der Hochschulbehörde bei ihrer Untersuchung fest.
Insofern war klar, dass dies eine gute Lösung ist. Entlang der Riedwiesen im Promenadenweg wurden neue Lampen installiert. Bis 2030 müssen, so sieht es ein Gesetz vor, ohnehin sämtliche Straßenlaternen derart umgerüstet werden.
Widerstreitende Interessen
Der Brühler Bürgermeister Dr. Ralf Göck steht da natürlich dahinter: „Aber es gibt dabei durchaus widerstreitende Interessen“, bekennt der Rathauschef im Gespräch. „Wie oft fordern Eltern, Wege, die als Schulweg genutzt werden, zu beleuchten“, berichtet er: „Dieser Druck ist massiv. Dann heißt es: Muss erst was passieren?“ Auch die Polizei rate inzwischen dazu, Plätze zu beleuchten, damit „sich Missstände nicht verfestigen“.
Auf weitere Probleme weist der zuständige Wiesenhüter Fritz Fichtner hin, nämlich die intensive Beleuchtung in Sportparks nahe Landschaftsschutzgebieten. „Und was ist eigentlich mit Privatgrundstücken, deren Halogenscheinwerfer oder Lichterketten die Straßen taghell erleuchten?“
Dabei gebe es keine rechtliche Handhabe, sagen die Vertreter des Regierungspräsidiums, die daher auf Information und Überzeugung setzen. „Aber“, so bittet Felder um etwas Geduld, „wir fangen ja jetzt gerade erst an“.
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